Die neue Geldmacht
Von Frank Sieren | © DIE ZEIT, 25.09.2008 Nr. 40 (1908 words)
Wie Peking seinen Großschuldner USA zum Handeln in der Finanzkrise zwang
Wochenlang war das Spiel der chinesischen Zentralbanker in der Finanzkrise kaum sichtbar. Voll aus der Deckung gingen sie erst am vergangenen Freitag, als bekannt wurde, dass die staatliche China Investment Corporation mit Morgan Stanley wegen der Übernahme weiterer Anteile verhandelt.
China als Pleitegeier? Damit unterschätzt man den aufsteigenden Riesen. Die chinesische Zentralbank war von Anfang an ein entscheidender Spieler in der US-Krise. Leise zwar, aber auch knallhart. Direkt reden Spitzenkräfte des chinesischen Finanzsystems darüber nicht. Aber unter der Hand geben sie Hinweise, wo man die Indizien finden kann. Und wenn man sie gefunden hat, geben sie weitere Teile des Puzzles preis.
Die Geschichte beginnt mit zwei teuren Fehlern. Die Chinesen stiegen nicht bloß beim US-Finanzinvestor Blackstone ein, der seither kräftig an Wert verloren hat, sondern eben auch bei Morgan Stanley. Die zweitgrößte US-Investmentbank brauchte dringend Kapital, nachdem sie erste Milliardenverluste verbucht hatte, und die Chinesen waren sehr willkommen, als sie im Dezember vergangenen Jahres für rund zehn Prozent der Bank 5,5 Milliarden Dollar investierten. Eine Fehlinvestition, wie sich bald herausstellte. »Wir haben die Schwäche der USA unterschätzt, sonst hätten wir uns nicht an Instituten wie Morgan Stanley beteiligt«, sagt ein Zentralbanker heute. Das sei »ärgerlich«, aber »nicht dramatisch«.
Der zweite Fehler bestand darin, die Geschwindigkeit zu unterschätzen, mit der die US-Krise heranzog. In staatslenkerisch geprägter Haltung gingen die Chinesen davon aus, dass es der US-Regierung gelingen würde, den Kollaps zumindest bis nach den amerikanischen Wahlen hinauszuschieben. Und tatsächlich: Die beiden Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac hatten laut New York Times versucht, im Einvernehmen mit der Regierung die Verluste in den Bilanzen ins Jahr 2009 zu verschieben. Doch der Druck wurde zu groß. Die Vertreter der aufsteigenden Weltmacht China überschätzten den Spielraum der herrschenden Weltmacht.
Noch Mitte dieses Jahres waren die Chinesen beim späteren Pleitegespann Fannie Mae und Freddie Mac mit 376 Milliarden Dollar Kredit engagiert also mit einem Fünftel ihrer gigantischen Devisenreserven von gut 1,8 Billionen US-Dollar. Im Juli allerdings wurde den Pekinger Gläubigern schlagartig klar, dass die US-Schuldner kurz vor der Pleite standen. Im Schatten der Olympischen Spiele erhöhten die chinesischen Zentralbanker daraufhin den Druck. Von Mitte Juli bis Anfang September fuhren sie ihre Beteiligungen merklich herunter. Hatten sie ihren Krediteinsatz etwa im ersten Halbjahr 2007 noch um durchschnittlich 22 Milliarden Dollar pro Monat erhöht, verringerten sie ihre Kredite allein in den Olympiawochen so leise wie möglich um 23 Milliarden Dollar. Die Japaner, die zweitgrößten ausländischen Gläubiger der beiden Hypothekenbanken, schlossen sich der Aktion an.
Wie eng haben die Chinesen mit den Japanern zusammengearbeitet? Darüber schweigen beide Seiten höflich. Dass die beiden mächtigsten Kreditgeber der Krise gemeinsam handelten, ist aber offensichtlich. Damit machten sie den USA klar: Das Maß ist voll. Das heikle Thema wurde auch angesprochen, als der amerikanische Präsident George W. Bush zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking die chinesische Führung traf. Die Chinesen redeten laut eigenen Aussagen nicht lange um den heißen Brei herum: Die Verbindlichkeiten sollten in staatliche Verantwortung übergehen, hieß ihre Forderung. Man darf annehmen, dass Bush bei der Eröffnungsfeier nicht nur wegen der Hitze schwitzte. Denn das Argument war handfest: Wenn ihr das nicht zurückzahlt, müssen wir noch mehr Dollar in Euro tauschen und damit die US-Währung leider weiter unter Druck setzen. Und: Wer soll euch denn in Zukunft noch Geld leihen, wenn wir keine Lust mehr haben?
Jeden Monat brauchen die USA rund 20 Milliarden Dollar Kredit
Schon lange finanzieren vornehmlich Chinesen einen erheblichen Teil der gigantischen Defizite der USA. Das Geld, das sie mit dem Verkauf in China hergestellter Produkte verdienen, leihen sie den Amerikanern wieder, damit die neue Produkte von ihnen kaufen können. Und so geraten die Amerikaner in die Schuldenfalle. Derzeit braucht die US-Regierung jeden Monat Kredite in Höhe von mindestens 20 Milliarden Dollar, um die laufenden Ausgaben zu finanzieren. Das Geld kommt überwiegend aus Asien.
