Unser kleiner Hassan?
Von Michael Thumann | © ZEIT ONLINE 6.11.2008 – 19:24 Uhr
Zwischen Jubel und voreiliger Verdammung: Wie sich die muslimische Welt auf Barack Hussein Obamas Präsidentschaft einstellt
W. geht, H. kommt. Nach dem George W. Bush nun also Barack H. Obama. Das Kürzel H. steht für Hussein, und das lässt keinen Muslim gleichgültig. Hussein bedeutet “Kleiner Hassan und leitet sich vom arabischen Wort hasuna ab, was so viel wie schön und gut heißt. Kein Geringerer als Hussein ibn Ali ibn Abi Talib, der Enkel des Propheten, hieß so mit erstem Namen. Kein Wunder also, dass die Wahl Obamas zum 44. US-Präsidenten die muslimische Welt durchschüttelt.
Obamas Siegesrede in der Wahlnacht wurde auf allen Satellitenkanälen von al-Dschasira live übertragen. Gaza? Irak? Afghanistan? Nein, Obama war die Nachricht der Stunde. Zwei Tage danach quellen die muslimischen Blogs und Zeitungen über von überschwänglichem Jubel und voreiliger Verdammung. Obama inspiriert die Teestuben von Kairo bis Kabul.
Fangen wir mit Saladin an, der auf Islam online im Diskussionsforum “Barack Hussein Obama Was erwarten Sie? schreibt: “Die Erde bebt. Das ist gigantisch, kosmisch, ungeheuerlich. Wenn die Amerikaner einen Schwarzen zum Präsidenten wählen, warum wählen wir nicht Joe, den Klempner, zum Kalifen?” Die Welt sei ein Ort der Verwirrung, kein Vorurteil stimme mehr. “Allah allein weiß es am besten.”
Ihm antwortet Hassan, der vorsichtiger ist: “Ich bin nicht für Obama, aber in seinem Sieg sehen wir die Anstrengung jener Amerikaner, die das Böse mit dem Guten überwinden wollen. Bevor die absolute Wahrheit auf der Erde triumphiert, muss sie dort beginnen, wo das absolute Böse zu finden ist in Amerika.”
Wer ist schon Saladin, wer ist schon Hassan, könnte man sagen. Natürlich sind sie anonyme Blogger, doch in ihren schnell in den Rechner getippten Botschaften lässt sich mehr lesen als in den wohl zurechtgefeilten Kommentaren der ägyptischen oder iranischen Regierungspresse.
In der arabischen Welt gibt es beileibe keine besondere Sympathie für Schwarze, in Ägypten zum Beispiel gelten die dunkelhäutigen Nubier und Sudanesen nicht als schön. Früher waren sie die Sklaven der Araber. Heute langen manche Ägypterinnen morgens vorm Spiegel in den Topf mit “B-White-Cream” zur vorsichtigen Aufhellung des Teints. Obama also ist bei Arabern nicht als Schwarzer attraktiv, sondern als Präsident mit einem muslimischen Namen und als Abweichung von der weiß-protestantisch-angelsächsischen Norm.
Und damit verbindet sich eine gewisse Hoffnung. In Saudi-Arabien lobt der Geschäftsmann Ali al-Harithi in der Tagespresse die US-Demokratie, die einen Mann “mit einem muslimischen Vater ins Weiße Haus gebracht” habe. Das zeige, dass die Amerikaner nicht rassistisch seien. “Sie haben Obama gewählt, um die Ablehnung der konservativen Politik der alten Administration zu zeigen.” Hier liegt wahrscheinlich der übergreifende Konsens der muslimischen Völker: Die Erleichterung darüber, dass die Welt von George Bush, dem Schrecken der sieben Meere in den vergangenen acht Jahren, endlich befreit ist.
Jenseits davon aber scheint schon heute auf, woran die muslimische Freude über Obama alsbald in Skepsis oder Ablehnung umschlagen könnte. Der libanesische Schiitenführer Nabih Berri warnt davor, den Bush-Schock jetzt schnell zu vergessen: “Die Amerikaner versuchen sich mit der Wahl von Obama von der Vergangenheit reinzuwaschen. Eine großartige Demokratie hat ihnen dabei geholfen”. Da ist immerhin noch ein halbes Lob zu hören. Die iranische Zeitung Dschumhoriet-e Islami greift Obama direkt an und behauptet, “dieser schwarze Mann” werde nur einige “zeremonielle Prozeduren” verändern, während die Strukturen von “Kapitalisten, Zionisten und Rassisten” blieben. Und der ägyptische Satellitensenderscheich Jussuf al-Qaradawi warnt vor den Demokraten, “die den Arabern nicht weniger feindlich gesonnen” seien als die Republikaner. “Die Demokraten töten dich nur langsamer. Sie sind wie die Schlange, deren Zugriff du nicht fühlst, bis das Gift in deinen Körper eingedrungen ist.”
Ob derlei Einschätzungen Massenware werden, hängt von Amerikas Politik im Mittleren Osten ab. Sind Bomben auf radikale Muslime in Pakistan, die Barack Obama selbst vor nicht langer Zeit ins Gespräch brachte, besser als die Bomben von George Bush im Irak, nur weil Barack Hussein Obama den Feuerbefehl gegeben hat? Sicherlich nicht, meint der Blogger Asad. Und: Wird die amerikanische Rückendeckung für Israel im nächsten Krieg gegen den Libanon für Araber erträglicher, nur weil H. dazu wohlwollend schweigt und nicht W.? Das sind heikle Fragen, die schon heute auf den arabischen Netzseiten zu lesen sind.
So wird Obama am Ende nicht an seiner Hautfarbe gemessen, nicht am Anfangsbuchstaben H., sondern an seinen Taten. Es ist schon fast vergessen, dass die amerikanischen Muslime im Jahre 2000 überwältigend für einen Mann stimmten, den sie heute am liebsten vergessen würden: W.
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