US-WAHLKAMPF
Sarah Palin zeigt John McCain ihre Krallen
Sarah Palin sollte neben dem 72-jährigen John McCain die junge, frische Außenseiterin neben dem erfahrenen Polit-Routinier geben. In Außen- und Innenpolitik braucht sie Nachhilfe, strategische Entscheidungen trifft McCain gleich ohne sie. Doch Palin hat Blut geleckt. Sie wird sich nicht an den Rand drängen lassen.
Sarah Palin, die designierte Vizepräsidentin des Republikaners John McCain, erfährt von politisch lebenswichtigen Weichenstellungen ihres Teams aus der Zeitung. Das wurde sichtbar, als McCain
Donnerstag beschloss, im Bundesstaat Michigan keinen Wahlkampf mehr gegen Barack Obama zu führen. In Michigan liegt Obama uneinholbar weit vorn.
Palin wurde in die Entscheidung nicht einbezogen, McCain informierte sie nicht einmal. Palin sagte am Freitag im Fernsehen: Ich habe das heute Morgen gelesen und eine Mail abgefeuert: Moment mal, müssen wir da wirklich raus? Sie ballte ihre zierlichen Fäuste und bekam den unternehmungslustigen
Blick, der ihr Markenzeichen geworden ist. Mein Mann und ich würden liebend gern die Fließbandarbeiter der Autofabriken besuchen! Wir reden mit denen von gleich zu gleich!
Das glaubt man gern, dass sie sich das zutraut. Palin ist populärer als ihr Chef. John McCain, ein mit vielen Wassern gewaschener Einzelkämpfer, der als Kriegsgefangener gefoltert wurde, dem eine Ehe zerbrochen ist, der politisch drei Mal am Abgrund stand McCain findet zur Wirtschaftskrise nicht den richtigen Ton. Er lebt auf, wenn es um den Irak geht, aber er brauchte eine gewisse Zeit, um die Bankenkrise überhaupt als solche zu bezeichnen.
Echte Probleme haben in seinem Denken mit Krieg und Frieden zu tun. Er verachtet heimlich Menschen, die ohne solche Narben nach ganz oben wollen. Sarah Palin hat nach McCains Maßstab so wenig wie Barack Obama je etwas erlebt, was der Rede wert wäre. Frisch, frech, unbefangen ist sie, darum hat er sie geholt, aber ihr Gesicht ist bar wirklich prägender Spuren. Mit dem Michigan-Beschluss hat er ihr zeigen wollen, wer Herr im Hause ist.
Das Republikanerteam bekommt Risse. Das ist kein Wunder. Nicht der Irak, sondern die Wirtschaft ist Hauptthema geworden. Obama liegt jetzt bei Umfragen in acht Bundesstaaten vorn, deren Wähler 2004 mehrheitlich für George W. Bush stimmten. Noch Mitte September hatte Obama nur in zwei dieser Staaten eine Mehrheit gehabt. Bleiben die Zahlen so, wird Obama am 4.November Präsident. Es geht für McCain um Sein oder Nichtsein.
In solcher Lage verlässt er sich auf wenige Berater und seine Ehefrau Cindy. Sarah Palin gehört nicht dazu. Es gibt ein Foto aus McCains Wahlkampfbus von Anfang September, auf dem das symbolhaft zu sehen ist. Rechts sitzen John und Cindy McCain mit Beratern ins Gespräch vertieft. Links sitzt Sarah Palin, gibt ihrem Baby die Flasche und starrt ins Ungefähre. Sie wirkt wie eine aufgelesene Anhalterin.
Palin hat aber keine Lust, Anhalterin und Feigenblatt zu spielen. Sie entwickelt Ehrgeiz und fängt an, über die Vielfalt der Aufgaben einer Vizepräsidentin zu reden, um Gestaltungswillen anzudeuten. Ihr offener Protest gegen McCains Rückzugsbeschluss aus Michigan war der selbstbewusste Auftritt einer Partnerin, die für eine Nebenrolle vorgesehen war, aber nach Meinung etlicher Zuschauer für eine Hauptrolle gut wäre.
