The Hunt for Sharks

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Immobilienkrise

Jagd auf die Haie

Die US-Bundespolizei FBI legt den Subprime-Sumpf trocken: Das Ausmaß des kriminellen Treibens ist so groß, dass 181 Ermittler des FBI im Einsatz sind – und Verstärkung aus anderen Abteilungen brauchen.

Die Finanzkrise ist gewachsen aus wilden, ungeregelten Märkten; wenigstens die Maschen des Strafrechts aber haben jetzt, da es zu spät ist, noch einige Betrüger aufgefangen. Im Sommer gingen den FBI-Fahndern bei der “Operation Malicious Mortgage” allein 400 Verdächtige ins Netz, deren Vermögen (und deren Luxus-Autos) wurden eingezogen. Mehr als 30 Banken hat die Polizei zudem im Blick wegen Insiderhandels und Fälschung. “Die Finanzkrise wurzelt in einer Mischung aus schwacher Regulierung und kriminellem Treiben”, sagt Michael Mines, 51, Vize-Abteilungsleiter der Criminal Investigative Division beim FBI.

Volles Risiko bei den Banken

Am Anfang steht der amerikanische Immobilienboom der vergangenen zehn Jahre. Die Zinsen waren so niedrig, dass sich mehr Menschen Häuser leisten konnten als je zuvor, und die Preise stiegen in ungekannte Höhen. Die Banken verteilten das Geld mit vollen Händen. Was dem deutschen Häuslebauer utopisch vorkommt, war jahrelang Geschäftsmodell: In den USA konnte man selbst mit null Dollar Eigenkapital Immobilien kaufen, nicht einmal Gehaltsabrechnungen oder Steuererklärungen forderten die Banken. Die mittellosen “Ninjas” (Kürzel für no income, no job) zogen als Eigentümer in die Vorstädte. “Man musste als Hauskäufer kein Geld auf den Tisch legen”, sagt Mines, “das ganze Risiko lag bei den Banken.” Die aber witterten kein Unheil: Sollte der Schuldner seinen Hauskredit nicht mehr abzahlen, würde die Bank die Immobilie selbst weiterverkaufen – selbstverständlich mit Gewinn.

In diesem überhitzten Markt hatten Betrüger leichtes Spiel. Ein beliebtes Schurkenstück ging so: Der Betrüger Bob kaufte ein Haus im Wert von 200.000 Dollar und verkaufte es für 400.000 an seinen Freund Fred weiter. Ein krimineller Gutachter bestätigte der Bank, dass das Haus 400.000 wert war, und so gewährte die Bank dem Käufer Fred einen Kredit über 400.000 Dollar, die Fred an Bob

überwies. Der Betrüger Bob machte sich mit den 400.000 aus dem Staub, der klamme Freund Fred beichtete der Bank, dass er bankrott sei. Die Bank saß plötzlich auf einer 200.000-Dollar-Immobilie, während Bob mit seinen 400.000 längst über alle Berge war. Den Gewinn teilte er dann insgeheim mit dem “armen” Freund Fred und dem korrupten Gutachter. “Die Banken haben dem Gutachter des Verkäufers oder Maklers blind vertraut”, sagt Mines. Kriminelle haben mit solchen Tricks ein Vermögen verdient, ohne jede Gewalttat und ohne große Risiken. Selbst Straßengangs sollen sich neben ihren üblichen Drogengeschäften mit diesem Trick

bereichert haben.

Spekulationsobjekt Haus

Natürlich waren diese Gaunereien nicht alleiniger Auslöser der Bankenkrise. Unzählige Amerikaner kauften Immobilien, um sie selbst zu bewohnen, oft aber auch als Spekulationsobjekt, weil sie auf steigende Preise setzten. In den USA hieß das “flipping”; man kaufte ein Haus, und wenn man den Gewinn einstreichen wollte,

flippte man es zum Nächsten weiter. Es brachte mehr Geld als Aktien. “In Amerika hieß es schon immer: Kaufe so viele Häuser wie du kannst”, sagt Mines. “Aber mitten im Immobilienboom von 1998 bis 2006 wollte wirklich jeder auf den Zug aufspringen. Es gab sogar eigene Fernsehshows dazu.” Die Kaufwilligen wurden mit Einstiegszinsen von einem Prozent gelockt, und als die Zinsen nach ein paar Jahren wieder stiegen, standen viele Familien vor dem Ruin. Etliche mussten verkaufen, die Preise fielen in sich zusammen, und damit auch die Sicherheiten der Banken. Erst jetzt merkten sie, dass viele Immobilien viel zu hoch beliehen worden

waren.

