Operation Inflation Freedom

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Thomas Fricke: Operation Inflationsfreiheit

Was Europas Zentralbanker derzeit vorhaben, erinnert an George W. Bush im Irak: Mit relativ großem Geschütz eine schlecht belegbare Gefahr präventiv bekämpfen. Ein gefährliches Abenteuer.

George W. Bush ließ 2003 mit Hunderttausenden Soldaten und Hightech-Waffen die irakische Regierung und ihre wackelige Armee stürzen – weil sie Massenvernichtungswaffen besäßen, die Amerika akut bedrohen würden. Eine teure Fehldiagnose, wie sich seitdem herausgestellt hat: Zwar verlor der Potentat seine Macht, nur mussten Zigtausende dafür ihr Leben lassen, und das Land glitt ins Chaos.

Nun könnten Sie sagen, dass das mit der Europäischen Zentralbank im engeren Sinne wenig zu tun hat. Klar, muss nach Zinsentscheidungen in der Regel niemand sterben. Trotzdem erinnert das, was die Kämpfer für stabile Preise gerade vorhaben, ein wenig an Bush und seine Falken im Irak: Dass sich die Inflation verselbstständigt, lässt sich so schlecht belegen wie, sagen wir, die Atomarsenale des Irak, die es nicht gab. Und der Versuch, die vermutete Bedrohung präventiv mit höheren Zinsen zu bekämpfen, könnte höhere Kollateralschäden als Nutzen erzeugen. Das geht auch friedlicher.

Embedded ECB Watcher

Wie einst Donald Rumsfeld rüsten EZB-Falken wie die Deutschen Jürgen Stark und Axel Weber derzeit verbal mächtig auf, um uns und der Welt inflationsbedingte Implosionen zu prophezeien. Da ist von erodierender Kaufkraft die Rede, von internationalen Inflationswellen und nötigen Präventivschlägen. Schon gibt es EZB-Beobachter, die das als Standfestigkeit im großen Kampf gegen das Böse loben. So wie die “Embedded Correspondents” in der Irakversion.

Natürlich ist die Inflation auf fast vier Prozent gestiegen – auf Dauer nicht wünschenswert. Nur räumen selbst Ultras wie Stark ein, dass sie Ölpreisanstiege nicht verhindern können. Gefährlich sei aber, wenn sich Inflationserwartungen verselbstständigten und über Zweitrundeneffekte Löhne, Kosten und Preise entglitten. Genau hier beginnen die Zweifel.

Obwohl die Inflation seit Monaten über drei Prozent liegt, gibt es noch immer kein ernsthaftes Zeichen, dass sich da viel verselbstständigt. Die Kerninflation ohne Energie und Nahrungsmittel ist trotz Ölpreisverdopplung nur knapp über zwei Prozent, in Deutschland bei historisch niedrigen 1,7: Außer Öl und Nahrungsmitteln wird da bisher nichts deutlich teurer.

Ähnlich schwer lässt sich beweisen, dass die Inflationserwartungen steigen. Bedingt hilfreich ist der Versuch, diese Erwartungen aus der Entwicklung von Zinsen auf inflationsindexierte Anleihen abzuleiten. Der jüngste Inflationsschub hätte sich daraus gar nicht ablesen lassen, unken die Volkswirte der Société Générale (SG). Ähnliches gilt für die Teuerungsprognosen von Ökonomen in den Umfragen der EZB. Auch die sagen zudem wenig darüber aus, welche Inflation ein Arbeitnehmer erwartet, auf den es hinsichtlich

möglicher Zweitrundeneffekte ankommt. Da deuten Umfragen unter Verbrauchern eher auf Entwarnung: Wenn es um die erwartete Inflation in einem Jahr geht, liegt der Saldo von Pessimisten und Optimisten derzeit niedriger als 2000/01. Und auch da gab es anschließend kein neues Inflationszeitalter.

Selbst wenn sich Inflationserwartungen messen ließen, wäre immer noch fraglich, ob sie automatisch auch Preis-Lohn-Spiralen auslösen, wie die EZB-Stabikämpfer prophezeien. Könnte auch sein, dass die Leute auf höhere Preise heute eher mit Verzicht reagieren. Zum Beispiel, weil sie höhere Einkommen bei stärker

liberalisierten Arbeitsmärkten und geschwundenem Gewerkschaftseinfluss gar nicht mehr so einfach kriegen. Oder weil Verzicht zum Klimaschutz passt. Die Ölteuerung seit 2005 dürfte dazu führen, dass die Deutschen ihren Ölverbrauch dieses Jahr um 7,4 Prozent einschränken, so David Milleker, Chefvolkswirt

von Union Investment.

Die Furcht vor dem großen Geprasse wirkt auch absurd, weil die Deutschen ihre Ersparnisse trotz gesunkener Kaufkraft noch aufgestockt haben. Und weil die Leute im Euro-Raum seit Monaten

mehrheitlich wieder mit höherer Arbeitslosigkeit rechnen – was den Mut zu Lohnforderungen rasch wieder dämpft. “Was die Euro-Zone derzeit prägt, sind stark fallende Reallöhne, nicht steigende”, sagt Gilles Moec von der Bank of America. Die Spirale geht eher abwärts. Anders als in den 70ern folgen Löhne nur noch in Spanien prompt der Inflation.

Wenn stimmt, dass die Gefahrendiagnose der EZB-Falken ähnlich luftig ist wie einst bei Rumsfeld, droht der EZB vielleicht ein Desaster wie den rumpelnden Irakkriegern, die mit ebenso überdimensionierten wie ungezielten Mitteln ihr Ziel erreichen wollten. Wenn die EZB ihre Zinsen nächste Woche andeutungsgemäß erhöht, verteuert das überall im Euro-Raum die Investitionskosten und droht auch den Euro weiter hochzutreiben. Dabei hat sich das Wirtschaftsklima infolge von Ölpreishochs, Dollar-

Abstürzen, vergangenen (De-facto-)Zinserhöhungen und Bankendebakeln ohnehin schon so atemberaubend abgekühlt wie sonst nur in Rezessionen.

“Lohndruck durch Erzeugung von Arbeitslosigkeit dämpfen”

Selbst EZB-Vertreter wie Lorenzo Bini Smaghi räumen ein, dass Zinsentscheidungen “undifferenziert über alle Sektoren wirken, indem sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen” und sich “die Anpassungskosten über die ganze Wirtschaft ausbreiten”. Etwas direkter formuliert es Thomas Mayer, Europa-Chefökonom der Deutschen Bank: “Die Euro-Hüter versuchen de facto, den Lohndruck durch Erzeugung von Arbeitslosigkeit zu brechen.” Damit nehmen sie das Risiko einer Rezession in Kauf, so die SG-Experten. Wer so eine Notenbank hat, braucht keine Feinde mehr.

Die Frage ist, ob das nicht einfühlsamer geht. Etwa darüber, dass Notenbanker und Tarifparteien einen Deal machen, bei dem die einen auf höhere Zinsen und die anderen auf übermäßig hohe Lohnzuwächse verzichten. Oder darüber, dass Regierungen aus Ländern mit tatsächlich erhöhtem Inflationsdruck auf nationaler Ebene gegensteuern. In Deutschland ließen sich Steuern senken, um Realeinkommen zu stützen. Das würde den Druck mindern, Kaufkraftverluste über höhere Löhne aufzufangen.

All das wäre besser und einfacher. Europas Notenbanker riskieren enorme Kollateralschäden, um eine Gefahr zu beseitigen, die sie nicht richtig belegen können. Wie Mister Bush.

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