Culture War Lite

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Kulturkampf lite

Von Josef Joffe | © DIE ZEIT, 17.12.2008 Nr. 52

Der Staat muss Freiheit von Religion gewähren

Wenn die Religion den öffentlichen Raum betritt, kommt es zum Auflauf – wie in Berlin, wo die Kirchen für den Volksentscheid zum Religionsunterricht kämpfen. Angefangen hatte aber der Staat, als Rot-Rot Ethik zum Pflichtfach erhob; Religion konnte nur im Doppelpack mit weltlicher Seelen-Ertüchtigung genommen werden.

Der Status quo war gestört, und nun gehen die Kirchen buchstäblich auf die Straße: Um »Religion statt Ethik« zu erringen, müssen sie 170.000 Unterschriften sammeln, die das Tor zum Volksentscheid öffnen. Dieser Autor erinnert sich an die Fünfziger, als die Berliner Welt noch in Ordnung war. In der dritten Stunde gingen »Evangelen« und »Katholen« in jeweils ihre »Rille« oder »Rilljohn«. Juden und Heiden (Muslime gab’s nicht) trieben sich derweil auf dem Gang herum. Weil dergestalt »ausgegrenzt«, selbstverständlich unter schweren seelischen Schäden.

Vorbei. Deutschland hat sich seitdem unaufhaltsam säkularisiert; jetzt beteiligt sich nur ein Viertel der ev.-luth. Schüler in Berlin am freiwilligen Religionsunterricht. Dass die Kids Ethik nehmen müssen, macht das Gottesdienliche nicht kompetitiver, und deshalb mobilisieren die Kirchen das Volk. Werfen wir nun einen Blick nach Frankreich und Amerika, die auf konträren Wegen zum selben Punkt gelangt sind: Freiheit nicht nur für, sondern auch von Religion – vor allem im staatlichen Raum. Die Franzosen haben die Kirche in der Revolution entmachtet, die Amerikaner sie von der Staatsmacht stets ferngehalten.

Ergo: Keine Religion an Schulen; die Kids gehen entweder auf eine religiöse Privatschule oder – wie in den USA – auf die sunday school. Ergo: ein Konflikt weniger. In Deutschland lief es noch halbwegs gut, als ein festes Duopol (röm.-kath. und ev.-luth.) herrschte, das unter Bismarck mit den Juden zum Dreier-Kartell abgerundet wurde. Die drei sind als »Körperschaften des öffentlichen Rechts« vielfach privilegiert, aber das Triopol wackelt längst unter dem Druck der Konkurrenz.

Unter Rot-Rot sind die Ungläubigen in Berlin praktisch zur mächtigsten Religion geworden, siehe den Ethik-Erlass. Die Muslime (Sunnis) stehen ein bisschen drinnen. Ganz draußen sind Hindus, Buddhisten, Adventisten, Baptisten… Schiiten, liberale Juden (die in Konkurrenz zum Zentralrat ihre Gemeinden aufbauen). Sie können zwar alle nach ihrer Fasson selig werden, aber warum nicht auch für sie »Reli« in der Schule?

Oder umgekehrt: Religion ganz raus aus dem staatlichen Raum. Leider haben die Deutschen diesen Ausweg nicht, legt doch Art. 7 GG Religion als »ordentliches Lehrfach« fest. Also darf weiter gekämpft werden. Das praktische Amerika hat’s besser. Im Weißen Haus steht zwar ein Weihnachtsbaum, aber mit Freiheitsglocken statt christlichen Symbolen. Amen.

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