What Awaits the New President

Edited by Louis Standish

<--

Was auf den neuen Präsidenten wartet

von Torsten Krauel, Korrespondent in Washington

05.11.2008 – 13.39 Uhr

Nach einem Jahrzehnt der Außenpolitik muss sich Barack Obama, der neue starke Mann im Weißen Haus vor allem innenpolitischen Herausforderungen stellen.

Der neue Präsident, sagte Franklin Roosevelt 1932, habe unter anderem folgende Aufgaben zu erfüllen: Regulierung des Finanzmarkts, Arbeitsbeschaffung, Senkung der Zölle, Lohn- und Arbeitszeitgesetzgebung, Garantien für den Hypothekensektor. Dafür „muss unsere Partei von liberaler Gesinnung sein, durchdacht handeln, aufgeklärt in ihrem Blick auf die internationale Lage, und mit dem Ziel größtmöglichen Wohlstands für die größtmögliche Zahl von Amerikanern“. Um das durchzusetzen, forderte Roosevelt dann in seiner Amtseinführungsrede „das einzige noch taugliche Instrument – umfassende Regierungsvollmachten, um einen Krieg gegen die Notlage zu führen, Vollmachten von einem Umfang, wie sie mir anvertraut würden, sollte Amerika tatsächlich von einem auswärtigen Feind angegriffen werden“.

War das ein Blick in die unmittelbare Zukunft? Für den Nachfolger George W. Bushs geht es fast um dieselben Themen, und genau wie damals könnte der Leitsatz lauten: „Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Angst selbst – namenlose, gedankenlose, unberechtigte Angst, die alle Versuche, das Rad wieder in Schwung zu bringen, von vornherein erstickt.“

Drei große innenpolitische Aufgaben

Heute gibt es innenpolitisch drei große Aufgaben – die Eindämmung der Finanzkrise, der Umbau des Sozialstaats, die Generalüberholung der Infrastruktur inklusive umweltwirksamer Maßnahmen. Alle drei Felder kosten viel Geld. Die Haushaltslage ist nach dem Finanz-Hilfspaket so angespannt, dass der neue Präsident sofort entscheiden muss, welche der drei Aufgaben zeitlich geschoben werden muss. Der Kampf darum wird das erste Halbjahr 2009 prägen. Eine starke Strömung der Demokraten möchte sofort den Klimaschutz anpacken, eine ebenso starke Strömung der Republikaner die Energie-Autarkie der USA. Eine noch stärkere Strömung in beiden Parteien möchte eine nationale Krankenversicherung einführen, die Demokraten etwas dringlicher als die Republikaner. Und alle Politiker, Demokraten ebenso wie Republikaner, wollen sofort den Kredit- und Immobilienmarkt retten. Letzteres wird die erste Priorität werden, zu Lasten des Klimaschutzes, und vielleicht sogar der Krankenkasse.

Das liegt an der amerikanischen Definition sozialer Sicherheit über Eigentum statt Staatszahlungen, gerade auch über Hauseigentum. Die Definition ist Resultat der amerikanischen Geschichte. Sie war deshalb in beiden Parteien eine starke Antriebskraft für die Ausreichung von Billigkrediten.

In der eroberten Freiheit auf eigenen Füßen stehen

Der demokratischen Einwanderergesellschaft, im positiven wie negativen Sinn geprägt von Eigenbrötlern und Individualisten, fehlt das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl des Kampfes gegen eine Herrschaft von oben. Europa ist es seit dem Mittelalter gewohnt, Sozialpolitik als politischen Freiheitsgewinn sozialer Gruppen und Klassen zu sehen. Ständekampf war bis 1945 Freiheitskampf, in der DDR sogar bis 1989; die Tarifautonomie, und mit ihr die Gewerkschaften, besitzen in Deutschland Verfassungsrang.

