What Do Americans Believe?

<--

Woran glaubt Amerika?

Von Marcia Pally | © DIE ZEIT, 23.12.2008 Nr. 01

Nach Bushs Abgang hoffen viele, dass die Religion an Einfluss auf die Politik verlieren möge. Sie könnten sich täuschen: Der Weg ist frei für den Messias Barack Obama

Zu den Opfern der Bush-Jahre zählt auch die Religion in Amerika. Nicht Präsident Bush wurden “christliche Werte” zugeschrieben, wie er es sich vielleicht gewünscht hätte – Fürsorge für die Armen, Verzicht auf Vergeltung –, vielmehr wurden umgekehrt die christlichen Werte mit ihm assoziiert und galten zusehends als konservativ, militaristisch und gefährlich für die liberale Demokratie.

Vielleicht wäre es deshalb am besten, einfach Schluss zu machen mit der Religion, so wie mit der Amtszeit von George W. Bush und dem Gefangenenlager in Guantánamo Bay. Und mit keiner religiösen Spielart sollte schneller Schluss gemacht werden als mit dem Evangelikalismus, um den Weg zu öffnen für den säkularen Messias Barack Obama.

Schade nur für dieses Szenario, dass auch Obama ein tiefgläubiger Christ ist. Er beendet seine Reden mit dem Segensspruch “God bless America”. In seinem Wahlkampfstab war ein Mitarbeiter ausschließlich dafür zuständig, religiöse Angelegenheiten zu koordinieren. Am Wahlprogramm der Demokraten arbeitete der evangelikale Pastor Tony Campolo mit. Als Kandidat der Demokraten gewann Obama im Vergleich zu John Kerry 2004 unter evangelikalen Wählern fünf Punkte hinzu. Und in der Gruppe derjenigen Amerikaner, die mehr als einmal pro Woche in die Kirche gehen, schnitt Obama sogar um acht Prozentpunkte besser ab als Kerry.

Religiöses Engagement bringt Stimmen in den USA, weil die Kirchen hier seit 350 Jahren als vertrauenswürdige Institutionen gelten. Das Europa der Aufklärung stürzte einen korrupten Klerus vom Sockel. Dagegen waren die amerikanischen Kirchen – und ganz besonders die evangelikalen – eine Sache der einfachen Menschen. Aus dieser Graswurzelbewegung heraus entwickelte sich das am tiefsten in der Gesellschaft verankerte Netzwerk der USA.

Amerika wird auch unter Obama keine laizistische Nation werden. Obama ist Verfassungsrechtler, ihm stehen die Vorzüge des säkularen Staates klar vor Augen. Aber seine ersten politischen Sporen hat er sich in der kirchlichen Sozialarbeit verdient. Ihm ist klar, wie wichtig Religion für die Zivilgesellschaft in den Vereinigten Staaten ist. Die »Volkskirchen« sind die Stützpfeiler des gesellschaftlichen Lebens in Amerika. Den Kirchen begegnet man daher nicht mit Argwohn, sondern wohlwollend.

Welche Rolle also wird Amerikas Religiosität, welche Rolle wird Obamas Religiosität in der kommenden Regierung spielen?

Ein zentrales Problem ist die staatliche Finanzierung von sozialen Diensten, die von Kirchen und Religionsgemeinschaften organisiert werden. Obama hat schon im Juli seine Unterstützung für eine Subventionierung solcher faith based initiatives (zu Deutsch etwa: auf Glauben gegründete Initiativen) angekündigt. Diese Krankenhäuser, Jugendprogramme et cetera haben eine gewisse Ähnlichkeit mit Diakonie und Caritas in Deutschland. Sobald aber eine amerikanische religiöse Institution öffentliche Mittel erhält, tritt an die Stelle der von der Verfassung vorgeschriebenen strikten Trennung von Kirche und Staat eine begrenzte Partnerschaft. Obama will diese Partnerschaft ausbauen und dafür staatliche Mittel nutzen. Das aber wirft eine Menge Probleme auf.

Darf beispielsweise eine kirchliche Institution bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter auf deren Religionszugehörigkeit bestehen? Darf ein bekennender Baptist von einer kirchennahen, aber öffentlich subventionierten Klinik gefeuert werden, nur weil er schwul ist? Fast 75 Prozent aller Amerikaner lehnen das ab. Doch als George Bush zum Präsidenten gewählt wurde, sahen einige religiöse Konservative den Augenblick gekommen, in dieser Frage einen neuen politischen Kurs zu steuern. Sie konnten sich nicht durchsetzen, aber sie entfachten einen verhängnisvollen Kulturkampf – ausgetragen ausgerechnet auf dem Rücken von kirchlichen Einrichtungen, die seit vielen Jahren unverzichtbar für die sozialen Dienste im Land sind. Wie sich Obama in diesem Kulturkampf positionieren wird, ist noch unklar.

