Die Amerikaner steigen auf die Eisenbahn um
(17) Von Nikolaus Doll und Martin Dowideit 7. Dezember 2008, 12:42 Uhr
Großes Umdenken in der neuen Welt: Die Vereinigten Staaten wollen erstmals Hochgeschwindigkeitsstrecken für Züge bauen. Die Technik dazu müssen sie allerdings in Europa kaufen – Unternehmen wie Siemens können daher auf Milliardenaufträge hoffen.
Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger liebt einfache Formeln, um schwierige Aufgaben zu lösen. Diejenige, die den US-Bundesstaat vor dem Verkehrskollaps bewahren soll, klingt besonders schlicht: „Mittel von uns plus Zuschüsse aus Washington plus Beteiligung privater Investoren ergibt ein hypermodernes Hochgeschwindigkeitsnetz für 350 km/h schnelle Züge durch ganz Kalifornien“, rechnet der Republikaner vor.
Kommentar: Gefährlicher Wettlauf in der Automobilindustrie Schwarzenegger hat sich viel vorgenommen. Er will einen riesigen Rückstand aufholen: Deutschland, Japan, Frankreich oder Spanien stecken seit Jahrzehnten Milliarden in den Schienenverkehr. Superschnelle Bahnen rasen dort mit 300 Stundenkilometern und mehr dahin. Amerikas Personenzüge aber rattern über holprige Trassen, die jahrzehntelang vernachlässigt wurden. „Und manche unserer Waggons sind 35 Jahre alt und älter“, sagt Alex Kummant, der jüngst abgetretene Chef der amerikanischen Staatsbahn Amtrak.
Die meisten Fernverbindungen in den USA sind so unkomfortabel, dass sie allenfalls für Eisenbahnnostalgiker interessant sind. Der Ost-West-Küsten Express „Sunset Limited“ von Los Angeles nach Orlando beispielsweise fährt nur an drei Tagen in der Woche. Kein Wunder, dass die Bahn im US-Personenfernverkehr nur einen Marktanteil von zwei Prozent hat. Amerikaner fahren Auto oder fliegen.
Das soll nun anders werden. Der Westküstenstaat Kalifornien plant ein hochmodernes Schienennetz. Der Regierung Schwarzenegger stehen Milliarden für neue Bahn?trassen und schnelle Superzüge zur Verfügung – und europäische Bahnhersteller können sich auf lukrative Großaufträge einstellen.
Es gibt praktisch keine Schienenindustrie
Mit Ausnahme einiger Diesellokbauer gibt es eine amerikanische Schienenindustrie praktisch nicht mehr; schon gar keine, die Hochgeschwindigkeitszüge bauen könnte. Wenn die Kalifornier modernste Bahntechnik kaufen wollen, müssen sie das bei Siemens tun, bei Alstom oder dem kanadischen Bombardier-Konzern, der seine größten Schienentechnikwerke in Deutschland hat und die Bahnsparte von Berlin aus steuert. „Wir rechnen uns gute Chancen aus, bei diesem Projekt dabei zu sein“, sagt Ansgar Brockmeyer, der bei Siemens die Hochgeschwindigkeitssparte leitet.
Seit ein, zwei Jahren entdecken die Amerikaner den Schienenverkehr neu. Selbst der schwerfällige Schienenriese Amtrak, der berüchtigt für schlechten Service und Verspätungen ist und jedes Jahr wieder an der Pleite vorbeischrammt, konnte im abgelaufenen Geschäftsjahr 28 Millionen Fahrgäste melden –?ein Plus von sagenhaften elf Prozent?– und damit einen Rekord.
