Obama and Us

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Obama und wir

Von Werner A. Perger | © ZEIT ONLINE 29.10.2008 – 08:26 Uhr

Der Demokrat vertritt das europäische Modell des Sozialstaats – und wird dafür von den Rechten bekämpft. Sein Wahlkampf ist daher auch unser Wahlkampf

Ein Wahlsieg Barack Obamas am 4. November hätte politische Fernwirkung. Das wäre ein “Linksruck“ in den USA, sagen Obama-Helfer in Washington, und das kann nicht folgenlos bleiben. Aus Sicht der europäischen Sozialdemokraten wäre es, wie es Obamas Wahlslogan formuliert, genau der “Change We Need“, der Wandel, der uns helfen kann. Mag sein.

Dass die Veränderung in Europa spürbar wäre, versteht sich jedenfalls von selbst in einem historischen Moment, in dem die Industrienationen nach einer gemeinsamen Strategie zur Bewältigung der globalen Finanzkrise suchen. Eine US-Regierung unter Führung von Obama, die auf Zusammenarbeit setzt, würde die Weltlage grundlegend verändern.

Darüber hinaus wirkt der Kandidat der Demokraten, so sehr er biografisch ein Produkt der amerikanischen Kultur ist und so wenig er Europa aus eigener Anschauung kennt, aufgrund seiner politischen Visionen “europäischer“ als alle anderen führenden Figuren der gegenwärtigen US-Politszene, einschließlich Bill Clinton. Sein politisches Profil ist in mancher Hinsicht sogar europäischer als das mancher Politiker auf dem alten Kontinent, die sich nach angelsächsischen Vorbildern modelliert haben.

Dass Obama zu den Europäern passt, bestätigen vor allem seine Gegner, die amerikanische Rechte. Sie führt einen aggressiven Wahlkampf gegen ihn als Kandidaten der “Linken“. Innerhalb der Linken ist zwar umstritten, ob man Obama überhaupt so einordnen kann.

Für die Republikaner und ihr Wahlkampfteam reicht es aber, dass er – aus ihrer Sicht – umstürzlerische Ansichten hat. Manche nennen sie “unpatriotisch“ oder “unamerikanisch“. Zu Zeiten des berüchtigten Kommunistenjägers Joe McCarthy, geistiger Ahnherr vieler Nachfahren im ganzen Lande, nannte man das “unamerikanische Umtriebe“. Dazu gehört Obamas Werben für ein kollektives Gesundheitssystem, für staatliche Eingriffe zur Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit, für mehr Gewerkschaftsrechte und Mitsprache am Arbeitsplatz, für die Öffnung qualifizierter Bildungswege für sozial Schwache, für die Umverteilung der Steuerlasten durch stärkere Inanspruchnahme der Superreichen.

Irgendwie erinnert das an das viel zitierte “europäische Modell“ des Sozialstaats. John McCain und Sarah Palin denken dabei, vielleicht ein bisschen zwangsneurotisch, an Kollektivismus, Zwangsbeglückung, Sozialismus, Kommunismus. Und nennen Barack Obama, der irgendwann einmal leichtfertig von “Umverteilung“ gesprochen hatte, einen “Sozialisten“. Seither steigen McCains Umfragewerte.

Obama, dieser neu entdeckte amerikanische “Linksradikale“, hätte im “europäischen Volk“, wie wir aus Umfragen wissen, eine klare Mehrheit, was ihm in Amerika nicht hilft (obwohl es vermutlich inzwischen weniger schadet, als noch vor vier Jahren). Mit seinem Programm des “Wandels“, mit dem er Amerika schrittweise an das Sozialniveau des OECD-Durchschnitts heranführen will, passte er ohne weiteres in das bunte Personalpanorama mit Leuten wie Gordon Brown und José Luis Zapatero, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy (von Kaczynski oder Berlusconi mal abgesehen). Franz Müntefering, Frank Steinmeier und Peer Steinbrück gehören natürlich auch dazu. Jürgen Rüttgers bekäme wohl ebenfalls Zutritt (obwohl seine Bildungspolitik der Frühsortierung eher zu Bush und McCain passt), Horst Seehofer gleichfalls (der Streit der CSU mit den Berliner Koalitionspartnern wegen der Erbschaftssteuer ist, verglichen mit den Konflikten in Amerika, weniger als “peanuts“).

Egal: Für die wild gewordene amerikanische Rechte sind sie alle “Sozialisten“, wie Obama. Mit ihm sitzen sie symbolisch auf der Anklagebank jener Altideologen, die sozialpolitisch den schwachen Staat predigen, zugleich der Welt aber einen Krieg aufgezwungen haben, an dessen Folgen der Westen noch lange leiden wird. Die transatlantischen “Linken“ werden als vermeintliche Kollektivisten und Kommunisten ausgerechnet von jenen Leuten verdächtigt, deren flächendeckender Deregulierungs-Dogmatismus den Zusammenbruch des amerikanischen Finanzsystem wenn schon nicht direkt herbeigeführt, so doch durch Verhindern einer wirksamen Prävention ermöglicht hat.

Insofern ist Amerikas Wahlkampf auch unser Wahlkampf. Zur Debatte steht auch, ohne dass es so ausdrücklich angesprochen wird, das europäische Modell sozialer Gerechtigkeit als Basis des Zusammenhalts einer demokratischen Gesellschaft. Wenn Obama verliert, hätten nicht nur Europas Sozialdemokraten mit ihm verloren, sondern auch die Idee sozialer Gerechtigkeit.

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