Barack Obama, ein knallharter Opportunist
(10) 31. Dezember 2008, 09:07 Uhr
Der künftige US-Präsident hat so manche dunkle Seite. Doch im Wahlkampf gelang es Barack Obama und seinem Team, alles Negative zu vertuschen. Schriftsteller Leon de Winter schreibt auf WELT ONLINE, wann Obamas Maske bröckeln wird, was wir alles nicht über ihn wissen und warum es Obama half, dass er nicht richtig schwarz ist.
Ein Schwarzer wird Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die enorme Symbolkraft dieses historischen Moments lässt sich nicht von der Hand weisen. Was diesen Mann freilich für seine Rolle qualifiziert, war für eine Mehrheit des amerikanischen Volkes von untergeordneter Bedeutung. Er verfügt über die richtige Ausstrahlung, die richtige Rhetorik, und er ist ein bisschen schwarz – alles besser als McCain, der nur wieder eine Art Bush ist, so meinten die Wähler.
Barack Hussein Obama sieht aus wie ein kultivierter Mensch, und die Wähler wollten einen Schwarzen, der prätendierte, der absolute Un-Bush zu sein. Alles werde anders werden, so behauptete Barack. Es sei gut zu hoffen, so sagte er, und geschickt wusste er ein ums andere Mal der Frage auszuweichen, worauf man denn nun eigentlich hoffen sollte – das hatte sich offenbar jeder selbst zu beantworten.
Barack ist dunkelhäutig, aber nicht schwarz (ein Mann mit richtig schwarzer Haut wäre niemals so weit gekommen), und sein Auftreten hat das Lässige und zugleich Überlegene jenes intelligenten und einnehmenden Schwarzen (gespielt von Sidney Poitier) aus dem Hollywood-Klassiker „Rat mal, wer zum Essen kommt“, in dem eine junge Weiße ihren gutsituierten Eltern ihren Verlobten vorstellt – der eben ein Schwarzer ist.
Barack – eine afrikanische Arabisierung des hebräischen Baruch, „der Gesegnete“ – hat eine verblüffend effektive Wahlkampagne geführt. Und das Faszinierende ist, dass nicht eine einzige Verfehlung an ihm haften blieb. Als sich der Mann, den er als seinen spirituellen Mentor bezeichnet und von dem er den Titel einer seiner Autobiografien entlehnt hatte, der radikale Pastor Jeremiah Wright, als schwarzer Rassist und Antisemit entpuppte, konnte Obama die missliche Situation meisterhaft zu seinen Gunsten wenden. Er hielt eine Rede über Rasse und Rassismus, die zwar, im Nachhinein betrachtet, aus billigen Klischees bestand, aber von vielen als historisch bezeichnet wurde.
Historisch – in solchem Glanz möchten sich viele gern sonnen. Es gilt als Akt hehrer Moral, einen Schwarzen zu wählen, wie es auch von hehrer Moral zeugt, Bush allen Übels auf dieser Welt zu bezichtigen. Das sind wohlfeile Gelegenheiten, zu reichlich billigem „historischen“ Gefühl zu gelangen: Wer einen unbekannten und unerfahrenen Schwarzen einer oder einem erfahrenen Weißen vorzieht, beweist sich und der Welt seine moralische Erhabenheit.
In Chicago kommt niemand sauber an die Macht
Es hat den Anschein, als habe die Hautfarbe bei der Wahl dieses Präsidenten keine Rolle gespielt, doch letztlich geht es nur darum, liegt darin das Wesentliche dessen, was sich am 20. Januar vollziehen wird. Viele amerikanische Wähler wollten beweisen, dass sie die beschämende Vergangenheit der Sklaverei definitiv hinter sich gelassen haben, und waren daher bereit, auf einen Mann zu setzen, der zwar weder über irgendeine Regierungserfahrung verfügte noch sonderliche Leistungen als Senator vorzuweisen hatte, dafür aber wenigstens als kultivierter Schwarzer bezeichnet werden konnte. Obama war der ultimative Antirassismus-Kandidat, obwohl bei den Wahlen gar nicht über Rassenfragen abgestimmt wurde. Er hatte ein sicheres Gespür dafür, dass einen Großteil der Wähler nach einem dramatischen Akt von historischer Bedeutung verlangte, einem positiven Moment hoffnungsvollen Lichts nach den dunklen Jahren unter Bush.
