Any More Questions? The President Wants His Lunch . . .

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Noch Fragen? Der Präsident möchte zu Mittag essen

Von Nils Minkmar

Bob Woodward legt schon das vierte Buch über die Präsidentschaft George W. Bushs vor, „The War Within“, und in jedem Titel muss es klar gemacht werden: Bush ist ein sogenannter Kriegspräsident. Im Buch steht dann zwar, dass er sich mit dem Krieg wenig und sicher nicht intensiv oder detailliert befasst, aber er schätzt halt diesen Titel. Kriegspräsident. Der schüchtert ein: Wer greift schon einen Oberbefehlshaber an, der „im Krieg steht“? Und der macht ja auch so ein Buch spannend, zumindest den Umschlag.

Das ist der Grundwiderspruch des woodwardschen Ansatzes: Obwohl die Zeugnisse der Beteiligten und die Fakten eine Lage ergeben, die – wäre sie nicht so blutig – am besten in einem Marx-Brothers-Film darzustellen wäre, behält Woodward als Chronist des Weißen Hauses das entsprechende Dekorum bei; so verkommt er zu einem amerikanischen Rolf Seelmann-Eggebert, der leider nicht über die Schrullen eines Königs Harald von Norwegen berichtet, sondern über den Führer der freien Welt – noch so ein Titel, den Bush liebt und der einen bösen Widerspruch in sich birgt.

Eine echte Front kommt nicht vor

Der Klappentext behauptet, das Buch handle gleich von zwei „Fronten“: Da ist einmal die Lage im Irak, die bis Ende 2006 als höllisch, danach vielleicht als bloß purgatorisch bezeichnet werden muss; und dann geht es auch um die Querelen von Militärs und Spitzenbeamten, um den richtigen Kurs, insbesondere um die Frage einer Truppenaufstockung. Manche sind dafür, in Washington, andere dagegen.

Bald stellt sich bei der Lektüre ein ganz anderes, nicht minder beunruhigendes Thema heraus, nämlich die bestürzende Tendenz, auch in den offenen Systemen des Westens, und hier eben in der Hauptstadt der freien Welt, Widerspruch als Verrat zu ächten, Dissenz als Devianz; und, ganz allgemein, vorauseilenden Gehorsam so lange zu fördern und zu fordern bis die Katastrophe anklopft. Obwohl gerade die vorurteilslose Prüfung verschiedener Argumente und Thesen zu den elementaren Prinzipien des demokratischen Betriebssystems gehört, gilt im von Woodward geschilderten Washington einzig eine verbal etwas reduzierte Daumen-rauf-Haltung, die alle Debatten und Divergenzen als illegitime, aus dem anderen politischen Lager gesteuerte Versuche einer Machtbeschränkung begreift.

Kein Aufstand vernunftbegabter Politiker

Heute wissen wir, dass sich dies nicht nur auf das Missmanagement des Krieges beschränkt. Man kann schon ernst nehmen, was Bush und Rumsfeld zum Amtsantritt programmatisch erklärten, nämlich die Prinzipien des Geschäftslebens auf das Management des Staates zu übertragen, wo, jedenfalls nach der Auffassung des ersten Präsidenten mit einem MBA, die Dinge effizient, also vor allem ohne Widerspruch zu fluppen haben. Unterschiedliche Meinungen darf es höchstens in der zweiten Reihe geben, und wenn der Präsident nicht anwesend ist. Der erträgt nur Einmütigkeit, die eine Lösung, auf die sich die Fachleute geeinigt haben, alles andere ist Stress, und Stress senkt die Abwehrkräfte und die Aktienkurse. Es muss, nach der Logik, die auch den Finanzmärkten zum Verhängnis geworden ist, stets weiter- und aufwärtsgehen, und alles, was dem entgegensteht, sind Downer, machen schlechte Laune und arm und krank. So haben die Republikaner gerade jenes Prinzip – das des offenen Ringens um den besten Weg, das nach Karl Popper den Westen stärker gemacht hat als seine Konkurrenten – eliminiert.

Das Problem ist nur, dass alle mitgemacht haben, auch gestandene Männer, die als Dissidenten weder finanziell noch gar existentiell bedroht worden wären. Sicher, es gab früh die Memoirenbücher ehemaliger Kabinettsmitglieder mit ihren erschreckenden Szenen, aber nie mal einen Aufstand vernunftbegabter Politiker in einer entscheidenden Sitzung.

Das Buch dürfte und müsste es

Auch Bob Woodward ist mutiert, vom Aufklärer zum Chronisten, der die Tatsache, dass die ganze Staatsmaschine in eine völlig falsche Richtung läuft, dass möglicherweise schwere Verbrechen an Unschuldigen begangen werden, notiert, aber sein Entsetzen nicht zeigt oder gar keins empfindet.

