Mutiny In The USA

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Aufruhr in den USA

Von Rainer Rupp

Verkehrte Welt: Am Dienstag hat BRD-Bundeskanzlerin Angela Merkel die USA aufgefordert, noch in dieser Woche das vorgesehene Hilfspaket für die maroden Banken zu verabschieden. Das sei die Voraussetzung, »daß neues Vertrauen auf den Märkten entstehen kann«. US-Präsident George W. Bush wies das nicht etwa empört zurück, sondern rang sich am selben Tag ein eher hilfloses »wir arbeiten daran, eine Strategie zu entwickeln« ab. Was war geschehen? Das US-Repräsentantenhaus hatte am Montag mehrheitlich gegen den sogenannten Paulson-Plan gestimmt und dem Finanzkapital einen gehörigen Schrecken eingejagt.

Das Resultat: erdrutschartige Verluste an der New York Stock Exchange, hysterische Börsianer, fassungslose Analysten und ein düpierter US-Präsident. Das Nein der Abgeordneten zum 700 Milliarden Dollar schweren Rettungspaket von US-Finanzminister Henry Paulson für das marode US-Bankensystem schockierte am Montag nicht nur die Wall Street, sondern die gesamte Wirtschaft. Mit einem Minus von sieben Prozent und annähernd 780 Punkten hatte dort der führende US-Börsenindex Dow Jones auf das Scheitern des Planes reagiert – der größte Tagesverlust in seiner Geschichte. Die anderen Indizes, Nasdaq und S&P, fielen mit 9,15 bzw. 8,79 Prozent sogar noch stärker. Dort sind weitaus mehr US-Unternehmen erfaßt als im Dow Jones der Absturz zeichnet deshalb ein repräsentativeres Stimmungsbild.

Die Mehrheit der US-Bevölkerung scheint indes der Meinung, daß Wall Street nun endlich »bekommt, was sie verdient« und widersetzt sich energisch einer Rettung der Hochfinanz mit Steuergeldern. Dem folgten viele Abgeordnete. Denn Anfang November werden nicht nur der Präsident, sondern auch Teile des Kongresses neu gewählt. Ein Drittel der Senatoren und die Hälfte der Mitglieder des Repräsentantenhauses müssen sich dem Wählervotum stellen. Da war sich die Mehrzahl der Abgeordneten am Montag selbst am nächsten. In einer einzigartigen Revolte stimmten 228 Abgeordnete gegen die Rettung der Banken mit Steuergeldern, davon 133 aus Bushs eigener Partei und 95 Demokraten. 205 stimmten dafür.

Inzwischen setzt es in Washington gegenseitige Schuldzuweisungen. Auch das Lobbying für einen Meinungswechsel der »Nein«-Sager läuft auf Hochtouren. So schnell wie möglich soll erneut über ein kosmetisch modifiziertes Rettungspaket abgestimmt werden. Dessen Vorbereitung verzögere sich jedoch laut New York Times aus Rücksicht auf die jüdischen Feiertage »Rosh Hashana« und »Jom Kippur«. Es sei »schwierig zu sagen«, wann mit einer erneuten Abstimmung zu rechnen ist.

Viele Finanzexperten zweifeln sowieso. Sie glauben, daß das Rettungspaket »zu wenig enthält« und für die Wall Street ohnehin »zu spät kommt«. Egal, ob der Kongreß doch noch zustimmen werde, »das Resultat wird das gleiche sein«, wiesen am Dienstag Experten des Informationsdienstes »Money and Markets« ihre Kunden ein. Die Kreditkrise werde sich zunehmend verschärfen und vertiefen. Mehr Banken werden pleite gehen und die Wirtschaft werde in eine tiefe Rezession absinken. Es gebe kein Entkommen mehr. Die Tatsache, daß derzeit ausländische Banken den US-Finanzinstituten nicht einmal mehr kurzfristige Gelder leihen, dürfte die Talfahrt nur beschleunigen.

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