The Puzzle: An Essay On George W. Bush’s Departure

<--

Zum Abschied von George W. Bush: Das Rätsel

Von Nils Minkmar

Ein sadistischer Hauch

In wenigen Tagen beginnt diese Geschichte von vorn. Auch nach acht Jahren als mächtigster und zugleich meistbeobachteter Mann der Welt bleibt das Rätsel George W. Bushs intakt. Es stellt sich heute, nach zwei Kriegen und einer ausgewachsenen Weltwirtschaftskrise, mit der gleichen brutalen Frische wie vor zehn Jahren, als ein Reporter vom inzwischen eingestellten Magazin „Talk“ den ambitionierten Präsidentensohn in Texas besuchte.

Damals bewegte das Schicksal von Karla Faye Tucker die Öffentlichkeit, der ersten Frau, die nach Kriegsende in Texas zum Tode verurteilt worden war. Der Reporter und Bush, der als Gouverneur für das Gnadengesuch der Frau zuständig war, kamen auf den Fall zu sprechen. Tucker war am Abend zuvor in der „Larry King Show“ zu Wort gekommen. Was Sie denn da gesagt habe, fragte der Reporter, der die Sendung verpasst hatte. „Na, was wohl“, antwortete Bush und schürzte seine Lippen, um die Frau nachzumachen: „Please don’t kill me!“ Bitte bringen Sie mich nicht um!

Wie, fragte der Reporter später, reagiert man darauf? Gibt man sich als hoffnungsloser Gutmensch und Späthippie zu erkennen und empört sich über die Verhöhnung einer Todeskandidatin, oder lacht man mit, in der Hoffnung, irgendein übergeordneter Plan werde dahinterstehen, der diese kurze Geschmacklosigkeit durch höhere Güter kompensieren werde? Jedenfalls lehnte Bush die Umwandlung in eine lebenslange Freiheitsstrafe ab, Tucker wurde hingerichtet. In dieser kurzen Szene von vor zehn Jahren war Bush schon ganz zu erkennen: dieser kalte Humor und die Bereitschaft, auch gegen die versammelte öffentliche Meinung tapfer das Leben von anderen zu beenden. Wo bei Reagan ein sonniges Gemüt die deutlich erkennbaren Schattenseiten aufhellte, so dass kaum jemand ihm persönlich böse sein mochte, da weht einem in unzähligen Bush-Geschichten ein sadistischer Hauch an, der einen frieren lässt und die Frage aufwirft, ob der Mann immer ganz bei sich war.

Die große amerikanische Autorin Nora Ephron hat die psychopathologische Dimension dieser Frage in ihrem Text „What’s Eating George Bush?“ klarer gesehen und deutlicher beschrieben als viele politische Korrespondenten, die schließlich immer darum besorgt sein müssen, dem Protagonisten ihrer Arbeit einen Rest an Relevanz und Rationalität zu belassen. Ephron sah in einem heute fast vergessenen Ereignis den Schlüsselmoment der Bush-Jahre: Am 11. Mai 2005 flog ein Sportflugzeug unerlaubterweise in den gesperrten Luftraum über Washington und näherte sich dem Kapitol. Der Secret Service verfügte die Räumung des Weißen Hauses, Dick Cheney und Laura Bush wurden in den Bunker geleitet. Der Präsident war nicht da. Bush war auf Fahrradtour in Maryland. Der Punkt, der Nora Ephron so beschäftigt, ist die Tatsache, dass man Bush erst über den Vorfall unterrichtet hat, als die Gefahr bereits vorüber war.

Seine Frau wird in den Bunker gebracht, und das ist nicht Grund genug, den Präsidenten beim Sport zu stören? Ephron vermutet, das obsessive Verlangen von Bush nach körperlicher Anstrengung habe mit seinem Kampf gegen Depressionen zu tun, wie sie sich bei ehemaligen Alkoholikern oft einstellen. Und an jenem Tag im Mai hat die Umgebung des Präsidenten eben entschieden, die beruhigende Wirkung des Sports einsetzen zu lassen, bevor man ihn mit der beunruhigenden Nachricht konfrontierte.

Später in jenem Jahr zog sich Bush wochenlang auf seine Ranch zurück, und als er aus den Ferien zurückflog, war New Orleans dabei, nach angekündigtem Dammbruch, in den Fluten unterzugehen. Bush reagierte auf diese Standardsituation für Staatsmänner wie ein unter schweren Medikamenten stehender Mann, irritiert, zögerlich, und bewegte sich, so schreibt Ephron „wie unter Wasser“. Sie mutmaßt, Ärzte hätten ihn während der langen Ferien auf neue Medikamente eingestellt.

Dieser Sommer besiegelte Bushs politisches Schicksal: Nicht der Irakkrieg, die unzulängliche Reaktion auf die Naturkatastrophe hat ihn sein verbliebenes Ansehen unter Republikanern gekostet. Auf seiner letzten Pressekonferenz in der vergangenen Woche kam er auf diese Zeit zurück und referierte umständlich, weshalb er damals die Stadt bloß überflogen habe: Wenn er mit der Air Force One gelandet wäre, hätte man so viele Verkehrspolizisten abziehen müssen, um seinen Konvoi zu schützen, da hätte die Presse ja auch wieder was zu meckern gehabt. Dass auch die zuständige Bundesbehörde handlungsunfähig war, weil sie, statt von einem Fachmann, von einem Parteigänger aus der Pferdezuchtbranche geleitet wurde, dass die staatliche Hilfe insgesamt, die zu koordinieren seine Aufgabe gewesen wäre, miserabel war, auf die substantielleren Vorwürfe, die ihm unter anderem auch vom republikanischen Kandidaten John McCain gemacht wurden, kam er nicht zu sprechen.

