Farewell To The West?

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Abendland ade?

© DIE ZEIT, 27.11.2008 Nr. 49

Keinesfalls. Die Krise zeigt gnadenlos die Schwäche Asiens, erklärt Josef Joffe

In unserer kleinen Serie »Wer rettet den Kapitalismus?« wenden wir uns heute den asiatischen Aufsteigern zu, die bekanntlich gerade dabei sind, 200 Jahre westlicher, zumal amerikanischer Vorherrschaft zugunsten des »Asiatischen Jahrhunderts« zu knacken. Ein Zwischenbescheid: Die Aufsteiger werden weder den Retter noch den Rächer geben; sie sind selber Teil der globalen Krise, und in der offenbaren sie nur ihre Schwächen.

Ein wichtiger Index ist der Index: Die Börse ist (seit Jahresbeginn) nirgendwo heftiger abgestürzt als in China (minus 62 Prozent), in den Schwellenländern (minus 61) und in Russland (minus 72). So viel zum Chor der Schadenfreudianer, die hochgemut »Abkoppelung« sangen und dem Westen eine angenehme Frühverrentung wünschten. Im Licht der Krise zeigt sich, was fehlt. In Russland, zum Beispiel, der Rechtsstaat und ein funktionierender Markt, die Oligarchen und Ausländer davon abgehalten hätten, ihr Geld nach Georgien-Invasion und Ölpreisverfall abzuziehen.

China: Doppelstelliges Wachstum, so weit der Jangtse fließt – bis jetzt. Zwei Zahlen: Das Exportwachstum ist auf 9 Prozent gefallen – nicht schlecht? 2007 betrug es 26 Prozent. Zehntausende von Fabriken haben geschlossen, weil Chinas Wirtschaftswunder ein geborgtes ist. Das märchenhafte Wachstum beruhte auf der sehr preisgünstigen »Verpachtung« von Arbeitern und Land an ausländische Unternehmer, die für zwei Drittel aller Exporte gut waren.

Das hat Peking zwei Billionen Dollar an Währungsreserven verschafft, aber auch eine gewaltige Abhängigkeit vom Rest der Welt. Fast ein Drittel der Exporte geht an nur drei Länder: USA, Japan, Deutschland. Lass die kränkeln, und im Politbüro bricht Panik aus, weil Wachstum unter acht Prozent die sozialen Unruhen ins Unerträgliche steigern würde.

Wo ist eigentlich der andere Riese, Indien, in dieser Krise? Man hört und sieht ihn nicht, weil die größte Demokratie auf Erden nicht einmal im Ansatz Führungsmaterial ist – nicht mit seiner korrupten Kastenordnung, seinem maroden Bildungssystem und seinem Dauerkonflikt mit Pakistan im Äußeren und mit 200 Millionen Muslimen im Inneren. Die Rupie fällt, weil 13 Milliarden an Investitionen abgezogen worden sind.

Wenden wir uns nun den Losern zu. Komisch: EU und USA sind noch immer für mehr als die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung gut (die USA für 26 Prozent; das ist der historische Durchschnitt seit hundert Jahren). Der Untergang des Abendlandes muss also sehr langsam ablaufen. Kann es sein, dass diese 800 Millionen, die zwischen Berlin und Berkeley siedeln, nicht nur alles Mögliche von der Renaissance bis zum Fax erfunden haben, sondern auch die besten Instrumente zur Krisenbewältigung: Demokratie und Markt?

Beide Systeme laufen auf das Gleiche hinaus. Sie produzieren endlos Information in Echtzeit (was geht, was nicht?), und sie erlauben die Korrektur im ewigen Widerstreit, der eingehegt ist durch Rechtsstaat, Respekt für den Gegner und friedlichen Machtwechsel.

Ein Wort in eigener Sache: Wie wichtig unabhängige Medien sind, zeigt sich in Russland, wo die Leute die Wahrheit über ihre Wirtschaft nur noch im Internet erfahren.

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