Das zeigte sich nach Palins Debatte mit Obamas Teampartner Joe Biden am Donnerstag. Der Sender Fox versammelt für solche Debatten stets eine Gruppe unentschlossener Wählerinnen und Wähler. Vor neun Tagen, nach dem ersten Duell Obama-McCain, waren zwei Drittel der Gruppe für Obama. Dessen Umfragewerte gingen in den Folgetagen landesweit nach oben. Nach Palins Auftritt war die Testgruppe zu neunzig Prozent für Palin.
Es war den Unentschlossenen gleichgültig, dass Palin den Namen eines US-Generals nicht kannte. Sie erwarteten keinen Zehnpunkteplan gegen die Finanzkrise. Was sie erwarteten, war der unverbildete Schmiss, mit dem 1992 Bill Clinton den Kopfmenschen George H.W. Bush besiegt hatte. Clinton hatte
damals den Optimismus seines Heimatdorfes Hope gepriesen. Sarah Palin pries nun ihre Heimat Wasilla. Wir müssen mit der Gier und Korruption auf Wall Street und in Washington aufräumen. Ich finde,
Washington kann einen Schuss Realitätssinn von der Dorfstraße in Wasilla gut gebrauchen.
Sie sagte es fast schneidend, aber mit kessem Augenzwinkern. Palin und Biden gingen herzlich miteinander um. Es war Kalkül dabei, allerdings nicht nur. Joe Bidens Sohn trat Freitag seinen Vorbereitungsdienst für den Irak-Einsatz an, zu dem Palins Sohn vor drei Wochen aufgebrochen war. Die Debatte hatte die höchste Einschaltquote einer Wahlsendung seit Clintons Duell mit Bush 1992.
Das Notpaket zur Stützung des Kreditmarkts wurde erst tags darauf vom Unterhaus des Kongresses verabschiedet, mit 263 zu 171 Stimmen. Aus drei Seiten Gesetzentwurf sind nach Washingtoner Manier 420 Seiten geworden. In Amerika dürfen Abgeordnete Gesetze um Paragrafen anreichern, die mit dem Gesetzeszweck nichts zu tun haben, aber Jastimmen sichern. Weil der Zweck so wichtig war, erfüllten sich viele Abgeordnete Herzenswünsche.
So steht nun im Gesetz: Der Staat übernimmt für 700 Milliarden Dollar faule Kredite und gescheiterte Banken aber vor allem übernehmen die Krankenkassen endlich die Kosten psychischer Behandlung. Dafür hatten die Demokraten geworben. Sie setzten auch Steuervorteile für Umweltprojekte durch. Die Republikaner erreichten die Aussetzung der Mindeststeuer für Kleinfirmen; das Gesetz für die Steuerbefreiung von Autorennstrecken oder von Rum aus Puerto Rico wird verlängert ein Basar der Begehrlichkeiten.
Der erfahrene McCain hatte vor zehn Tagen den Wahlkampf unterbrochen, um das Paket ohne solche Extrawürste durch den Kongress zu zwingen. Er scheiterte genauso wie George W. Bush und auch Obama. Nach hartem Ringen einigten sich die Abgeordneten selber auf den Kompromiss, mit den Demokraten als treibender Kraft. Obama kann zumindest sagen, seine Partei habe das Land vor dem Schlimmsten bewahrt. Er, Joe Biden und McCain stimmten als Mitglieder des Oberhauses dem Kompromiss zu.
Es gibt aber nach wie vor viele Wähler, die das Paket als Rettung von Millionären per Steuergeld betrachten. Sarah Palin ist kein Parlamentsmitglied, sie hat als einzige Kandidatin nicht mit abgestimmt. Falls sich das Blatt doch wieder zu Gunsten der Republikaner wenden sollte, dann wegen ihrer Anziehungskraft auf Unentschlossene, die nach der Devise verfahren, neue Besen kehrten gut. Sarah Palin wird John McCain in einem solchen Fall spüren lassen, dass sie kein Feigenblatt ist.
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