Obamas Laufbahn als Politiker begann in Chicago. Dass diese bemerkenswerte Vorgeschichte nicht zum Hindernis für seinen Triumph wurde, ist vielleicht die brillanteste Leistung seiner Wahlkampagne. Wer in Chicago Politik machen will, kann nicht ohne Rücksicht auf die spezifischen politischen Gegebenheiten in Illinois operieren. In Chicago kommt man als Politiker unmöglich sauber und unversehrt an die Spitze.
Illinois ist ein notorisch korrupter Staat, und die Demokratische Partei dort ist seit vielen Jahrzehnten in den Händen mächtiger Männer und deren Familien. Die unerbittlichen Herrscher in diesem Staat sind Richard Daley, Bürgermeister von Chicago, und Emil Jones jr., Senatspräsident von Illinois. Sie kontrollieren die Geldströme und die Vergabe öffentlicher Ämter. Und sie bestimmen, welcher junge Politiker Raum zum Wachsen bekommt und aus ihrem Futtertrog fressen darf. Obama ist ihr Produkt. Vor allem der einflussreiche Emil Jones jr. nahm Obama unter seine Fittiche und gab ihm die Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln. Wenn einer weiß, wie schmutzig das politische Spiel manchmal gespielt werden muss, dann ist es Barack Obama, der in Chicago am eigenen Leib erfahren hat, dass politische Karrieren untrennbar mit den Belangen von Einzelnen und Interessengruppen verknüpft sind.
In Chicago verkehrte Obama nicht nur mit den Oberen eines korrupten politischen Systems, sondern bewegte sich auch in den linksradikalen Kreisen des Exterroristen William Ayers, Sohn eines wohlhabenden Chicagoer Geschäftsmanns. Ayers ist einer der Stars in der Welt des „radical chic“ in Illinois, einer Kultur, der zum einen radikale Millionäre und zum anderen Salonrevolutionäre der Universität von Illinois anhängen. In Chicago leben radikale Geistliche wie Wright, Politiker wie Daley und Jones und Geschäftsleute wie Tony Rezko (Obamas Freund und Nachbar, der jetzt wegen Verdachts auf Betrug und Korruption in Untersuchungshaft sitzt) in fruchtbarer Koexistenz. Rod Blagojevich, der Gouverneur von Illionis, sorgt im Moment für großes mediales Aufsehen, aber das, was ihm vorgeworfen wird, Korruption, ist für einen in Illinois groß gewordenen Politiker völlig natürlich.
Obama – eine Art unbefleckte politische Jungfrau?
Blagojevich, ein gnadenloser, rüder Haudrauf, für den sich Obama in der Vergangenheit mehrmals eingesetzt hat, war lediglich so dumm, sich abhören zu lassen – was er getan hat, weicht jedoch nicht von dem ab, was jeder normale Chicagoer Politiker tut, der einen wichtigen politischen Posten zu vergeben hat. So läuft das nun mal in der „Chicago Machine“, dem mächtigen politischen Apparat der Demokraten in Illinois.
Von diesem zutiefst korrupten Umfeld ist nichts an Obama hängen geblieben. Er erweckt den Eindruck, frisch und sauber zu sein, obwohl er in Sachen Macht bei Emil Jones und in Sachen sozialer und rassischer Ungerechtigkeit bei William Ayers und Jeremiah Wright in die Lehre ging. 2004, als er für den Senat in D.C. kandidierte, entledigte sich Obama seines Konkurrenten M. Blair Hull, indem er hinter den Kulissen die Medien in Illinois darauf ansetzte, die Veröffentlichung der Ehescheidungspapiere von Hull zu fordern – worauf Hull sich zurückzog. Gleiches geschah Obamas republikanischem Kontrahenten Jack Ryan. Derlei haben die amerikanischen Medien wenig Beachtung geschenkt – sie hielten das Bild von Obama als einer Art unbefleckter politischer Jungfrau, die das Heil bringen werde, aufrecht, als wären sie der verlängerte Arm seines Wahlkampfteams.
Zum Verständnis von Barack Obamas Erfolg gehört unbedingt auch die Beleuchtung der Rolle von David Axelrod. Axelrod, der wichtigste Mann im Wahlkampfteam Obamas, begann seine Laufbahn als Reporter bei der Chicago Tribune. Danach wurde er „political consultant“ und betreute die Wahlkampagnen von Politikern. 2006 machte er Deval Patrick mit einer Kampagne, die er „die Politik der Aspiration“ nannte, zum ersten schwarzen Gouverneur von Massachusetts.