So ist unerklärlich, wieso auch dieses Buch, das angeblich vom Krieg handelt, völlig ohne die Aussagen derer auskommt, die ihn kämpfen oder erleiden, die irakischen Truppen und Zivilisten nämlich. Sicher, der in Amerika ausgebildete Sicherheitsberater des irakischen Premiers wird interviewt, aber die anderen wichtigen Akteure im Land, oder gar die unwichtigen Bürger Bagdads, sie bleiben weit entfernte Wesen mit sonderbaren Zu- und Abneigungen. Fast erstaunt wird notiert, dass viele Menschen im Irak zwar Schiiten sind, aber trotzdem mit Iran ihre Probleme haben, als sei der massenmörderische Krieg der beiden Staaten gegeneinander vergessen, als könne ein Araber eben nur eine Identität auf einmal haben – entweder Schiit oder Patriot, Terrorist oder Freiheitskämpfer. Die Frage, ob friedliche Iraker vielleicht nur aus Wut über die Besatzung ihrer Heimat und die krass unfairen Bedingungen der Besatzung – unter denen die Angestellten von Privatarmeen wie Blackwater selbst wegen Mordes nicht verfolgt werden durften – zu den Waffen greifen, darf in Washington laut Bush-Doktrin gar nicht mehr erörtert werden. Das Buch dürfte und müsste es.

Das Todesurteil für noch mehr unschuldige Iraker

So gerät „The War Within“ zur Feldherrnhügelliteratur. Woodward überlässt die Einschätzungen und Zitate seinen Quellen: soll der Leser eben seinen Schluss ziehen – aber was, wenn der Schluss der ist, dass man diesen Leuten gar nichts überlassen kann, nicht mal Einschätzungen und schon gar nicht ein ganzes Land? Dann wirkt die Zurückhaltung des Autors nicht vornehm, sondern pflichtvergessen.

Einmal beschwert sich der irakische Sicherheitsberater, die internen Operationen gegen die Privatarmeen sollten nicht länger von den Amerikanern allein oder maßgeblich durchgeführt werden, es sei besser, die irakische Regierung mache das selbst. Wir sind, sagt er, nicht so präzise wie die amerikanischen Spezialkräfte, arbeiten dreckiger, verursachen mehr Tote, aber es stabilisiert eben die Regierung, so was nicht den Ausländern zu überlassen.

Solch eine Horroraussage, das Todesurteil für noch mehr unschuldige Iraker, gilt in der Welt, in der dieses Buch spielt, als rational und irgendwie fortschrittlich: Drei Jahre, so die dem Werk zugrundeliegende Erzählung, ist es im Irak immer schlimmer geworden, bis sich Bush und eine Clique von pragmatischen Militärs um General Petraeus dazu entschlossen haben, kurzfristig ihre Truppen dort zu verstärken, wonach eine relative Befriedung mit nur noch dreißig Bombenattentaten pro Monat in Bagdad eintrat.

Wie im Robert-Redford-Film

Doch dies ist nicht die ganze Geschichte: Seit Jahren herrschten im Irak Leid, Bürgerkrieg und politischer Stillstand, bevor nach einer einigermaßen realistischen und rationalen Vorgehensweise dort gesucht wurde, es war einfach egal. Mehr noch: die Wahrheit über die Lage dort war bekannt und wurde hingenommen, weil die politische Vorgabe vom obersten Befehlshaber grotesk verdreht war. An mehreren Stellen im Buch wird von unterschiedlichen Quellen berichtet, dass der Präsident eigentlich aus dem Irak nur eines hören wollte, nämlich die Zahl der „getöteten Terroristen“. Dass aber ein Privatsoldat im Dienst einer iranisch finanzierten Miliz, ein baathistischer Ex-Offizier mit Rachegelüsten oder ein Nationalist, der keine fremden Truppen im Land haben mag, mit Mohammed Atta rein gar nichts gemein haben; und dass der Kampf gegen die irakischen Aufständischen die Vereinigten Staaten nicht sicherer macht: das versteht Bush einfach nicht. Vielleicht, weil es ihm niemand sagt.

Niemand widerspricht Bush. In den Interviews mit Woodward gibt er sich bald begriffsstutzig, bald ungeduldig – einmal wartet sein Mittagessen, da bittet er den Autor, die Fragen schneller abzuspulen – oder vergesslich. Oder er verweist auf irgendwelche anderen Leute, auf den Sicherheitsberater oder eben auf Petraeus, so als sei der Präsident immer und gut zu ersetzen.

Die harte News des Buches war ja, dass die Amerikaner in verdeckten Operationen gegen Terroristenführer vorgehen; dass sie die also besuchen und töten. Im Buch liest sich das wie eine schlechte Parodie auf Oriana Fallaci oder Klaus Theweleit: Petraeus behelligt uns mit der Aussage, dieses Programm laufe so gut, er bekomme davon Orgasmen, und Bush freut sich auch, das sei der Wahnsinn.

Das ist derselbe Fall wie in dem Robert-Redford-Film „Von Löwen und Lämmern“: Politiker unterrichten Journalisten über eine laufende Geheimoperation, ziehen sie ins Vertrauen und binden sie damit sogleich ein. Bitte nicht weiter fragen, dafür habt ihr’s exklusiv. Woher weiß man aber, dass die Todestruppen auch die Richtigen töten und nicht etwa unliebsame Nachbarn oder geschäftliche Konkurrenten, die eben mal verpfiffen wurden? Es ist das Prinzip, das wir bislang nur aus dem Wilden Westen zu kennen glaubten: „Wozu brauchen wir den Sheriff, wenn wir einen Strick haben?“

Woodward, der nach vier Büchern wohl merkt, welchen Sumpf er da fürs Staatsparkett gehalten hat, sichert sich ab: Bushs Nachfolger werde bestimmt und leider feststellen, dass alles noch viel schlimmer war. Und welcher Chronist steht bereit, auch dies zu protokollieren?

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