Amerika hat nie eine absolutistische Herrschaft oder eine Diktatur erlebt. Es ging seit 1776 der überwältigenden Mehrheit nicht darum, in einem Staat schrittweise Freiheit zu erobern. Es ging darum, in der eroberten Freiheit auf eigenen Füßen zu stehen, und das hieß, Eigentum aufzubauen. Die dominierende soziale Ambition war der Besitz einer Farm oder eines eigenen Hauses, die prägende Bruchlinie war die Sklaverei. Ihre Überwindung hieß neben den Bürgerrechten kurz und bündig: Erwerb von Hauseigentum auch durch Schwarze.

Die “Basis des amerikanischen Traums” verteidigen

Die Demokraten fanden 1979, dass Schwarze dabei zu wenig Fortschritte gemacht hatten, und verpflichteten die staatlichen Hypothekenbanken, einen Teil des Gewinns ausdrücklich in Billigkredite an Minoritäten zu investieren. Eine der ersten Maßnahmen Bill Clintons 1993 war es, das Gesetz noch zu verschärfen. Die Republikaner waren nach 2001 beunruhigt über die wachsende Schieflage. Zugleich verwies George W. Bush gern auf die hohe Wohneigentumsquote gerade unter Minoritäten.

Die Hypothekenkrise trifft Amerika nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geistig ins Mark, wie schon 1932. Wer Amerika bei ihr im Stich lässt, besonders als schwarzer Präsident, wird bei den Kongresswahlen 2010 sein blaues Wunder erleben. Man kann damit rechnen, dass Bushs Nachfolger tatsächlich viele Hebel in Bewegung setzen wird, um die „Basis des amerikanischen Traums“ zu verteidigen.

Krankenversicherung nicht auf die lange Bank schieben

Die Krankenversicherung kann deshalb nicht auf die lange Bank geschoben werden. Beide Parteien haben viel Aufhebens von ihr gemacht, die Demokraten mehr als die Republikaner. Barack Obamas Krankenkassenreform sollte nach seiner Schätzung fünfzig bis 65 Milliarden Dollar kosten, finanziert durch moderate Steueranhebungen für Gutverdienende. Nach dem Finanzdebakel fehlen 700 Milliarden Dollar. Obama kündigt an, mit spitzem Stift über sämtliche Ausgabenposten gehen zu wollen. Man kann davon ausgehen, dass die Krankenversicherungsreform dabei nicht gestrichen wird. Gestrichen wird anderes.

Obama nennt die Kriegskosten im Irak. Deren Rückführung wird nicht ausreichen. Es wird zum ersten Mal seit den Zeiten Roosevelts eine Lage eintreten, in der es heißt: eine bessere Krankenversicherung oder ein neuer Flugzeugträger.

Unter Roosevelt war die Stimmung der Bevölkerung in der Wirtschaftskrise militant isolationistisch. In der Demokratischen Partei ist heute Isolationismus latent vorhanden, verbunden mit latentem Protektionismus. Franklin Roosevelt kämpfte von Anfang an gegen solche Tendenzen, weil er schon 1933 Hitler als potenziellen Gegner betrachtete. Roosevelt musste aber Konzessionen an den Zeitgeist und an die Finanzzwänge der Krise machen.

Den Realitäten Rechnung tragen

George W. Bushs Nachfolger wird keine Konzessionen machen, wenn es um den Kampf gegen al-Qaida geht. Er wird aber an anderer Stelle den Realitäten Rechnung tragen. Die sehen im Fall Iran, Nahost, Pakistan, China, Nordkorea oder dem Klimaschutz nicht so aus, dass Europa den sanften diplomatischen Part übernehmen und ansonsten darauf vertrauen könnte, Amerika werde sich kostenwirksame Lieblingsideen der Alten Welt widerspruchslos zu eigen machen. Bushs Ausscheren aus der transatlantischen Gemeinschaft war kein Ausrutscher. Amerika hat mit dem Ende des kalten Krieges, mit dem Aufstieg Asiens und mit dem Angriff des pervertierten Flügels des Islam zu seinem Gründungsimpuls als Solitär zurückgefunden. Unter seinem Nachfolger bekommt der Impuls womöglich die Kontur: Ein Flugzeugträger weniger, ein Sozialprogramm mehr.