“Hope” und “change” – keine neuen Schlagworte
Inhaltlich konnte dabei zwar kaum von einem Programm die Rede sein, doch Patrick vermittelte seinem Publikum eine Botschaft von „hope“ und „change“, und das zündete: Patrick gewann. „Hope“ und „change“? Diese beiden Schlagworte sind mittlerweile weltberühmt. Patrick verstand es auch, seine Zuhörer mit von Axelrod erdachten Schlachtrufen wie „Yes, we can!“ und „Together, we can!“ zu wahren Begeisterungsstürmen hinzureißen. Nach seinem Sieg kam Patrick in Schwierigkeiten, weil er regieren und diesen hohlen Phrasen Inhalt geben musste, Axelrod aber hatte sie erprobt und wusste nun, dass sie überaus wirkungsvoll sein konnten. Patrick war ein guter Kandidat gewesen, aber der ideale Kandidat für Axelrod war Obama. Sie kannten sich schon länger, aus der „Szene“ in Chicago, und Axelrod konnte Obama, einen schlauen und erfahrenen Politiker aus der Chicago Machine, zum unbefleckten Propheten der Hoffnung und des Wandels modellieren.
Wer wissen will, wer Obama ist, hat nicht viel an dessen beiden Autobiografien, deren viele hundert Seiten das Mysterium dieses Mannes eher noch vergrößern. Und nach fast zwei Jahren Wahlkampf wissen selbst erfahrene amerikanische Journalisten wie Tom Brokaw und Charlie Rose noch immer nicht, wer Obama, der auch ihr Favorit war, denn nun eigentlich ist.
Vor einigen Wochen entspann sich in der politischen Talkshow von Charlie Rose folgender Dialog zwischen den beiden:
ROSE: Ich weiß nicht, welches Weltbild Barack Obama hat.
BROKAW: Ich auch nicht.
ROSE: Ich weiß nicht, wie er wirklich sieht, wo China steht.
BROKAW: Wir wissen nicht sonderlich viel über Barack Obama und das Universum seines außenpolitischen Denkens.
ROSE: Nein, so richtig weiß ich es nicht. Und wissen wir irgendwas über die Leute, die ihn beraten?
BROKAW: Tja, das ist eine interessante Frage.
ROSE: Er ist vor allem durch seine Autobiografie bekannt und durch seine höchst aspirierenden (sic) Reden.
BROKAW: Zwei! Ich weiß nicht, welche Bücher er gelesen hat.
ROSE: Was wissen wir über die Helden von Barack Obama?
BROKAW: Es gibt eine Menge, was wir nicht über ihn wissen.
Obamas Lebenslauf weist unschöne Lücken auf: Er hält die Arbeiten, die er während seines Studiums an der Harvard und der Columbia University geschrieben hat, sorgsam unter Verschluss, weil er offenbar fürchtet, sie könnten ihm bei dem Versuch, seine linksradikalen Jahre zu verschleiern, hinderlich sein. Auch ist offensichtlich, dass er im Hinblick auf seine Beziehungen zu dem radikalen schwarzen Pastor Jeremiah Wright gelogen hat, den er zwar jetzt verurteilt, dessen giftige Rhetorik er sich aber zwanzig Jahre lang angehört hat (Wright hat ihn getraut und seine Kinder getauft). Obama hat intensiv mit William Ayers zusammengearbeitet, der nie einen Hehl aus seinen extremistischen pädagogischen Ansichten (Kinder sollten zu jungen Revolutionären erzogen werden) gemacht hat. Und Obama schweigt sich über seine Freundschaft zu dem palästinensischen Aktivisten Rashid Khalidi aus, der an der Columbia University Nachfolger und Erbe von Edward Said geworden ist (die Los Angeles Times ist im Besitz eines Videos von einem Fest zu Ehren Khalidis, bei dem Obama Ehrengast war – die Zeitung weigert sich, das Video zu veröffentlichen, und Obama hält sich bedeckt).
