America first oder Global Village
Die Wahl zwischen McCain und Obama: Eine Weichenstellung für die US-Außenpolitik, deren Entscheidung aus gutem Grund auch die Europäer entgegenfiebern
Eigentlich, war in den vergangenen Wochen oft zu hören, macht es für die Welt keinen großen Unterschied, wer neuer amerikanischer Präsident. Beide, Barack Obama und John McCain, müssen zuerst an amerikanische Interessen denken und dadurch mit der EU und anderen Mächten genauso zusammenstoßen. Die Außenpolitik der beiden werde in den Grundzügen ziemlich ähnlich sein, die Europäer sollten sich nicht zu sehr auf Obama freuen.
Eine überzeugend klingende Meinung, die allerdings eine wesentliche Facette der amerikanischen Politik übersieht. Die große Kluft in der Debatte über Außenpolitik verläuft heute nämlich nicht durch den Atlantik – sie verläuft mitten durch die USA.
Das “rote” Amerika der Republikaner ist in der Frage, welche Rolle die Supermacht in der Weltpolitik spielen soll, vom “blauen” Amerika der Demokraten genauso weit entfernt wie in der Steuerpolitik oder in gesellschaftlich-religiösen Fragen wie Abtreibung oder Stammzellenforschung. Das schlägt sich weniger in den konkreten Positionen der beiden Kandidaten zu aktuellen internationalen Konflikten nieder – hier müssen sich beide nach den Sachzwängen richten – als in der prinzipiellen Weise, wie sie die Welt sehen.
McCain gehört zu den “Exzeptionalisten”
McCain gehört zu jener Denkschule, für die Amerika eine außergewöhnliche Erscheinung in der Weltgeschichte ist – den “Exzeptionalisten”. Er ist zwar zu internationaler Zusammenarbeit bereit, aber niemals dürfen die USA dabei ihre demokratische Verfassung und ihre Institutionen einer höheren Instanz unterwerfen – keinem internationalen Gerichtshof, keinem Völkerrecht und auch der UNO nur, wenn es gerade passt. Multilateralismus ist für ihn bloß ein Instrument zur Verfolgung nationaler Interessen oder ideologischer Werte. McCains Slogan “Country first” bedeutet auch “America first”. Im Kern würde er als Präsident den Unilateralismus der Bush-Ära fortsetzen.
Obama sieht sich als Teil des “Global Village”
Obama hingegen sieht sein Heimatland als Teil des “Global Village”: Amerikas Interessen sind eng mit jenen anderer Länder verknüpft, wie er bereits in seiner Rede in Berlin dargelegt hat. Diese Haltung mag mit seiner Biografie zusammenhängen – Vater aus Kenia, aufgewachsen in Indonesien. Aber er steht damit nicht allein da. So wie dieser dunkelhäutige Spross einer multiethnischen Gesellschaft denkt auch der Großteil der amerikanischen Außenpolitik-Experten, die an den führenden Universitäten unterrichten und regelmäßig in Foreign Affairs, der Bibel der Ostküsten-Multilateralisten, schreiben. Zwischen ihnen und dem intellektuellen Mainstream in Europa gibt es meist nur taktische Differenzen.
Nun war auch die Clinton-Ära von zahlreichen transatlantischen Konflikten geprägt. Aber diese waren meist auf die republikanische Mehrheit im Kongress zurückzuführen. Bill Clinton selbst hingegen unterstützte Europas große Anliegen wie den Internationalen Strafgerichtshof, das Kioto-Protokoll oder den Atomtest-Sperrvertrag.
Obama als eine Art Ehren-Europäer
Eine unterschiedliche Weltsicht macht einen anderen Ton, und der schlägt sich direkt in den Beziehungen nieder. Wahrscheinlich wird McCain mit den EU-Spitzen besser auskommen als Bush, denn er kennt die Europäer gut und versteht ihre Anliegen. Er wird nicht Iran aus einer Laune heraus bombardieren und auch mehr für den Klimaschutz tun. Dafür wird Obama Anlass finden, mit Deutschland und Frankreich über Truppenentsendungen nach Afghanistan oder Sanktionen gegen Teheran zu streiten.
Aber während bei McCain die Entfremdung mit Europa wohl weitergeht, würde mit Obama eine Art Ehren-Europäer ins Weiße Haus einziehen. Es gibt guten Grund, dass auch Europa dieser Entscheidung entgegenfiebert. (Eric Frey, DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2008)
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