Besondere Beziehungen – USA und England
von Michael Stürmer, Chefkorrespondent
03.12.2008 – 14.40 Uhr
Im Kalten Krieg, ob Rüstungskontrolle oder Zielplanung, gab es immer Verbündete erster und Verbündete zweiter Klasse. Der Unterschied lag in der „special relationship“.
Saint Paul’s Cathedral London: Am amerikanischen Erntedankfest tragen vier US Marines langsamen Schrittes die Fahnen der Vereinigten Staaten und des US Marine Corps in Richtung Altar. Die überwiegend amerikanische Gemeinde singt „America the Beautiful“. Die Orgel braust: „Gott gab dir Seine Gnade“. Gefeiert wird die „special relationship“, jene Sonderbeziehung, die Winston Churchill einmal beschrieb als „zwei Nationen, getrennt durch die gemeinsame Sprache“.
Völker lieben ihre Mythen. Die Rebellion von 1776 ist vergessen und vergeben, außer wenn das amtliche Frankreich daran erinnert, wer den amerikanischen Rebellen gegen die Londoner Parlamentsherrschaft und den „Tyrannen George“ zur Seite stand mit Gut und Blut. Auch die Tatsache, dass es seit dem Krieg von 1812, als die Amerikaner Kanada angriffen, kaum ein Jahrzehnt atlantischer Geschichte gab, in dem nicht neuer Krieg drohte. So zum Beispiel über den Sklavenhandel, den die Amerikaner länger praktizierten als die Briten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entschieden die Briten indessen, die neue deutsche Seemacht sei dem Empire gefährlicher als die neue amerikanische.
Verbündete erster und zweiter Klasse
Die Feuertaufe war 1917, als die Vereinigten Staaten aufseiten der Entente in den großen europäischen Krieg eintraten, ihn zum Weltkrieg machten und gegen die Mittelmächte entschieden. Aber der instinktive amerikanische Neo-Isolationismus ließ von der Sonderbeziehung wenig übrig. Erst die Komplizenschaft Hitlers und Stalins stiftete zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ihre Erneuerung. Das Königreich indes wollte das Empire retten, Amerika die Imperien überwinden. In Suez 1956, als Briten und Franzosen intervenierten und Washington sie im Stich ließ, kam die Wende: Frankreich suchte Vetomacht durch eigene Atommacht, Großbritannien schloss sich den Amerikanern an, gab Basen und erhielt dafür – in Grenzen – Zugang zu Amerikas strategischen Künsten. So entstanden „Echelon“, das weltweite angelsächsische Abhörsystem, die Intimität der Geheimdienste, die nukleare Wacht an Elbe und Spree. Im Kalten Krieg, ob Rüstungskontrolle oder Zielplanung, gab es immer Verbündete erster und Verbündete zweiter Klasse. Der Unterschied lag in der „special relationship“.
Für die Briten bleibt die Sonderbeziehung Kräfteverstärker gegen Europa wie gegen die USA. Doch schon die Clinton-Administration ging damit grausam um, und Bushs Leute waren mehr für „Alliierte“ als „Allianzen“. In den Erbfolgekriegen Jugoslawiens stöhnten die Briten über Taktik und Strategie der USA. Im Irak wurden sie Opfer des Versuchs, die Sonderbeziehung zu retten. Das wurde ihnen schlecht gedankt.
Die „special relationship“ wird überdauern, trotz allem, Fortführung klassischer Gleichgewichtspolitik mit anderen Mitteln.
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