Bedded By the Third Date, Or Else

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Nach dem dritten Date muss man im Bett landen

Von Britta Stuff und Hannes Stein 3. Januar 2009, 14:26 Uhr

Single-Metropole New York: In einem Drittel aller Wohnungen lebt nur jeweils ein Mensch, der morgens die Kaffeemaschine anwirft und abends das Licht ausmacht. Wer hier jemanden kennenlernen möchte, muss ein paar Regeln beachten. Die sind simpel, hart – und führen nicht immer zum Erfolg.

Die Regeln des Dating in New York sind so einfach wie brutal. Wir haben sie uns von drei sehr ernsthaften asiatischen Mädchen erklären lassen: Wenn nicht gleich zu Anfang geküsst wird, dann stimmt etwas nicht. Nach dem dritten Date müssen der Mann und die Frau miteinander ins Bett gehen. Sonst ist es aus. Man datet immer mehrere Menschen, andernfalls wäre man ein Versager. Nach ein paar Monaten wird offiziell vereinbart, dass man einander nunmehr exklusiv zur Verfügung steht. Aber auch dann gilt man noch nicht als Paar. Wohlgemerkt, die drei asiatischen Frauen, die uns all dies erklärten, waren keine Teenager, sondern ausgewachsene Anwältinnen.

Diese Regeln sind einerseits simpel, andererseits zwängen sie Gefühle in ein dermaßen enges Korsett, dass Liebeskummer unvermeidlich ist. Da hilft nur noch Fachliteratur. In der Buchhandlung “Barnes and Noble” in Brooklyn ist die Liebesratgeber-Ecke fast genauso groß wie die Regale “Heimwerken” und “Amerikanischer Bürgerkrieg” zusammen. Man findet dort: “Die fünf wahren Sprachen der Liebe für Singles”, “Warum Männer Luder heiraten” oder “Wenn Gott deine Liebesgeschichte schreiben würde”. Das Standardwerk der amerikanischen Single-Literatur ist aber ein ebenso effizientes wie romantisches Buch mit dem Titel: “Wie man es erreicht, dass jemand sich in 90 Minuten in dich verliebt”. Hinter Minuten steht ein Stern, der auf eine Fußnote verweist: “Es geht auch kürzer.”

Ja, New York ist die Stadt der Singles. In einem Drittel aller Wohnungen lebt nur jeweils ein Mensch, der morgens die Kaffeemaschine anwirft und abends das Licht ausmacht. Die Stadt hat seit Jahrhunderten den Ruf weg, sie sei die Metropole der einsamen Herzen. Mark Twain nannte New York “eine prachtvolle Wüste – eine von Kuppeln und Türmen überdachte Verlassenheit, wo der Fremde inmitten von Millionen Gattungsangehörigen doch allein bleibt”. In einer von J.D. Salingers Geschichten sagt der Held, das Gebet, man möchte allein gelassen werden, sei “das einzige Gebet, das in New York selten verloren geht, oder auf halbem Weg vergessen wird und in kürzester Zeit verwandelte sich alles, was ich anfasste, in pure Einsamkeit.”

Singles beim Speeddating

Wer durch New Yorks Straßen hastet, sieht selten Paare und wenn, handelt es sich meist um Touristen. Sind diese verlorenen Seelen mit den Starbucks- Bechern in der Hand allesamt Singles? Und wenn ja: Sind sie allein, weil sie es wollen? Oder weil sie es müssen?

Die Bar “Madame X” liegt ein paar Meter entfernt von einer der Haupteinkaufsstraßen in Manhattan. Dort, wo sich die Jungen und Erfolgreichen herumtreiben. Das Interieur: Roter Plüsch. An den Wänden hängen Bilder von nackten Frauen. Es gibt ein Obergeschoss mit einem Separée. Hier treffen sich Singles zum Speeddating. Diese Form des Kennenlernens ist nicht neu. In jeder größeren Stadt kann man auf die Schnelle Menschen treffen. Speeddating muss man sich wie ein Massenbewerbungsgespräch vorstellen. Die Frauen sitzen auf Hockern an niedrigen Tischen. Die Männer bewegen sich von Tisch zu Tisch. Nach vier Minuten ertönt ein Gong, das Gespräch wird unterbrochen und man geht zum nächsten Termin. Meist verlaufen die Gespräche nach folgendem Muster:

“Nice to meet you, was machst du, was mache ich, magst du auch Katzen/Minigolf/Fesselspiele, warst du schon mal hier?” Gong.