Wer ist Obama? Hat er alle, die ihm in Chicago begegneten und ihn auf seinem ehrgeizigen Weg weiterbringen konnten, für seine Zwecke genutzt? Ist er ein als gemäßigter Politiker verkleideter Neomarxist wie viele seiner Freunde in der Akademikerwelt Chicagos, oder ist er der Pragmatiker, der ein zentristisches Kabinett zusammengestellt zu haben scheint?
Die amerikanischen Medien sind diesen Fragen weitgehend ausgewichen, geschweige denn, dass sie sie beantwortet hätten. Sie haben Obama aus der Schusslinie gehalten und fanden die Kosten für die Garderobe Sarah Palins weitaus interessanter als die für die Säulen, welche Obama anlässlich seiner Nominierungsfeier in Denver rund um die Bühne errichten ließ (Palins Kleider kosteten 150.000 Dollar, die Säulen mehr als fünf Millionen…). Obama ist ein Rätsel, doch Abermillionen Menschen auf der Welt sind seinem Stil, seiner Rhetorik (bzw. der Rhetorik Axelrods), der Ruhe, die er ausstrahlt (man stelle sich vor, er könnte mal wütend werden und plötzlich das Gesicht des „angry black man“ zeigen!), und der romantisch-utopischen Sphäre, die von dem ganzen Phänomen Obama ausgeht, erlegen.
Bush bald nicht mehr die Quelle des Übels
Dank der Kosmetik Axelrods ist es Obama gelungen, sich als progressiver Zentrumspolitiker zu gerieren, und gemeinsam mit der mächtigen Chicago Machine hat er den Clintons die Kontrolle über die breite progressive Koalition, die die Demokratische Partei im Grunde darstellt, abgeluchst. Eine reife Leistung, die kennzeichnend ist für Obamas Fähigkeit, Bündnisse zu schließen und Menschen für sich einzunehmen. Aber kann er, als der am weitesten links orientierte Präsident der amerikanischen Geschichte, ein konservatives Land regieren? Zwei Drittel aller Amerikaner bezeichnen sich selbst als konservativ. Die Mehrheit findet, dass der Staat das Leben seiner Bürger nicht von der Wiege bis zum Grab begleiten, sondern sich im Hintergrund halten sollte. Obama aber träumt, soweit man das beurteilen kann, von einem Wohlfahrtsstaat nach europäischem Muster – die momentane Bankenkrise hat seinem Traum Flügel verliehen.
Bevor die derzeitige Finanz- und Wirtschaftskrise ausbrach, lag McCain in den Umfragen weit vor Obama. Die Katastrophe an der Wall Street kreideten viele Amerikaner Bush an – zu Unrecht, aber es geht in unserer Welt nicht um Tatsachen, sondern um Wahrnehmung. Die Demokraten haben schon seit zwei Jahren die Übermacht im Kongress, und der Kongress genießt noch weniger Anerkennung als Bush, doch die Schuld an den augenblicklichen großen Problemen, so die vorherrschende Meinung, muss bei den Republikanern liegen. Obama hat also einfach Glück gehabt, als die Welt kurz vor den Wahlen in eine heftige, emotional aufgeladene Finanzkrise schlitterte und er nur eine einzige Botschaft zu verkünden brauchte: McCain = Bush. Aber am 20. Januar wird Bush das Weiße Haus verlassen haben und nicht mehr als Quelle allen Übels herhalten können.
Zum zweiten Mal in seinem Leben muss Obama Führung übernehmen. Beim ersten Mal hatte er in Chicago mit William Ayers zusammen (der große Stücke vom Kuchen bekam) einen 150 Millionen Dollar starken Fonds zu verwalten, mit dem das Bildungssystem in Chicago verbessert werden sollte. Es wurde ein glatter Misserfolg. Jetzt macht sich Obama auf, die Welt zu regieren.
Axelrod hat aus Obama einen integeren, sanftmütigen und knitterfreien Propheten gemacht – eine Illusion. Die für viele inakzeptable Wahrheit ist, dass sich unter dieser kunstvollen Maske ein knallharter Opportunist verbirgt, der sich bedachtsam und unter Ausnutzung aller Mittel an die Spitze gekämpft hat. Faszinierend ist, dass die Welt den knallharten Opportunisten dringender benötigt als den sanften Propheten – die Maske wird in den kommenden Monaten unweigerlich Risse bekommen und den wahren Obama zutage treten lassen. Das werden interessante Zeiten.
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