Das hat Folgen für das europäische Weltbild. Europa, nicht zuletzt auch Deutschland, hat in den vergangenen zwanzig Jahren eine Außenpolitik von aufwallender Unstetigkeit geführt. 1988 war man für die Anerkennung der DDR, 1990 für die Wiedervereinigung. 1991 wurde Jugoslawien entschlossen zerschlagen und Washington gebeten, sich herauszuhalten, 1995 bat man die USA Hände händeringend um Hilfe. 1999 wollte Europa den Krieg gegen Serbien ausdrücklich auch ohne UN-Mandat, 2002 bestand es ausdrücklich auf einem UN-Mandat gegen Saddam. Zugleich erklärte Berlin, falls das UN-Mandat den Krieg einschließe, werde man es ignorieren. Nur Monate später drohte Berlins engster Partner in Paris aus heiterem Himmel mit dem Atomwaffen-Ersteinsatz gegen Terroristen und ihre Unterstützer. Russland war binnen weniger Jahre mal eine lupenreine Demokratie, mal eine gefährliche Großmacht. China wurde hofiert, dann plötzlich empfing man aus heiterem Himmel den Dalai Lama im Kanzleramt.

Zusammen mit Europa wieder eine neue gemeinsame Plattform schaffen

Unter dem Strich war Europa nach dem Ende des Kalten Krieges eine triebhaft eurozentrische, ja euro-egoistische Macht. Fühlten die EU-Kernmächte ihre Interessen bedroht, war für sie ein UN-Sicherheitsratsbeschluss nur ein Fetzen Papier. Sahen sie lediglich die Interessen ihres Alliierten USA bedroht, behielten sie sich vor, Amerika zu unterstützen, abseits zu stehen oder Washington Knüppel zwischen die Beine zu werfen, indem ein UN-Sicherheitsratsbeschluss zur Bibel erhoben wurde.

Europa war nicht minder erratisch und egoistisch, als die Europäer George W. Bush vorwarfen – nur war Europa es über einen längeren Zeitraum als die USA. Für eine funktionierende neue Weltordnung unter Bushs Nachfolger wird es am wichtigsten sein, dass die EU-Kernstaaten solche Unberechenbarkeit überdenken und nicht mehr nur ihre eigenen Interessen zum Maßstab aller Dinge machen. Der ständige Kampf um Einfluss und Mehrheiten im Europäischen Rat verführt dazu, sich im europäischen Kräftefeld durch außenpolitische Aktionen zu profilieren. Das schimmerte bei vielen Konflikten mit Washington unübersehbar durch.

Bushs Nachfolger hat aber klare innenpolitische Prioritäten, und damit auch klar umrissene außenpolitische Präferenzen. Er wird nicht einfach wieder in einen Geleitzug einscheren, dessen Tempo und Ziel Europa vorgibt. Zu einem neuen Realismus auf beiden Seiten des Atlantiks gehört die Anerkennung, dass die europäischen Staaten legitime Grundsatzinteressen verfechten, die mit amerikanischem Denken nicht immer übereinstimmen. Zu ihm gehört es aber auch anzuerkennen, dass der Satz „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ seit Ronald Reagans Zeiten, besonders aber gegenüber George W. Bush, mit fast genauso großer Verve von den Europäern vertreten wurde. Die Aufgabe des Nachfolgers ist es nun, zusammen mit Europa wieder eine neue gemeinsame Plattform zu schaffen. Davon, ob sie zustande kommt, hängt wahrscheinlich die Lösung so gut wie aller Konflikte ab – vom Nahen Osten über Iran und Pakistan bis hin zum Klimaschutz und der neuen Weltfinanzordnung.

Franklin Roosevelt wurde nach der Überwindung der Weltwirtschaftskrise zum Vater der Atlantik-Charta und der Vereinten Nationen. Er wurde das, weil er die Interessen des eigenen Landes nur bis zu einem bestimmten Grad über diejenigen anderer stellte. Wenn Europa von Bushs Nachfolger Ähnliches erhoffte, ohne auch den eigenen europäischen Egoismus auf den Prüfstand zu stellen, würde eine große Chance vertan.

About this publication