The Financial CrisisEngulfs the U.S. Economy

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Finanzkrise reißt US-Wirtschaft mit sich

Von Astrid Dörner, New York | © ZEIT ONLINE 9.10.2008 – 10:00 Uhr

Das Chaos an der Wall Street schlägt auf den kleinen Mann durch. Tausende von Amerikanern wurden schon arbeitslos. Und es kann noch schlimmer kommen

Für Bill Heard ist Schluss. Der ältere Herr, der noch bis vor wenigen Wochen Amerikas größter Chevy-Autohändler war, hat zu Monatsbeginn die 89 Jahre alte Geschichte seines Familienunternehmen beendet. Vor einem Gericht in Decatur im Bundesstaat Alabama beantragte Heard, der sich wegen seines Erfolges gern „Mr. Big Volume” nannte, Gläubigerschutz und entließ die meisten seiner 3500 Mitarbeiter. Einige werden noch für die Abwicklung gebraucht.

„Die Bedingungen, die notwendig gewesen wären, um unser Unternehmen aufrecht zu erhalten, waren nicht gegeben”, teilt Heard wortkarg mit. Und meint damit vor allem den Mutterkonzern von Chevrolet, General Motors (GM), für den er jahrelang Autos unters Volk brachte.

Wochen vor Heards Pleite verschärfte GMAC, der Finanzierungsarm von General Motors, die Bedingungen, zu denen sich Autohändler Geld leihen können, um die Autos für den Showroom zwischenzufinanzieren.

Täglich bekommen die Durchschnittsamerikaner die Kreditkrise deutlicher zu spüren. Selbst für solvente Bankkunden, die unter normalen Umständen problemlos einen Kredit bekommen hätten, wird es immer schwerer, sich Geld zu leihen.

„Die Banken erfinden immer neue Ausreden. Und Amerikaner bekommen kein Geld mehr, um sich ein Auto kaufen zu können”, schimpft Mike Jackson, Chef von Amerikas größtem Autohändler Auto Nation, im Fernsehsender CNBC.

Hunderttausende haben schon ihre Jobs verloren. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr. Der weltgrößte Discounter Wal-Mart meldete am Mittwoch eine langsamere Umsatzentwicklung im September und warnte vor schwachen Oktoberzahlen. Besitzer von Weinläden oder teuren Kosmetikläden in New York stellen ihre Ware gerade auf eine geizigere Kundschaft um.

Was mit einer Blase am Hypothekenmarkt begann, hat das globale Finanzsystem vergiftet und droht nun die gesamte Wirtschaft in eine schwere Rezession zu stürzen. Das böse Wort von der Depression macht die Runde – sogar Präsident George W. Bush warnte davor.

Wie konnte der Traum vom eigenen Heim, den viele amerikanische Bürger sich verwirklichten, mit einem solchen globalen Desaster enden?

Die Wurzeln der aktuellen Probleme gründen im Immobilienmarkt. Anfangs ging es nur um Kreditnehmer mit schwacher Bonität, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten. Sie kauften oft in dem Glauben, dass die Immobilienpreise weiterhin zweistellig steigen würden.

Stattdessen hat der Tsunami der Zahlungsausfälle und Zwangsversteigerungen den gesamten Immobilienmarkt in die Krise gezogen. Weil die Banken aus Kapitalmangel und verschärfter Vorsicht ihre Kreditvergabe nun auf ein Minimum zurückgefahren haben, kann der Immobilienmarkt trotz sinkender Preise nicht wieder anspringen: Potenzielle Käufer bekommen kein Darlehen, Verkäufer müssen – wenn überhaupt – mit Verlust verkaufen.

Die Folge: Ganze Stadtviertel stehen leer. Schon jetzt haben die stark gesunkenen Häuserpreise in den USA dazu geführt, dass bei einem von sechs Hausbesitzern die Hypothek nun höher ist, als der Wert seines Hauses.

