Despair on the Right

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Rechte Verzweiflung

Von Thomas Kleine-Brockhoff | © ZEIT ONLINE 21.10.2008 – 18:09 Uhr

Amerikas Konservative zerfleischen sich selbst – obwohl ihre Niederlage nicht mal besiegelt ist. Besonders erzürnt sie die republikanische Vizekandidatin Palin

Zwei Wochen vor der Präsidentenwahl setzt sich unter den Republikanern die Ansicht durch, dass wohl etwas fundamental schief gelaufen ist in diesem Wahlkampf. Von der einstigen Kampfbrigade der neokonservativen Autoren ist nichts mehr zu sehen und zu lesen. Stattdessen gehört den Abweichlern das Feld.

Peggy Noonan zum Beispiel. Sie hat besonderes Gewicht. Nicht allein, weil sie eine wöchentliche Kolumne im Wall Street Journal schreibt. Vielmehr ist Noonan eine Legende unter den Neocons: Sie war einst Redenschreiberin von Ronald Reagan, und durch sie erscheint es weiten Teilen der konservativen Bewegung in den USA, als spreche der große Lehrmeister auch weiterhin wöchentlich zu ihnen.

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Noonans Hauptobjekt der Kritik ist McCains Entscheidung, Sarah Palin zu seiner Mitstreiterin im Wahlkampf zu machen. Ihre Kandidatur, schreibt Noonan, sei “Symptom und Ausdruck einer neuen Vulgarisierung der amerikanischen Politik”.

Für Noonan beginnt das Drama schon bei der Sprache der Vize-Kandidatin, die beständig Silben verschluckt, um volkstümlich zu wirken. Ist denn, fragt Noonan, ein Snob, wer korrektes Englisch spricht? Wann gehe gesunder Populismus in gefährliche Propaganda über?

Sieben Wochen hat sie Palin beobachtet und sieht kaum Anzeichen dafür, dass die Gouverneurin von Alaska “das Handwerkszeug, die Kenntnis oder die philosophischen Grundlagen besitzt, von denen man hofft und erwartet, dass ein Spitzenpolitiker sie mitbringe”. Sie sage “Dinge nur so” und verstehe anscheinend “die Implikationen ihrer eigenen Gedanken nicht.”

Palin scheint die Republikaner inzwischen im Innersten zu zersetzen. Während große Teile der Parteibasis die schiere Chuzpe dieser Frau bewundern und sie bei ihren Auftritten regelrecht anbeten, ist sie der Parteielite bisweilen peinlich. Heather MacDonald vom konservativen Manhattan Institute erwartet von einer Vizepräsidentin in spe “Sätze, die einen minimal-logischen Gedankenaufbau” anbieten und nicht ständig “in syntaktischen Einbahnstraßen” enden. Für Colin Powell ist Palins Ernennung einer der Gründe, zu Barack Obama überzulaufen. Der konservative Kolumnist David Brooks nennt Palin sogar “das Krebsgeschwür der Republikanischen Partei”.

Nirgends wütet es schlimmer als im National Review, jener Zeitschrift, die sich seit mehr als einem halben Jahrhundert als Denkstube der amerikanischen Konservativen versteht. Als die Kolumnistin Cathleen Parker kürzlich von Palin und deren Peinlichkeit schrieb und die Vize-Kandidatin zum Rückzug aufforderte, erhielt sie 12.000 Leserzuschriften. Freundlichkeiten waren das nicht. Die National Review setzte ihre nächste Kolumne ab und sollte doch so schnell nicht zur Ruhe kommen.

Vergangene Woche schrieb der Novellist Christopher Buckley, Sohn des Zeitschriftengründers und Ahnherren des konservativen Intellektualismus: “Sorry, Dad, ich werde Obama wählen.” Die National Review wertete dies als Illoyalität und feuerte Buckley.

Dabei hatte der nur verwundert die Wandlungen des John McCain konstatiert. Als “authentisch” und “unkonventionell” sah er McCain einst, als einen, der den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht sagt. Doch nun, meint Buckley, “hat McCain sich verändert”. Er habe zugelassen, dass die Wahlkampagne ihn entstelle. Er sei nunmehr “unauthentisch”, argumentiere “unzusammenhängend”. Wer wolle denn etwa glauben, fragt Buckley, dass McCain den Haushalt tatsächlich binnen vier Jahren ausgleichen werde?

Gerade der Mangel an Kohärenz enttäuscht die konservativen Gefolgsleute. David Brooks, der einst an einer Biografie McCains arbeitete, vermisst ein “zentrales Argument”, ein “großes Narrativ”. Er erhofft von seinem Kandidaten vergeblich, dass er erkläre, wie und warum “Amerika auf fundamentale Weise unvorbereitet für das 21. Jahrhundert” sei.

Vielleicht erwartet die konservative Intelligentsia auch nur zu viel von ihrem Bannerträger. Ein Kandidat kann nicht allein die Defizite einer ganzen Partei wettmachen. “Ideen haben Konsequenzen”, hatte vor einem halben Jahrhundert der konservative Vordenker William F. Buckley ausgerufen. Damals ging es darum, das geistige und kulturelle Monopol der Linken zu brechen. So erfolgreich gelang dies, dass die Rechte auf Jahrzehnte, bis hinein in die Ära George Bushs, die intellektuelle Lufthoheit für sich reklamieren konnte.

Wenn Ideen Konsequenzen haben, gilt das aber eben auch für deren Abwesenheit. Womöglich sind Sprunghaftigkeit und Inkonsistenz des Kandidaten McCain mehr als nur Charakterzüge. Denkbar, dass sie die geistige Erschöpfung der amerikanischen Konservativen symbolisieren. Seit 40 Jahren kämpfen sie für niedrigere Steuern. Das Ziel ist erreicht, niedriger geht’s nimmer. Seit 40 Jahren kämpfen Konservative für Entstaatlichung und Deregulierung. Spätestens seit dem Crash der Wall Street lässt sich mit solchen Zielen sogar im kapitalismusstolzen Amerika kein Wahlkampf mehr führen.

Richtungsfragen zu diskutieren, kann Jahre dauern, vielleicht Jahrzehnte. Zunächst wird sich in zwei Wochen zeigen, ob die Debatte unter den Konservativen mehr als nur den engen Kreis der Parteielite erreicht und verunsichert hat.

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