Die grundlegenden Entscheidungen werden ohnehin die amerikanischen Gerichte treffen, bei denen traditionell alle kulturellen Konflikte am Ende landen. Dasselbe gilt beispielsweise für die Frage, ob an amerikanischen Schulen kreationistische Auffassungen unterrichtet werden dürfen. Obama wird auf diese Entscheidungen allenfalls indirekt Einfluss nehmen können, wenn sich ihm die Chance eröffnet, neue Richter für den Supreme Court, das höchste Gericht der Vereinigten Staaten, zu nominieren.

Obamas wirkliche Herausforderung wird daher der politische Kompromiss sein müssen. Dass ihm dabei die Religiöse Rechte als Gegner entgegentreten wird, ist sicher. Aber welche Verbündeten könnte er in den anstehenden Debatten finden? Wenn nicht alles täuscht, dürften manche potenzielle Partner aus den Reihen der Neuen Evangelikalen kommen. Die lassen derzeit zunehmend die alte Religiöse Rechte hinter sich. Dahinter steht ein grundlegender Wandel mit möglicherweise weitreichenden Folgen.

Noch immer lehnen die meisten der regelmäßigen Kirchgänger in Amerika Abtreibung und Homosexuellenehe ab. Aber immer mehr von ihnen treten neuerdings auch für Umweltschutz ein, für staatliche Wohlfahrtsprogramme, für Diplomatie (statt militärischer Stärke) als Mittel zur Sicherung des Friedens. Und mindestens eine einflussreiche evangelikale Organisation unterzieht derzeit ihre Ablehnung der Darwinschen Evolutionslehre einer kritischen Überprüfung. Scott McKnight, ein prominenter evangelikaler Theologe, hat dies als »die größte Veränderung in der evangelikalen Bewegung« bezeichnet, als »neue Form des christlichen Sozialgefühls«.

Fortschrittliche und gemäßigte Evangelikale dürften mittlerweile annähernd ebenso stark sein wie die Religiöse Rechte, und sie sind über das ganze Land verteilt. Sie entfalten politische Wirkung. Die Initiative “Netzwerk Matthäus 25” etwa versucht, Evangelikale für die Demokratische Partei zu gewinnen. Zwischen 2000 und 2005 lag der Anteil der jungen Evangelikalen, die sich selbst als Republikaner einstuften, stabil bei 55 Prozent. Bis 2007 war diese Gruppe auf 37 Prozent geschrumpft. Bei den Zwischenwahlen von 2006 stimmten sogar 41 Prozent der Evangelikalen für die Demokraten. Obama hat in dieser Gruppe zwar nur 26 Prozent erzielt, aber im Vergleich zu 2004 immerhin fünf Prozentpunkte für die Demokratische Partei hinzugewonnen – und das, obwohl die Republikaner mit Sarah Palin eine überaus religiöse Kandidatin aufboten.

Die Neuen Evangelikalen weigern sich, Regierungsmacht auszuüben. Sie befürworten die Trennung von Kirche und Staat. Das in diesem Jahr vorgelegte “Evangelikale Manifest” erklärt: “Wir sind entschieden dagegen, unserer pluralistischen Gesellschaft eine Theokratie überzustülpen.” Wichtig aber ist den neuen Evangelikalen die konfessionelle Integrität ihrer karitativen und sozialen Dienste. In diesen Fragen werden sie harte Verhandlungspartner sein.

Gleichwohl haben sie sich Obamas Avancen gegenüber offen gezeigt und eine kritische innerkirchliche Bewegung in Gang gebracht, die auch die amerikanische Politik verändern wird. Sollte es gelingen, dass die neuen Evangelikalen mit Obama zusammen an Kompromissen arbeiten, die für viele der Gläubigen in Amerika hinnehmbar sind, dann wird die Religiöse Rechte schon bald viel von ihrer früheren Anziehungskraft verlieren.

Zunächst einmal wurde Rick Warren, einer der bekanntesten »neuen« evangelikalen Pastoren, eingeladen, bei Barack Obamas Inauguration am 20. Januar das Gebet zu sprechen.

About this publication