Poor Old Warrior McCain

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Armer alter Krieger McCain

von Sabine Muscat

Auch die letzte Fernsehdebatte gegen Barack Obama wird dem US-Republikaner nicht helfen. Mit normalen Mitteln kann er die US-Präsidentenwahl nicht mehr gewinnen.

Der Himmel müsste einstürzen, wenn John McCain diese Wahl noch für sich entscheiden will. Unmöglich ist das nicht, wenn man als Himmel all das definiert, was bisher als gewiss und unerschütterlich galt – bis das Unvorhergesehene dann doch eintritt. Das Problem des Republikaners McCain ist nur: Der Himmel ist schon einmal eingestürzt. Und Amerikas Wähler haben ihre Prioritäten in der Finanz- und Wirtschaftskrise gesetzt, weg von der Laisser-faire-Politik der vergangenen acht Jahre, hin zu den Rezepten der Demokraten und Barack Obama.

Armer alter Krieger. “Entweder gewinnt er die Debatte über die Wirtschaft, oder er verliert”, sagte Newt Gingrich, der frühere republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses und fällte so ein frühes Todesurteil über die Kampagne des 72-jährigen Senators. Nicht alle Todesurteile werden vollstreckt, und 20 Tage, die bis zum 4. November bleiben, sind eine lange Zeit im Wahlkampf. Aber die Gingrich-Alternative ist keine echte Alternative für McCain. Wenn seine Parteigenossen von ihm erwarten, dass er Obama in der letzten Debatte am Mittwochabend bei der Wirtschaftspolitik aus dem Feld schlägt, erwarten sie Übermenschliches von ihm.

McCain muss sich selbst verleugnen

McCains Pech ist, dass seine eigenen wirtschaftsliberalen Grundsätze aus der Mode gekommen sind. Das Schimpfwort “Sozialist”, früher ein sicheres Mittel, bei US-Wählern Angst vor einem Demokraten zu wecken, taugt nicht mehr als Waffe. Wer kann noch etwas gegen Sozialisten haben in einem Land, in dem auch Kapitalisten keinen Rat mehr wissen, als nach dem Staat zu rufen?

Die Ereignisse zwingen den Republikaner, gegen seine eigenen Überzeugungen zu argumentieren: Er muss staatliche Rettungsaktionen für Banken gutheißen und Hilfen für verschuldete Hausbesitzer fordern. Das klingt nicht viel anders als das, was der Demokrat Obama fordert. Doch der kann im Rahmen seiner eigenen Überzeugungen argumentieren – und das wirkt überzeugender.

McCains zweites großes Pech ist, dass sein Typus Politiker nicht zu dieser Zeit passt. Er ist der mutige Macher, der nicht zögert und zaudert im Angesicht des Feindes. Anders als der junge Träumer Obama, der sich in akademischen Ausführungen verheddert, sobald er in die Niederungen der Sachpolitik hinabsteigt. Sogar Obamas Helfer maulten oft, dass ihr Kandidat nicht aggressiv genug sei.

Doch der Feind ist derzeit weder der Kommunismus noch der radikale Islam. Die USA sind im Kampf mit ihrem eigenen System. Das ist psychologisch komplex und erfordert eine andere Art der nationalen Einheit als eine terroristische Bedrohung. Nicht schnelles, sondern besonnenes Handeln ist gefragt. Die potenziellen Schwächen des Harvard-Akademikers Obama, der den intellektuellen Diskurs liebt, sind heute seine größten Stärken. Dem ehemaligen Juraprofessor fällt es leichter, komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge zu erklären, als McCain.

Jetzt sind vor allem die klügsten Ideen gefragt. Obama sortiert und bündelt sie – und kann so nebenbei einen Beleg für seine Fähigkeit erbringen, lagerübergreifend zu arbeiten. Als Favorit kann er auch McCains Vorschläge gönnerhaft integrieren. So applaudierte er der Idee des Gegners, der Rentnern erlauben will, den Stichtag für die Auflösung ihrer Pensionsfonds zu verschieben, bis die Märkte sich beruhigt haben. Er setzte selbst noch eins drauf, indem er Berufstätigen erlauben will, in Notzeiten an die Rentenersparnisse zu gehen.

Ideologie ist Nebensache in diesen Chaostagen. Für die USA gilt derzeit das Motto des chinesischen Reformers Deng Xiaoping, der sein Land mit folgendem Satz von der reinen Lehre des Kommunismus wegführte: “Egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache sie fängt Mäuse.” Und derzeit trauen die meisten Amerikaner Obama eher zu, dass er die Mäuse fängt – und werfen dafür offenbar auch Vorurteile über Bord. In einer Umfrage des Senders CNN halten 50 Prozent Obama für das “geringere Risiko”, McCain, der Kandidat der Erfahrung, kommt nur auf 45.

Auch Rassisten wählen Obama

Die Grenze zwischen Schwarz und Weiß wurde auch im wörtlichen Sinn aufgehoben. Wenn die Umfragen stimmten, hieße das, dass “Hunderttausende Rassisten” Obama wählen würden, schreibt das Onlinemagazin Slate – trotz einer Kampagne, die ihn als heimlichen Muslim darstellte.

Doch der Wertekampf ist in die zweite Reihe gerückt, und das macht Obama immun gegen die übliche Wahlkampftaktik der Republikaner. Waffen, Abtreibung und Homoehe sind niemandem wichtiger als der eigene Kontostand. Wen kümmert es da, dass Obama irgendwann einmal mit einem linken Ex-Revoluzzer verkehrt hatte?

Die bittere Wahrheit für McCain heißt: Auf argumentativem Weg ist diese Wahl für ihn kaum noch zu gewinnen, und auch Charakterattacken auf den Gegner wirken derzeit nicht. Nur noch monströse Ereignisse könnten ihn retten: eine wahrhaft schmutzige Enthüllung über Obama oder eine neue existenzielle Bedrohung wie ein Terroranschlag. Aber nicht einmal McCain kann wünschen, dass der Himmel noch einmal einstürzt.

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