Nora Ephrons Text war, als er in der „Huffington Post“ veröffentlicht wurde, ein singulärer Tabubruch, könnte sich aber für die Verteidiger Bushs zu einem wichtigen Instrument entwickeln, Stichwort Unzurechnungsfähigkeit. Denn der Abschied ist bloß politisch. Juristisch wird die Aufarbeitung der Bush-Ära noch Jahre und Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Zahlreiche Gesetze sichern dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und ehemaligen Regierungsmitgliedern Schutz vor Strafverfolgung in den Vereinigten Staaten zu. Gerade deswegen aber könnten sich Richter in anderen Teilen der Welt berufen fühlen, Klagen gegen diesen Personenkreis zuzulassen.

Die Angehörigen von zahllosen Opfern mangelhaft geplanter Militärschläge oder willkürlicher Polizei- und Armeeoperationen wären klageberechtigt, ebenso die vielen Unschuldigen, die ohne Gerichtsverfahren in den Sondergefängnissen unter amerikanischer Verantwortung gefoltert wurden. Mit Tausenden von Verfahren ist zu rechnen. Es wird also noch Gelegenheit geben, über Schuld und Unschuld zu diskutieren.

Auf allen Feldern versagt

Nun ist es allerdings auch an der Zeit, die Bush-Jahre als einen phantastischen Bildungsroman zu lesen, eine Erziehung des Publikums zur politischen Mündigkeit. In der Wahlnacht des November 2000 saß ich als stummer Beobachter im Newsroom von CNN in Atlanta herum. Es war damals irgendwie allen egal, ob mit Al Gore ein gemäßigter Linksliberaler und Proponent eines wirtschaftsfreundlichen Dritten Wegs ins Weiße Haus einzieht oder der gemäßigte Republikaner und Befürworter eines mitfühlenden Konservativismus. Die Wirtschaft und das Geschehen der Märkte gaben den Takt des Lebens im Land vor, die Republik bestand aus mehr oder minder gut funktionierenden Subsystemen, lediglich zu deren Koordinierung brauchte man, an hohen Feiertagen beispielsweise, die Zeremonienmeister in Washington.

Bush hat davon nichts übriggelassen, nichts von den einzelnen Funktionselementen der damaligen Supermacht, nichts vom symbolischen Kapital des Westens und erst recht nichts vom Urvertrauen in den Staat und die Märkte. Gründlicher als es sich „Ton Steine Scherben“ je hätten träumen können, hat er kaputtgemacht, was auch immer er kaputtmachen wollte: „Es gibt“, stellte der Erfurter Politikwissenschaftler Dietmar Herz staunend fest, „kein einziges Politikfeld, auf dem die Bush-Regierung nicht versagt hat.“ Schließlich hat er auch das Amt selbst ruiniert. Seine Weigerung oder Unfähigkeit – Vorsatz oder Pathologie?, hier haben wir die zentrale Frage der Post-Bush-Ära wieder –, die Finanzmärkte einigermaßen überwachen zu lassen, hat zu einer Weltwirtschaftskrise geführt, die seinen Amtsnachfolgern die Möglichkeit nimmt, Politik zu machen, jedenfalls wie er es verstand: auf lange Sicht besteht keine Möglichkeit zu seinen geliebten Steuersenkungen. Aber versteht er, was er da angerichtet hat? Seine klarste Aussage zur Krise war der Satz: „Es tut mir leid, dass das passiert.“

Vom Amt überfordert

In stillen Stunden wird noch oft über das Geheimnis des George W. Bush zu grübeln sein. Überall in der Welt gibt es ja diesen kindlichen Wunsch, dass nur der in eine solche Machtposition gelangt, der auch die Mittel hat, sie auszufüllen. Was aber, wenn nicht? Irgendwann in der Mitte seiner ersten Amtszeit, oder noch viel früher, wird ihm selbst bewusst geworden sein, dass das Amt ihn überfordert. Dann kam der Kampf um die Wiederwahl, die ersehnte zweite Amtszeit und mit ihr das von Nora Ephron beschriebene Loch, aus dem er nicht mehr zurückfand.

Die Öffentlichkeit hat es ihm mit diesem regressiven Wegschauen und Hoffen, es werde sich alles schon fügen, zu leicht gemacht. Wie in der Szene mit der Todeskandidatin der Reporter die direkte Konfrontation scheute, also ihn zu fragen, was er sich eigentlich dabei denke, eine um ihr Leben flehende Frau nachzumachen, so haben allzu viele Diplomaten, Beamte und auch Journalisten die fehlgeleiteten und frivolen Pläne Bushs einfach durchgewunken, bloß weil sie von oben kamen. Sterben mussten andere.

About this publication