Natürlich würden die Chinesen gewaltige Einbußen erleiden, wenn sie ihren ganzen Dollarschatz auf den Markt würfen. Der Kurs würde einbrechen, und zudem würden Amerikaner weniger Waren importieren. Doch hier ging es weniger um ein Alles oder Nichts als um die Demonstration finanzieller Macht.
Als die Amerikaner nicht gleich handelten, wurden die Chinesen nämlich deutlicher. Am 22. August meldete sich Yu Yongding per Mail bei der Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Der Direktor des Instituts für Weltwirtschaft und Politik an der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften drohte unverholen: »Wenn die US-Regierung Fannie und Freddie zusammenbrechen lässt und die internationalen Investoren nicht adäquat kompensiert werden, wird das katastrophale Konsequenzen haben. Es wird nicht das Ende der Welt sein, aber das Ende des gegenwärtigen internationalen Finanzsystems.« Yu ist Ratgeber Pekings, und es ist nicht das erste Mal, dass er als eine Art informeller Regierungssprecher fungiert: »Die Folgen einer solchen Pleite können außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft sein.«
Deutliche Worte. Da immer noch nichts geschah, beschleunigten die Chinesen das Ende der Wall Street ein wenig. Am 29. August, also bald nachdem die Olympischen Spiele beendet waren, betonte die Bank of China in ihrer Quartalskonferenz, dass sie ihr Engagement bei Fannie und Freddie um 25 Prozent verringert habe. »Bank of China flüchtet aus Fannie-Freddie« stand anderntags in der Financial Times. Die Aktien der Unternehmen sackten noch einmal um jeweils 14 Prozent in den Keller, der größte einmalige Kursverlust für die beiden, die nun endgültig am Boden lagen. Die Chinesen hatten klargemacht: Mit ihnen ist nicht zu spaßen. Selbst wenn die Drohung, den USA kein Geld mehr zu leihen, ein Bluff gewesen sein sollte angesichts der prekären Lage konnte es sich die Regierung nicht mit ihrem mächtigsten Gläubiger verderben.
Am 8. September stellte sie Fannie und Freddie unter »vorläufige Aufsicht«. Zunächst sollen jeweils 100 Milliarden US-Dollar in die Investmenthäuser gepumpt werden. Die Taktik der Chinesen war aufgegangen. So, wie sie es sehen, hatten sie den gravierendsten Eingriff des amerikanischen Staates in die Wirtschaft seit der Großen Depression erzwungen. Zumindest beschleunigt. »Unterschiedliche Personen mögen darauf unterschiedliche Antworten geben«, sagte der chinesische Zentralbankchef Zhou Xiaochuan dazu. »Aus meiner Perspektive betrachtet, ist das positiv.«
Kurzfristig mag man das in den USA auch so sehen. Doch auf lange Sicht handelt es sich um eine westliche Niederlage von historischer Dimension: Hier die führende Industrienation, die allein 2007 ein Außenhandelsdefizit mit dem Rest der Welt von fast 750 Milliarden Dollar produzierte, dort das größte Entwicklungsland, das sein Plus auf rund 370 Milliarden Dollar steigerte. Und der David zwingt den Goliath, für einen großen Teil der privaten Immobilienkredite in den USA geradezustehen und die eigenen Schulden weiter in die Höhe zu treiben. Die Verluste der Chinesen sind hingegen überschaubar. Die asiatischen Zentralbanker, allen voran die chinesischen, »gehen als Gewinner aus der Krise hervor«, räumt das einflussreiche US-Magazin Businessweek ein. Von wegen nutzlose Devisenreserven der Chinesen, wie einige westliche Fachleute gespottet hatten.
Eine Woche nach der Übernahme setzte der Zentralbankchef dann noch ein innenpolitisches Zeichen. Zum ersten Mal seit Februar 2002 lässt Zhou die Zinsen senken und gleichzeitig zum ersten Mal seit 1999 die Mindestreservesätze der Banken reduzieren. Damit ist das größte internationale Krisenloch gestopft und das innenpolitische Krisenpotenzial klein gehalten geworden. Mit einem Schmunzeln nimmt man in China zur Kenntnis, dass die USA nun eine Auffanggesellschaft zum Management von faulen Krediten gründen wollen. Als die Chinesen ebendies vor einigen Jahren taten, um ihre überschuldeten Banken zu entlasten, kritisierten Amerikaner noch, die Schulden würden nur von der einen in die andere Tasche gesteckt. »Es ist ein großes Paket, weil es ein großes Problem ist«, begründet George W. Bush das Projekt nun.