Die Spekulationsblase platzte und hätte unter normalen Umständen nur die Immobilienfinanzierer getroffen. In den rauschenden Goldgräberjahren aber hatten die ihre Hauskredite paketweise an Großbanken verkauft, die sie wiederum neu zusammenschnürten und den Investmentbanken als Spekulationsobjekt anboten.

Hier nun sitzen die hoch platzierten Kriminellen. Während an der Basis der “mortgage fraud” (Kreditbetrug) grassierte, wucherte in den Chefetagen der Großund Investmentbanken der “corporate fraud”, Delikte wie Bücherfälschung und Insidergeschäfte. “Etliche mittlere und höhere Führungskräfte haben die Katastrophe kommen sehen, sie wussten, dass die Dominosteine fielen”, sagt Mines. Ihren Aktionären und der übrigen Außenwelt machten sie aber vor, dass alles zum Besten stehe, während sie selbst ihre Bankaktien verkauften, weil der Absturz bevorstand. So wie die beiden Bear-Stearns-Manager Ralph Cioffi und Matthew Tannin, die im Sommer verhaftet wurden.

Die Suche nach den Tätern

Die Täter sind leicht zu überführen. “Sie haben eine Papierspur hinterlassen”, sagt Mines. Viele Mitarbeiter seien bereit auszusagen, dass sie auf Anweisung des Chefs Zahlen geschönt und Bücher gefälscht hätten. Die im US-Recht sehr großzügige Kronzeugenregelung bewegt die Bankangestellten dazu, auszupacken. Nicht alle Bankmanager, die die Krise vertuschten, wollten sich bereichern, manche wollten nur ihr Versagen oder das Ausmaß der Katastrophe so lange wie möglich verheimlichen. “In der Regel aber haben die Verantwortlichen gleichzeitig ihre eigenen Aktien verkauft. Nach außen haben sie die eigene Bank hochgeredet, insgeheim aber versuchten sie, so viel Geld herauszuholen wie möglich.” Hätten die Banker früher gestanden, wären etliche Anleger nun zumindest weniger Geld los.

Schon vor vier Jahren warnte FBI-Vize-Direktor Chris Swecker den US-Kongress: “Wenn der Kreditbetrug sich weiter so systematisch verbreitet und wir ihm nicht Einhalt gebieten, wird es am Ende die Geldinstitute gefährden und sich auf die Börse niederschlagen.” Damals mögen im Parlament viele gedacht haben, die Polizei solle sich lieber um die Terroristen kümmern. Bis heute ist nicht klar, wie USParlament und Regierung das Immobilien- und Bankengeschäft künftig kontrollieren möchten. Die Banken dürften nun vorsichtiger sein – wenn sie überhaupt noch Kredite vergeben. Davon abgesehen aber könnte es sinnvoll sein, glaubt Mines, “die Gutachter für Immobilien einer staatlichen Aufsicht zu unterwerfen”.

In diesen Tagen freuen sich die Betrüger aber schon auf ganz neue Geschäfte, glaubt der FBI-Mann. Die US-Regierung wird jetzt die 700 Milliarden Dollar aus ihrem Rettungspaket über das Land verteilen. Das Geld stützt nicht nur Großbanken, sondern auch kleine Immobilienfinanzierer und Familien in Not. Mines fühlt sich da an die Zeit nach dem Hurrikan Katrina erinnert, als der Staat viel Geld ins Katastrophengebiet von New Orleans schickte. In der Krise aber ging alles schnell und unkontrolliert, und plötzlich tauchten allerhand neue Baufirmen auf, die Vorschüsse von den Behörden annahmen, um aufzuräumen und aufzubauen. Es dauerte freilich nicht lange, bis die vermeintlichen Firmengründer mit Tausenden

Dollar verschwunden waren. Das FBI hat daraus gelernt und verbreitet die Lehre der Finanzkrise bei staatlichen und lokalen Behörden: mehr Kontrolle, mehr Misstrauen, mehr kritische Fragen. “Auch diesmal”, sagt Mines, “werden wieder dubiose Gesellschaften aus dem Boden schießen. Wenn 700 Milliarden in eine

Stadt in ihrer Nähe kommen, dann sind auch die Betrüger nicht weit weg.”

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