Detroit Fairy Tales

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Die Märchenonkel aus Detroit

von Matthias Ruch und Kristina Spiller

Die US-Autobauer reden ihre Lage schön. Sie schwärmen von Elektroautos und versprechen schwarze Zahlen. Doch die Industrie muss für Jahre an den Tropf des Staates.

Von wegen Krise. Von wegen Weltuntergang. Alan Mulally strotzt vor Zuversicht. Schon in zwei Jahren werde sein Unternehmen die ersten Elektromodelle auf den Markt bringen, kündigt der Ford-Chef strahlend an. Und kurz danach – Abrakadabra – werde Ford sogar wieder schwarze Zahlen schreiben. Oh, wie schön ist die neue Autowelt in Amerika!

Mit der Realität hat dieses Szenario freilich nicht viel gemein. Ford steht ebenso wie der große Rivale General Motors und der deutlich kleinere Konkurrent Chrysler mit dem Rücken zur Wand. Das Geschäftsmodell der drei großen, traditionsreichen US-Autokonzerne ist grandios gescheitert. Nur mit radikalen Einschnitten lässt sich ihr Untergang noch aufhalten. Und selbst das ist keineswegs mehr sicher.

Wenn Mulally, GM-Chef Rick Wagoner und Robert Nardelli von Chrysler heute erneut im Kongress Rede und Antwort stehen müssen, werden sie noch einmal ihre prächtigen Luftschlösser bauen. Denn die Manager wissen genau: Die Politik braucht Visionen. 34 Mrd. $ sollen die Abgeordneten und Senatoren lockermachen, um die notleidenden Hersteller zunächst einmal über den Winter zu retten. Die ersten 4 Mrd. $ braucht GM sofort, sonst könnte dem Konzern noch vor Weihnachten das Geld ausgehen.

Rettung ist beschlossene Sache

In der Sache sind die Hilfen für die bedrohten Saurier aus Detroit in Washington längst ausgemacht. Unabhängig davon, ob sich die Konzerne nun mit oder ohne Insolvenzverfahren sanieren: Die US-Regierung kann diese heimische Schlüsselindustrie nicht einfach sterben lassen. Schon gar nicht in dieser Zeit: Ein Untergang von GM, Ford und Chrysler würde direkt und indirekt Millionen Arbeitsplätze vernichten. Das umfassende System aus Pensionen und Versicherungen, die vor allem von GM finanziert werden, würde zusammenbrechen. Ganze Städte würden wirtschaftlich und sozial kollabieren. Der künftige Präsident Barack Obama, der im Wahlkampf von der mächtigen Autogewerkschaft UAW massiv unterstützt worden war, muss daher gemeinsam mit den führenden Kräften im Senat, der Gewerkschaft und den Konzernen selbst ein echtes Sanierungskonzept entwickeln.

Was das bedeutet, sollten die Verantwortlichen den Betroffenen und der Öffentlichkeit nun endlich offen sagen: Eine Rettung von GM und Ford wird viele Jahre dauern, viele Milliarden Dollar mehr kosten und viele Zehntausend Arbeitsplätze vernichten. Die Versprechen der Konzerne, die staatlichen Darlehen bereits in den nächsten Jahren zurückzuzahlen, sind zumindest sehr naiv.

Denn das, was den Herstellern wirklich helfen würde – ein Aufschwung an den Automärkten -, bleibt vorerst aus. Für 2009 erwarten Branchenexperten einen weiteren Rückgang der Absätze in den USA, ebenso wie in Europa. Auch für 2010 ist eine echte Erholung nicht in Sicht. Wer ausgerechnet in solchen Krisenjahren darauf vertraut, dass neuartige Antriebe die angeschlagene Branche retten werden, wird 2010 bitter enttäuscht werden. Um eine neue Technik massentauglich zu entwickeln, brauchen die Autobauer mindestens drei Modellgenerationen. Das galt bereits damals für die Automatikgetriebe, in den 90er-Jahren für die neue Elektronik – und das wird bei Brennstoffzellen und Elektromotoren nicht anders sein.

Wollen die USA ihre Autokonzerne zumindest im Kern erhalten, muss die Regierung im Hintergrund bleiben, geduldig zahlen – und die Sanierung durchdrücken. Die Entwicklung neuer Technologien verschlingt Milliarden. Dieses Geld müsste der Steuerzahler investieren, auch wenn GM und Ford erst in vielen Jahren ihren ersten Dollar mit Elektroautos verdienen werden. Parallel muss der Staat der Energiewirtschaft Anreize zum Aufbau der nötigen Infrastruktur liefern. Auch die braucht Zeit. Wenn alles gut geht, könnten dann vielleicht in zehn Jahren erste Elektroautos serienreif auf den Markt kommen.

GM und Chrysler müssen fusionieren

Den Chrysler-Konzern wird es dann zumindest als eigenständiges Unternehmen wohl nicht mehr geben. Eine Notfusion mit GM ist vielleicht der letzte Ausweg, um zumindest einzelne Marken und Modelle zu erhalten.

Damit die beiden großen US-Autokonzerne ihre staatlich finanzierte Sanierung tatsächlich starten können, muss auch die Gewerkschaft UAW einen bitteren Beitrag leisten. Sie muss den Konzernen so weit entgegenkommen, dass die Produktionskosten in Detroit im Vergleich zu denen der ausländischen Rivalen in den Südstaaten wieder wettbewerbsfähig werden.

Zumindest in den USA haben GM und Ford trotz aller Rückschläge immer noch erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Die Amerikaner kaufen – ebenso wie die Deutschen und die Franzosen – am liebsten Autos aus dem eigenen Land. Völlig losgelöst vom Ölpreis, vom Klimawandel und von ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft gehören die Limousinen, Sportwagen und Pick-up-Trucks von General Motors und Ford seit 100 Jahren zum Lebensgefühl Amerikas. Sie müssen mit der Zeit gehen – und überleben.

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