Drei der fünf größten Banken der Welt sitzen mittlerweile in China
Mit einer Mischung aus Geschick und Rückständigkeit hat China die Krise bislang weitgehend aus dem eigenen Finanzsystem herausgehalten. So wie die Kaiser der Han-Dynastie vor über 2000 Jahren die Große Mauer zum Schutz gegen die Mongolen bauen ließen, hat die Führung in den neunziger Jahren einen Schutzwall gegen die globalen Finanzströme errichtet. Die chinesische Währung ist nicht frei handelbar, sondern fest an einen Währungskorb gekoppelt, dessen Zusammensetzung der Weltöffentlichkeit frecherweise nicht verraten wird. Auch die chinesischen Börsen, die Bankenindustrie und der Immobilienmarkt sind trotz Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation so geschützt, dass Ausländer keine Erdrutsche auslösen können, wenn sie plötzlich ein- oder aussteigen.
Zudem durften sich weder der chinesische Staat noch die Privathaushalte groß im Ausland verschulden. Diese Barrieren hat die chinesische Führung erst mit aller Härte durchgesetzt, nachdem China 1997 fast von der Asienkrise mit in die Tiefe gerissen wurde. In der boomenden Südprovinz Kanton, die damals schon über die Wirtschaftskraft von Thailand verfügte, hatten sich Finanzinstitute hinter dem Rücken der Zentrale in Peking auch von deutschen Banken Milliarden geliehen und konnten plötzlich nicht mehr zahlen. Der damalige Premierminister Zhu Rongji griff rechtzeitig ein und hielt dem internationalen Druck eben noch stand. Die meisten westlichen Banken bekamen nur zehn Prozent ihres Einsatzes wieder. China war nicht gezwungen, seine Währung abzuwerten, und ging erstmals als asiatischer Stabilitätsgarant aus einer großen internationalen Krise hervor.
Hinzu kommt, dass das chinesische Bankensystem noch sehr rückständig ist, obwohl, am Börsenwert gemessen, drei der fünf größten Banken der Welt inzwischen aus China kommen. Die wertvollste Bank der Welt ist inzwischen die Industrial Bank of China (ICBC). Sie macht ihr Geschäft zu 90 Prozent mit schnöden Zinsen und nicht mit spekulativen Finanzprodukten. Bei großen privaten Banken im Westen beträgt der Anteil höchstens 50 Prozent. Im ersten Quartal dieses Jahres wurde die ICBC auf diese Weise auch noch die profitabelste Bank der Welt mit einer Gewinnsteigerung von 77 Prozent. Dass einzelne chinesische Großbanken nun doch mit Verzögerung einknicken, ist deshalb unwahrscheinlich. Bei der Bank of China, die am stärksten in die US-Krise involviert ist, machen die wackligen Papiere nur 1,5 Prozent des Geschäftes aus. Bei der ICBC liegt das von der amerikanischen Hypothekenkrise betroffene Engagement bei 1,23 Milliarden Dollar. Dem steht ein Quartalsgewinn von über sieben Milliarden Dollar gegenüber.
Gefahr droht jedoch aus einer anderen Richtung: Durch die Krise konsumieren die Amerikaner weniger. Weil sie nicht wissen, was noch auf sie zukommt, geben sie nur das Nötigste aus. Das schmälert den chinesischen Export. Doch hoffen die Chinesen darauf, dass der nun härtere Wettbewerb um die Verbraucher auf die Preise drückt und dann noch mehr westliche Konzerne in China produzieren lassen müssen. Und siehe da: Zwar ist der Handelsüberschuss Chinas in den ersten acht Monaten des Jahres um gut sechs auf 152 Milliarden Dollar zurückgegangen. Doch jüngst hat sich der Trend wieder gedreht.
Wirtschaftswissenschaftler diskutieren derzeit offen in den chinesischen Medien, wie es mit China weitergehen sollte. Die Staatsfreunde warnen davor, den Bankenmarkt weiter zu öffnen. Das Land sei schon jetzt zu abhängig von ausländischen Kreditnehmern und dem Welthandel.
Nur die Große Mauer im Finanzsektor verhüte Schlimmeres, wie man gerade wieder sähe. Marktfreundliche Forscher wie Fan Gang, Direktor des National Economic Research Institute, widersprechen. Die Banken müssten sich weiter öffnen, um überhaupt erst einmal moderne Finanzmethoden einzuführen. Mit dem Handel spekulativer Papiere habe das gar nichts zu tun. Ein »zuschnürendes Regulierungssystem« führe dazu, »dass wir passiv die Risiken tagen müssen, die wir vom Ausland aufgebürdet bekommen«.
Darin liegt vielleicht die größte Gefahr nach dem jüngsten Triumph über die USA dass China daraus die falschen Schlüsse zieht. China könne nicht länger so tun, als sei es allein auf der Welt, sagt Fan. Aus seiner Sicht ist es sinnvoll für China, sich jetzt groß im Westen einzukaufen. Noch ringt man in Peking um die richtige Strategie. Auf Morgan Stanley angesprochen, sagte eine Sprecherin des chinesischen Staatsfonds CIC vergangenen Freitag: »CIC wird vorsichtig bleiben, wenn es um internationale Investments geht.« Ein Dementi klingt anders.
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