A Wild and Crazy Thing

<--

Eine verrückte, wilde Sache

Von Katja Gelinsky, Washington

22. November 2008

Obama debattiert während des Wahlkampfs auf einem Forum der Saddleback Church

Wir glauben an die Trennung von Kirche und Staat, aber wir glauben nicht an die Trennung von Kirche und Politik.“ So hatte der prominente evangelikale Pastor Rick Warren im Sommer die Entscheidung begründet, Barack Obama und John McCain zu religiösen, moralischen und sozialen Fragen zu interviewen. Die Veranstaltung in Warrens „Saddleback-Church“, die live im amerikanischen Fernsehen übertragen wurde, markierte einen der Vermischung von Glaube und Politik in den Vereinigten Staaten, die längst institutionelle Formen angenommen hat. Wie eng beides zusammenhängt, hatten die Demokraten für Jahrzehnte teils ignoriert, teils verkannt oder resignierend zur Kenntnis genommen.

Die Vernachlässigung der Religion wog besonders schwer, als Bushs Chefstratege Karl Rove 2004 mit großem Erfolg die weiße, evangelikale Wählerschaft mobilisierte, der der scheidende Präsident nach verbreiteter Einschätzung seine zweite Amtszeit zu verdanken hat. Vor vier Jahren stimmten einundsechzig Prozent der Wähler, die mindestens einmal in der Woche einen Gottesdienst besuchen, für George W. Bush und nur neu neununddreißig Prozent für seinen Herausforderer John Kerry. Dramatisch schlecht schnitt Kerry bei den sogenannten „Wertewählern“ ab, für die moralische Fragen das wichtigste Thema des Wahlkampfs waren. Der Demokrat erhielt nur achtzehn Prozent ihrer Stimmen, während Bush auf einen Anteil von achtzig Prozent kam.

Werte auf der Hausparty

Barack Obama hat daraufhin wie kein anderer demokratischer Präsidentschaftskandidat seit dem evangelikalen Südstaatler Jimmy Carter über seine christlichen Überzeugungen gesprochen und um Amerikaner geworben, deren Wahlentscheidung maßgeblich von Fragen des Glaubens und der Moral geprägt wird. Obamas Wahlkampfteam suchte den Kontakt zu Pastoren, auch solchen, von denen nicht anzunehmen war, dass sie für den Demokraten stimmen würden. Vielleicht, so die Strategie, würden kritische Prediger dann zögern, Obama von der Kanzel zu attackieren. Junge Gläubige wurden auf zahlreichen Veranstaltungen an christlichen Colleges angesprochen.

Ferner regte Obamas Wahlkampfteam „Hauspartys zu amerikanischen Werten“ an, zu denen gastgebende Obama-Anhänger Mitglieder ihrer Kirchen empfingen. Kräftige Unterstützung bei dem Unterfangen, moderat konservative Gläubige zu gewinnen, leisten zudem linksliberale, christliche Vereinigungen, die das religiöse Themenspektrum um Fragen sozialer Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung sowie den Schutz von Umwelt und Klima erweiterten. Obama versuchte Brücken zu Wählern zu bauen, denen sein politisches Programm grundsätzlich zusagte, die sich jedoch daran störten, dass der gewählte Präsident ein Recht auf Abtreibung befürwortet. Die ideologischen Gegensätze wollte Obama entschärfen, indem er dafür plädierte, durch Erziehung von Teenagern zur Enthaltsamkeit und durch staatliche Hilfe für Schwangere die Zahl der Abtreibungen zu senken.

Stimmen in allen religiösen Lagern

Hat sich das Werben um die Gläubigen also gelohnt? Am linksliberalen „Center for American Progress Action Fund“ in Washington, wo religiöse Organisationen vom linken Flügel kürzlich Rück- und Vorschau hielten, sah man sich durch Umfragen zum Abstimmungsverhalten verschiedener religiöser Wählergruppen bestätigt. Nach den Analysen des renommierten Forschungsinstituts „Pew Forum on Religion & Public Life“ in Washington hat Obama, verglichen mit Kerry, fast über das gesamte religiöse Spektrum hinweg Stimmen gewinnen können.

Je nach Glaubensgemeinschaft variiert die Unterstützung für den künftigen Präsidenten jedoch erheblich. Und die größte Verschiebung ergab sich bei Wählern, die keiner Glaubensgemeinschaft angehören; von ihnen stimmten fünfundsiebzig Prozent für Obama, acht Prozent mehr als vor vier Jahren für Kerry. Im Ergebnis, so Greg Smith vom Pew Forum, hätten diese religiös ungebundenen Wähler für Obama eine ähnlich wichtige Rolle gespielt wie 2004 die Evangelikalen für George W. Bush.

