The Power of the Subconscious

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Die Macht des Unterbewussten

Von Thomas Kleine-Brockhoff | © ZEIT ONLINE 14.10.2008 – 15:05 Uhr

Obama führt deutlich in den Umfragen, und doch nagt ein Zweifel: Wird Amerika am Ende einen Schwarzen wählen?

Die größte Gefahr für Barack Obama ist in den letzten Wochen des Wahlkampfes nicht sein Kontrahent John McCain, sondern der sich verbreitende Glaube, er habe schon gewonnen. In allen Umfragen liegt Obama inzwischen deutlich vorn, unterstützt durch die Finanz- und dräuende Weltwirtschaftskrise, die Amerikas Wähler auf mehr Staat und damit die Demokraten setzen lässt.

Doch mit Wahlen ist es wie mit Aktien: Was zählt, ist nicht das zeitweilige Kurshoch, sondern der Wert an jenem Tag, an dem abgerechnet wird.

Obama baut Vorsprung auf McCain aus : Vor allem unabhängige Wähler und Frauen unterstützen den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten nun weitaus stärker als bei vormaligen Befragungen »

Was sind die Umfragen wert angesichts einer Wahl, die in Amerika kein Vorbild kennt? Zu Deutsch: Wird Amerika am Ende die Umfragen Lügen strafen und dem schwarzen Kandidaten den Einzug ins Weiße Haus doch verwehren?

Vor ein paar Jahren zeigten zwei US-Psychologen einer Gruppe von Testpersonen die Namen von Sport- und Showstars und fragten, ob diese Menschen Amerikaner seinen. Auf der Liste fanden sich der Tennisspieler Michäl Chang und der Fernstehstar Connie Chung sowie die Schauspieler Elizabeth Hurley und Hugh Grant. Die Testgruppe hat keinerlei Schwierigkeiten, Chang und Chung als Amerikaner zu identifizieren, Hurley und Grant aber als Ausländer.

Die Psychologen präsentierten anschließend mehrere amerikanische Symbole (Mount Rushmore, die US-Flagge und das Kapitol) sowie ausländische (das UN-Gebäude in Genf, einen ukrainischen Geldschein und eine Karte Luxemburgs). Die Testpersonen sollten spontan und blitzschnell sagen, welche Namen sie mit welchen Bildern in Verbindung bringen. Und siehe da: Viele Versuchspersonen assoziierten die britischen Schauspieler mit amerikanischen Symbolen und die asiatischen Amerikaner mit ausländischen. Die Forscher ziehen daraus den Schluss, dass die Menschen im Unterbewusstsein Ethnizität und amerikanische Identität verknüpfen. Ausländische Weiße werden demnach als “amerikanischer” bewertet als asiatische Amerikaner.

So hat es die Washington Post am Montag nacherzählt und dazu berichtet, Forscher hätten das Experiment am Beispiel der Kandidaten McCain und Obama wiederholt. Die Versuchsreihe wurde erst in der vergangenen Woche beendet. Das Resultat bestätigt die früheren Ergebnisse: Beide, McCain und Obama, gelten der Versuchsgruppe als Amerikaner; im Unterbewussten aber ist McCain amerikanischer als Obama.

Stellt sich die Frage: Setzen sich solche unbewussten Ressentiments in Wahlverhalten um? Muss Obama damit rechnen, dass in der Wahlkabine das Unterbewusste sein mächtigster Gegner ist?

Amerika hat mit schwarzen Kandidaten Erfahrung. Besonders der Name „Bradley“ steht für ein amerikanisches Trauma. Tom Bradley war 1982 Bürgermeister von Los Angeles. Er kandidierte für das Amt des Gouverneurs von Kalifornien und lag bis zum Wahltag deutlich vorn. Und verlor. Alle Umfragen lagen falsch. Wahrscheinlich hatten sich weiße Wähler nicht getraut, den Demoskopen zu sagen, dass sie keinen Schwarzen wählen würden. Seither heißt dieses Phänomen in den USA „Bradley-Effekt“.

Wiederholt sich dieses Muster, kann Barack Obama durchaus verlieren. Denn mag auch sein Vorsprung im ganzen Land nun bei durchschnittlich zehn Prozent liegen, ist der Abstand in entscheidenden Staaten wie Ohio, Virginia und Florida noch immer klein, manchmal nur hauchdünn. Ein bisschen “Bradley” – und der neue Präsident heißt John McCain. Auch Scham kann ein machtvoller Faktor sein.

Allein: Das Wahldebakel des Bill Bradley liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Amerika hat sich verändert. In manchen Städten und sogar Bundesstaaten sind Minderheiten zu Mehrheiten geworden. Die Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen ist quasi zur Staatsraison geworden und wird in der Schule gelehrt. Amerika ist heute ohne Zweifel toleranter als die meisten, vielleicht als alle anderen westlichen Länder. In Deutschland zum Beispiel wäre das Kind eines kenianischen Vaters gewiss nicht Kanzlerkandidat.

Gerade weil Amerika Jahrhunderte von Sklaverei und Benachteiligung von Schwarzen hinter sich hat, reagiert das Land allein schon auf den Verdacht von Rassismus äußert sensibel. Drum haben Forscher der Universität von Washington bereits die Vorwahlen begleitet und dem Bradley-Effekt nachgespürt. Sie begannen ihre Arbeit mit der Hypothese, dass sich das Phänomen nachweisen lassen werde. Tatsächlich zeigte es sich, allerdings nur in drei von 32 Bundesstaaten: in Kalifornien, New Hampshire und Rhode Island.

In zwölf weiteren Bundesstaaten stießen die Wissenschaftler auf ein bislang unbekanntes Phänomen: den „umgekehrten Bradley-Effekt“. Obama erhielt in diesen Staaten deutlich mehr Stimmen, als die Umfragen vorhergesagt hatten, und zwar sieben Prozentpunkte und mehr. In Georgia waren es sogar 18 Prozentpunkte.

Der Psychologe Anthony Greenwald, ein Pionier dieser Art von Studien, spricht von einer „Mutation des Bradley-Effekts“. Zu beobachten ist er vor allem in den Staaten des Südostens. Greenwald führt die fehlerhaften Umfragen auf „sozialen Druck“ zurück. Die Befragten würden eher angeben, was nach ihrem Eindruck von ihnen erwartet wird. In den früheren Sklavenhalterstaaten wäre das sicher die Wahl eines weißen Kandidaten. In der Wahlkabine aber würden sie sich anders entscheiden. Behalten Greenwald und seine Kollegen von der University of Washington recht, so dürfte Barack Obama deutlich mehr Stimmen erhalten als vorhergesagt.

Das würde Umfragen erklären, nach denen viele Amerikaner behaupten, einen Schwarzen zu wählen, wenn er qualifiziert sei, aber nicht glauben, dass es der Nachbar genauso sehe. Amerikaner trauen offenbar dem Fortschritt noch nicht so recht.

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