Hohe Spritpreise sowie zunehmende Terrorangst und aufwendige Sicherheitschecks beim Fliegen treiben die US-Bürger in die Züge. Zudem reicht die bestehende Infrastruktur den Ansprüchen der hochmobilen Amerikaner längst nicht mehr aus: Die Staus auf den Highways werden immer länger, ebenso die Schlangen vor den Airline-Schaltern. „Bis 2030 wird die Bevölkerung in Kalifornien von heute 38 auf 50 Millionen Menschen wachsen“, sagt Elizabeth Deakin, Direktorin des Transportzentrums der Universität von Berkeley. „Wir brauchen eine ernsthafte Alternative zum Auto und Flugzeug.“
Schnellbahn nur an der Ostküste
Die Bahn könnte eine sein, aber das Angebot im Fernverkehr schreckt immer noch viele Amerikaner ab. Eine Schnellbahn gibt es in den USA lediglich an der Ostküste. Doch der Acela-Express pendelt nur zwischen Boston und der Hauptstadt Washington, mit einem Spitzentempo von 240 Stundenkilometer – und auch das erreicht er nur auf zwei insgesamt 29 Kilometer langen Gleisabschnitten der 734-Kilometer-Strecke. Pläne für High-Speed-Züge existieren in den USA seit Jahren, in Texas und Florida gab es sogar ernsthafte Ansätze. Doch keines der Projekte wurde bislang so weit vorangetrieben wie das in Kalifornien.
Vielleicht ist der Leidensdruck an der Westküste am größten, denn die Bahn-Realität in dem Bundesstaat sieht so aus: Wer per Zug von San Francisco nach Hollywood will, muss am Startort in den Bus steigen und sich zum Bahnhof in Oakland oder Emeryville bringen lassen. Von dort sind es dann zwölf Stunden Fahrt nach Los Angeles – für nicht einmal 650 Kilometer. Einmal am Tag fährt der Zug.
60 Milionen Dollar für Studien
Die Mehrheit der Kalifornier will diesem Zustand ein Ende setzen. Seit 1996 plant die „High-Speed Rail Authority“ des Bundesstaates eine Superschnellbahn. 60 Millionen Dollar hat sie in Verkehrsstudien gesteckt, die Pläne für ein Streckennetz sind fertig: Von San Francisco nach Los Angeles soll die Fahrt demnach künftig zwei Stunden und 38 Minuten dauern.
Doch bis es so weit ist, sind viele Hürden zu nehmen. Noch liegt nicht eine einzige Schwelle. Die Bahnbehörde schätzt die Baukosten für das insgesamt 800 Meilen lange Schienensystem auf über 45?Milliarden Euro. Zwar musste Gouverneur Schwarzenegger in dieser Woche den Finanznotstand aufrufen, doch die Kosten schrecken ihn nicht: „Wenn wir Massenverkehrsmittel wollen, sollten wir tun, was andere Länder vormachen“, sagt er: nämlich Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge bauen.
Viele Kalifornier denken ähnlich: Mit einer Mehrheit von 52,3 Prozent winkten sie im November eine Verordnung durch, die das Großprojekt erst ermöglicht. Sie erlaubt es dem Staat, Anleihen in Höhe von fast zehn Milliarden Dollar auszugeben, um die Bauvorbereitung voranzutreiben. Der designierte Präsident Barack Obama hat zudem Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur angekündigt. „Davon wird auch der Bahnverkehr profitieren“, sagt Expertin Deakin.
Gute Aussichten für die großen Schienentechnikkonzerne, die über das Know-how für den Bau von Superschnellzügen verfügen. Die Hersteller des japanischen Shinkansen konzentrieren sich auf den Markt in Asien, also können Siemens, Bombardier und Alstom auf Großaufträge hoffen. Siemens und Bombardier haben bereits Bahnwerke in den USA, Alstom hat den Ostküstenexpress Acela geliefert. „Wir waren in den vergangenen 20 Jahren bei 95 Prozent der Hochgeschwindigkeitsprojekt in Europa beteiligt und sind weltweit die Nummer eins der Branche“, sagt Bombardier-Manager David Slack.
Siemens aber habe die größte Erfahrung mit Schnellzügen der neuesten Generation – und sei lange auf dem US-Markt vertreten, hält Ansgar Brockmeyer dagegen: „Jede dritte Straßen- oder Stadtbahn in den USA kommt von Siemens.“
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