An Tisch Nummer sieben sitzt Kristin. Sie ist Assistentin in einer Anwaltskanzlei, schreibt aber in ihrer Freizeit einen Roman, “wie alle in New York”. Sie gibt offen zu, dass sie einsam ist. Sie sei über vierzig, da werde es Zeit, wenn man als Frau noch Kinder will. Liebe, sagt Kristin, sei auch eine Zeitfrage. Sie arbeite viel, dann das Buch, da bleibe nicht viel Raum für einen anderen Menschen. Sie verwendet nicht die Wörter “Freund” und “Liebe”, sie spricht von “Partner” und “Beziehung”. Steve hat eine ganz andere Geschichte. Er könne sofort eine Freundin haben, wenn er eine wolle. Er sei aber sehr anspruchsvoll. Der einzige Grund, warum er sich hier beim Speeddating rumtreibe, sei Weihnachten. Mit Mitte vierzig fühle man sich wie ein Aussätziger, wenn man zur Familienfeier ohne Begleitung erscheine. “Mein Bruder ist verheiratet, meine Schwester ist verheiratet. Meine Eltern glauben, ich hätte ein gestörtes Sozialverhalten.” Francoise hat sich gezwungen heute Abend herzukommen. Eigentlich trifft sie sich nicht mit Männern. Sie ist zu schüchtern und das amerikanische Dating-Ritual ist ihr fremd – ihre Eltern stammen aus Frankreich. Heute ist sie tapfer, sie steht lauter Vier-Minuten-Gespräche mit Fremden durch, damit sie nicht allein zu Hause sitzt.

“Es ist hier völlig okay, Single zu sein”

Wenn man das alles hört, möchte man am liebsten von der Brooklyn-Bridge springen. Man wäre unter den Einheimischen so ziemlich der einzige. In New York leben zwar die meisten Singles, aber der Staat New York hat die drittniedrigste Selbstmordrate in den USA. So schlimm kann die Hölle der Einsamkeit also nicht sein. Schauen wir uns etwa den Times Square an. Auf den ersten Blick sieht man nur Einzelgänger, die einander nicht ansehen, nicht miteinander sprechen. Auf den zweiten Blick sehen wir Touristen, die Passanten bitten, ein Foto zu schießen, Polizisten, die mit Geschäftsfrauen flirten, Freunde, die miteinander ins Kino gehen. Es mag in New York nicht viele starke soziale Kontakte geben, nicht viele Ehen oder Großfamilien, aber es gibt jede Menge schwache soziale Kontakte.

John hat eine Nachbarin, die ihn manchmal zum Frühstück einlädt, einen sizilianischen Friseur, mit dem er sich stundenlang über Mussolini unterhält, eine Kirchengemeinde, in der er jeden Sonntag gregorianische Choräle singt und eine Stammkneipe, in der die Bedienung ihn begrüßt wie einen alten Freund. Erika ist seit einem halben Jahr in New York. Sie kennt schon einen Türsteher, der sie umsonst in seinen Club lässt. Mit ihrem Mitbewohner geht sie Schlittschuhlaufen, und mit ihrem schwulen Arbeitskollegen besucht sie die Metropolitan Opera. Sie sagt: “Ich habe früher in New Jersey gelebt. Dort wohnten lauter Familien in ihren Einfamilienhäusern und ich fühlte mich ziemlich allein, wie ein exotisches Tier. In New York sind lauter Singles. Es ist hier völlig okay Single zu sein.”

Eric Klingenberg lehrt als Soziologe an der New York University. Er arbeitet gerade an einem Buch mit dem Titel “Allein in Amerika”. Er und sein Team haben mehr als 200 Singles über ihre Erfahrungen befragt, 160 von ihnen stammten aus New York. Er sagt: “Ich mache mir Sorgen um Arme und Alte, die allein leben. Ich mache mir Sorgen um Kranke, die allein leben. Aber wir müssen uns der Frage stellen, warum es Menschen gibt, die sich in anderen Lebensphasen bewusst dafür entscheiden allein zu sein.” Allein leben kann ein Übergang von der Jugend ins Erwachsenenalter sein. Oder ein Zeichen für ökonomischen Erfolg. Oder eine Form seine Marotten zu pflegen. Tatsächlich ist New York nicht nur die Stadt der Singles, sondern auch der Exzentriker. Man darf in New York eigentlich alles sein. Nur nicht dick oder Republikaner.

Fast alle New Yorker suchen Spaß

Es verwundert nicht, dass New York die Stadt auch der Aufreiß-Künstler ist. “Alles was ich mir zu Weihnachten wünsche bist du”, behauptet einer der Männer beim Speeddating bei “Madame X”. Schaut man sich die Kontaktanzeigen auf craigslist an, Amerikas beliebtestem Internet Marktplatz, sieht man: Fast alle New Yorker suchen Spaß, so gut wie niemand eine ernsthafte Liebesgeschichte. Die Auswahl ist auch einfach zu groß, um sich festzulegen. Genau da liegt auch das Problem. Man sieht vor lauter Wald den Baum nicht mehr. Tausend ungenutzte Möglichkeiten ergeben in der Summe: keine einzige. Singles hangeln sich von einem Traum zum nächsten und verpassen in der Eile das wirkliche Leben.

Kristin verlässt direkt nach dem letzten Gong frustriert das Speeddating. “Nur Idioten und Verrückte hier”, sagt sie. “Ich bin langsam zu alt für den Scheiß.”

Es mag dem Single in New York so gehen, wie dem Jüngling in Eichendorffs Lied, den tausend Stimmen in den Abgrund sangen und logen:

“Und wie er auftaucht vom Schlunde,

da war er müde und alt,

sein Schifflein, das lag im Grunde,

so still war’s rings in der Runde,

und über die Wasser weht’s kalt.”

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