Wie stark sich die Probleme der Wall Street schon in die gesamte Volkswirtschaft der USA eingefräst haben, zeigt die Lähmung des Commercial Paper Marktes. Darunter versteht man extrem kurzfristige Schuldverschreibungen – oft nur über Nacht –, mit denen sich vor allem Industrieunternehmen Cash beschaffen, um Löhne und Gehälter zu zahlen, Lieferanten zu befriedigen oder Kunden Zahlungsziele einzuräumen.

Dieser Markt gilt als das Öl im Motor der Wirtschaft. Während des Wall-Street-Booms mischten immer mehr Institute in dem Markt mit. Um entsprechend Nachschub an handelbaren Papieren zu schaffen, kreierten die Banken eine neue Art von Commercial Paper, indem sie statt eines kreditwürdigen Konzerns als Herausgeber der Papiere ein Bündel an Kreditkartenforderungen oder Autokrediten hinterlegten – oder aber Hypotheken.

So infizierte die Hypothekenkrise auch den Commercial Paper Markt. Dann kamen die Finanzinstitute selbst ins Schwanken. Das fatale Ergebnis: Die Investoren zogen sich zurück.

Seit Wochen gibt es für diese Schuldverschreibungen jedoch keinen Käufer, was Konzerne wie Amerikas größten Autobauer General Motors und den Mischkonzern General Electric in Bedrängnis gebracht hat.

„Der Commercial-Paper-Markt steht unter erheblichem Stress, weil Geldmarktfonds und andere Investoren sich mit Käufen zurückhalten. Ein Großteil der Papiere wird von Finanzinstituten begeben. Die Schwierigkeiten hindern sie daran, ihre Rolle als Kreditgeber für Unternehmen und Haushalte zu spielen”, teilte die US-Notenbank Anfang der Woche mit.

Damit begründete Ben Bernankes Fed die letzte Massnahme: Die Notenbank nimmt jetzt auch Commercial Paper an und stellt entsprechend Liquidität zur Verfügung. Damit ist die Staatsbank indirekt zur Hausbank von Großunternehmen geworden – eine völlig unübliche Maßnahme.

Die Wall Street lästert über den Schritt als das „General Electric Rettungspaket“. Ob es hilft, weiß niemand. Keine der Eingriffe ist je getestet worden – keiner hat richtig gewirkt, auch nicht das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket der US-Regierung.

Ein düsteres Szenario? Es könnte alles noch schlimmer werden! Wenn die Angst den amerikanischen Konsumenten die Einkaufslaune endgültig austreibt, könnte das dafür sorgen, dass sich die Abwärtsspirale immer schneller dreht.

„Wir stehen vor einem Feedback-Effekt, in dem sich Kredit- und Finanzkrise gegenseitig aufschaukeln”, sagt Kenneth Thomas, Dozent an der Wharton Business School der University of Pennsylvania. Für die Rückkopplung zwischen den beiden gebe es viele Wege. „Die, die jetzt günstig ein Haus kaufen wollen, bekommen keinen Kredit. Das schwächt den Häusermarkt weiter und damit auch die hypothekenbasierten Wertpapiere der Banken.” Darunter leiden die Finanzinstitute und Unternehmen, die diese angeschlagenen Papiere halten – und das schränkt deren finanziellen Spielräume weiter ein.

Eine weitere Spirale gehe von der Arbeitslosigkeit aus: Leute verlieren ihr Einkommen und können deshalb ihre Häuser oder ihre Kreditkartenrechnung nicht bezahlen.

Die Bank of America, das nach Einlagen größte Geldhaus des Landes, hat das schon zu spüren bekommen. Das Institut hat bei der Veröffentlichung der Quartalszahlen Anfang der Woche bereits seine Investoren über gestiegene Kreditausfälle an allen Fronten informiert – von Hypotheken, über Konsumentenkrediten bis hin zu Kreditkarten.

Dass der Weg aus der Krise lang und schmerzhaft sein wird, musste nun auch Notenbank-Chef Ben Bernanke einräumen. „Die Prognose für das Wirtschaftswachstum hat sich verschlechtert und die Risiken für einen Wachstumsrückgang sind gestiegen”, sagte er. Das Eingeständnis des wichtigsten Notenbankers löste eine neue Panikwelle an der New Yorker Börse aus. Auf Bill Heard werden noch viele folgen.

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