Zugewinne bei lateinamerikanischen Wählern

Signifikante Bedeutung haben nach dem Urteil der Wahl- und Religionsforscher vom Pew Center überdies Gewinne, die Obama bei katholischen Wählern verbuchen konnte. Hatten die Katholiken 2004 noch mehrheitlich für Bush gestimmt, so votierten nun vierundfünfzig Prozent von ihnen für Obama. Der Eindruck, dass bei den Katholiken ein politischer Stimmungswechsel stattgefunden hat, täuscht jedoch in mancher Hinsicht. Denn bei den weißen Katholiken kam Obama trotz Zugewinnen gegenüber Kerry nur auf einen Stimmenanteil von siebenundvierzig Prozent. Seine Erfolge bei katholischen Gläubigen hat der künftige Präsident vor allem lateinamerikanischen Wählern zu verdanken.

Inwieweit die Verschiebungen im Wahlverhalten der Katholiken und anderer christlicher Gruppierungen nicht auf religiöse Gründe, sondern auf ethnische Zugehörigkeit und Hautfarbe zurückzuführen sind, das ist eine der zentralen Fragen, die man derzeit am Pew Center zu beantworten sucht. Senior Research Fellow John Green, einer der führenden amerikanischen Forscher zum Thema Religion und Politik, vermutet, die enorme Unterstützung schwarzer Amerikaner für Obama sei eine wesentliche Ursache dafür gewesen, dass es dem künftigen Präsidenten gelang, Stimmen bei Wählern dazuzugewinnen, die mindestens einmal in der Woche zur Kirche gehen. Die These, dass Obamas statistischer Erfolg bei tiefgläubigen Amerikanern zumindest auch durch die Hautfarbe zu erklären ist, sieht Green dadurch bestätigt, dass der Demokrat bei weißen Protestanten mit einem Stimmenanteil von vierunddreißig Prozent nur zwei Prozentpunkte besser abschnitt als Kerry vor vier Jahren.

Religiöser Graben

Bei Evangelikalen jeder Hautfarbe betrug Obamas Stimmengewinn immerhin fünf Prozentpunkte. Maßgeblich dafür war vor allem die Unterstützung junger Evangelikaler, von denen nach Umfrageergebnissen des Meinungsforschungsinstituts „Edison Media Research“ doppelt so viele für Obama wie damals für Kerry votierten. Begleitet werden die generationsbedingten Veränderungen im Wahlverhalten der Evangelikalen von Verschiebungen ihrer Agenda. Für junge Evangelikale zählen nach den Untersuchungen amerikanischer Religionswissenschaftler neben den klassischen Themen Keuschheit sowie Ablehnung von Abtreibung und Homosexuellenehe zunehmend Themen wie Umweltschutz, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit.

Auch die Finanz-, Häuser- und Wirtschaftskrise, die den Wahlkampf dominierte, werde von Wählern des gesamten religiösen Spektrums nicht nur als ökonomisches, sondern als ebenso dringendes ethisches Problem betrachtet, erläutert Green. Trotz vermehrter Unterstützung Gläubiger für den demokratischen Kandidaten habe sich die politisch-religiöse Landschaft aber nicht gravierend verändert. Denn am größten seien Obamas Gewinne bei religiösen Gruppierungen, die ohnehin den Demokraten zuneigten, während die deutliche Mehrheit konservativer weißer Christen für John McCain gestimmt habe, erläutert der Politikwissenschaftler. „Der religiöse Graben existiert weiterhin“, resümiert Green. Anders als 2004 seien es dieses Mal allerdings die Demokraten, die mehr Wähler auf ihrer Seite hätten mobilisieren können.

Bleibende religiöse Prägung

Für die Zukunft erwarten amerikanische Politik- und Religionswissenschaftler, dass Glaubensfragen weiterhin eine höchst kontroverse Rolle bei Wahlkämpfen spielen werden. „Religion ist eine verrückte, wilde Sache, deren Sprache und Symbole für Außenstehende oft unverständlich sind“, gibt Paul Raushenbush, ein Baptistenprediger und Religionswissenschaftler an der Universität Princeton, zu bedenken. Das Konfliktpotential, das dem Wahlkampfthema Religion innewohne, habe sich insbesondere in den hitzigen Debatten über das Verhältnis der Kandidaten zu Predigern gezeigt, angefangen von der Kontroverse über Obamas früheren Pastor Jeremiah Wright bis zum Befremden darüber, dass Sarah Palin bei dem Pflingstler-Pastor Muthee Schutz vor Hexerei suchte.

Dieses „Pastorenproblem“, so sagt Raushenbush voraus, würden künftige Kandidaten zu vermeiden suchen, indem sie Kirchengemeinden und Geistliche zunächst einer politischen Tauglichkeitsprüfung unterziehen würden. Man darf darauf gespannt sein, was ein derartiges taktisches Glaubenswahlverhalten für die gesellschaftspolitische Rolle von Kirchen, aber auch für die religiöse Prägung amerikanischer Politiker bedeuten wird.

About this publication