No Wings Wanted

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Verzicht auf Flügel

Obama hat ein Kabinett der Mitte zusammengestellt. Er setzt, gerade in der Außenpolitik, auf Konsens. Wer das Verrat am versprochenen Wandel nennt, hat ihm nicht richtig zugehört.

DIETMAR OSTERMANN

Wer einen Wahlkampf unter der Fahne des grundlegenden Neuanfangs geführt hat, wer ach so ganz neu, frisch, anders sein wollte und jeden, der sich ihm entgegenstellte, als Vertreter des Gestern und Vorgestern geißelte, der darf sich vielleicht nicht wundern, wenn er jetzt an den eigenen Worten gemessen wird. Am Kabinettstisch von Barack Obama werden viele alte Bekannte sitzen, Hillary Clinton etwa, Obamas große Rivalin in der eigenen Partei, oder Robert Gates, der Mann, der schon dem Republikaner George W. Bush seit zwei Jahren als Verteidigungsminister dient.

Soweit man die Ministerinnen und Minister bislang kennt, zählen auch die jüngeren Gesichter der künftigen Administration ausnahmslos zum Establishment der amerikanischen Politik. Kein Politrebell findet sich in der Mannschaft Obamas, kein Außenseiter, kein Quergeist – und auch niemand von den politischen Flügeln. Amerikas künftige Regierung ist eine Mannschaft der Mitte. Ein Team erprobter Macher, eines, in dem Erfahrung eben doch etwas zählt. Wer das für Verrat am versprochenen “Change”, dem Wandel, hält – und Obama für einen Umfaller -, der hat ihm im Wahlkampf nur halb zugehört. Oder er tut es jetzt.

Wenn Barack Obama ein politisches Leitmotiv hat, dann ist es die Suche nach pragmatischen Lösungen. Der künftige Präsident der USA will sich nicht von alten Ideologien einmauern lassen. Er lässt sich von ein paar Grundüberzeugungen leiten, seinem hohen sozialen Anspruch, dem Versprechen einer fairen Chance für alle, dem Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung der Gesellschaft. Das ist der Kompass. Was konkret das aber heißt, welche Politik daraus folgt, ließ sich bei der komplexen Persönlichkeit Obama nie zuverlässig mit klassischen Rechts-links-Schablonen bestimmen. Am ehesten verbindet er eine im amerikanischen Sinne sozialdemokratische Gesinnung mit einem Politikstil, der den breiten Konsens sucht. In einem Land, das über Jahrzehnte konservativ geprägt war, kann das schnell als Widerspruch erscheinen.

Doch was Obama dem Land versprochen hat, war im Grunde schon immer eine neue Mitte, jener “funktionstüchtige Konsens” über Parteigrenzen hinweg, den er schon in seinem Buch vom Wagnis der Hoffnung beschreibt. Erst dieser Konsens macht es nach Obamas Überzeugung wieder möglich, politische Blockaden aufzubrechen und die großen Probleme der Landes und der Welt anzugehen. Insofern ist die bisherige Personalpolitik des künftigen US-Präsidenten kein Widerspruch zum großen Versprechen der Wahlkampfzeit, kein Verrat am Wandel, sondern durchaus konsequent.

Mit Hillary Clinton bindet Obama eine zentrale Figur der eigenen Partei in die Regierung ein, ohne deren Unterstützung jede große Reform schon in den eigenen Reihen auf Widerstand stoßen könnte. Der alte und künftige Pentagonchef Robert Gates sowie der ehemalige General James Jones als Sicherheitsberater im Weißen Haus wiederum schlagen eine wichtige Brücke zum Militär. Dort stehen viele dem von Obama versprochenen schnellen Rückzug der US-Kampftruppen aus dem Irak skeptisch gegenüber. Das komplizierte Unterfangen – geopolitisch vielleicht das brisanteste im ersten Amtsjahr – birgt viele Risiken und erfordert eine kluge, umfassende Strategie. Sollte der Rückzug zum Desaster geraten, könnte der Irak wie schon für Vorgänger George W. Bush auch für Obama schnell zum politischen Pulverfass werden. Deshalb hat er sich den Grundsatz seines künftigen Vizepräsidenten Joe Biden zu eigen gemacht, wonach die Außen- und Sicherheitspolitik der USA nur erfolgreich sein kann, wenn sie daheim auf breitem Konsens beruht.

Die große Gefahr jeder Konsenspolitik freilich besteht im Problem der Schnittmengen. Kommt sie nur als kleinster gemeinsamer Nenner daher, taugt sie kaum als Grundlage für neues Denken und jenen Wandel, den Obama verspricht. Bislang aber hat sich der künftige US-Präsident nicht als Zauderer erwiesen. Obama hat professionell und weitgehend geräuschlos ein Kompetenzteam versammelt. Er hat angekündigt, dass er zwar offene Debatten und andere Meinungen begrüßt, aber nicht zögern wird, auch kontroverse Entscheidungen zu treffen. Auch damit bleibt sich Obama treu – er selbst ist der Garant für den Wandel. Was und wie genau, wird man ab Januar sehen.

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