Obama and the World: So Many Crises

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Obama und die Welt

So viele Krisen

Von Andrea Böhm | © ZEIT ONLINE 20.1.2009 – 12:51 Uhr

Geradezu schwindelerregend sind die außenpolitischen Aufgaben, die auf Obama warten. Doch geben sie ihm gleichzeitig die Chance, ein paar wirklich große Würfe anzugehen

Auf den neuen US-Präsidenten Barack Obama warten zahlreiche weltpolitische Krisen

© MANDEL NGAN/AFP/Getty Images

Man fragt sich manchmal, warum der Mann noch so gute Laune hat. Die Liste der internationalen Großkrisen, die Barack Obama erwarten, ist bekannt. Aber beim Aufzählen wird einem trotzdem immer wieder schwindelig: Ein eskalierender Krieg in Afghanistan, ein komplizierter Rückzug aus dem Irak. Ein zunehmend fragiles Pakistan, das die Atombombe bereits hat, und ein zunehmend fragiler Iran, der sie haben will.

Dazu der Dauerkonflikt in Nahost, eine ständig mutierende al-Qaida, ein notorisch gekränktes und deshalb aggressives Russland, ein China, das zwischen Großmachtträumen und sozialen Zerreißproben pendelt. Fehlt noch was? In Darfur und im Kongo werden weiterhin Gräueltaten begangen, die Erderwärmung beschleunigt sich, der weltweite Finanzsektor verharrt in Schockstarre.

Vermutlich hat kein neu gewählter Präsident so früh und gründlich mit der Vorbereitung seiner Amtszeit begonnen wie Barack Obama. Sein außenpolitisches Team ist aufgestellt. Hillary Clinton an der Spitze des State Department wird sich umgehend auf den Nahost-Konflikt stürzen, den die Bush-Administration so sträflich vernachlässigt hat. Bei James Jones, dem Nationalen Sicherheitsberater, werden wohl die wichtigsten Fäden der Irak- und Afghanistan-Politik zusammenlaufen. Der neue CIA-Chef Leon Panetta wird einen desorganisierten Geheimdienstapparat, der unter Foltervorwurf steht, reformieren müssen.

Die neue UN-Botschafterin Susan Rice soll im Sicherheitsrat nicht nur das neue freundliche Gesicht gegenüber den Vereinten Nationen zeigen, sondern China und Russland auch auf ein geschlossenes Vorgehen gegenüber dem Sudan – in Sachen Darfur – und Iran – in Sachen Atomwaffen – einschwören. Die Umweltpolitikerin Carol Browner wird die Energiepolitik im Weißen Haus koordinieren und soll die USA im internationalen Klimaschutz dorthin bringen, wo der neue Präsident sein Land sehen will: an der Spitze der Bewegung.

Den Dreisatz der neuen amerikanischen Außenpolitik könnte man folgendermaßen beschreiben: damage control – zum Beispiel durch die Schließung des Gefangenenlager auf Guantánamo und ein grundsätzliches Bekenntnis zu Prinzipien des Völkerrechts. Radikale Kehrtwenden – vor allem in der Ökologie. Und einige Fragezeichen. Denn noch ist völlig unklar, ob eine Obama-Administration gegenüber Israel einen kritischeren Ton als die Bush-Regierung anschlagen wird, ob sie an Bushs Projekt eines Raketenabwehrsystems in Osteuropa festhält und an dem amerikanischen Bestreben, Georgien und die Ukraine möglichst bald in die Nato aufzunehmen.

Damit stecken wir schon mitten im Dickicht des politischen Krisenalltags. Obamas Potenzial liegt aber auf einer ganz anderen Ebene. Der weltweite Vertrauensvorschuss in diesen Mann beruht ja auf zweierlei: auf seiner Biografie als “amerikanischer Weltbürger” und auf seinem Charisma. Und gerade vor dem Hintergrund der genannten Krisen spielt die Macht der Ausstrahlung eine enorm wichtige Rolle.

Obamas Charisma beruht auf einer zivilen Souveränität, die in krassem Kontrast zum Hypermachismo von George W. Bush steht. Letzterer symbolisierte ein Land, dass sich in Folge des 11. Septembers 2001 auf seine schlechtesten Traditionen besann: den messianisch überhöhten Anspruch, unverwundbar und unfehlbar zu sein, und sich deshalb für keine Handlung – egal ob Krieg, militärischer Präventivschlag oder den Einsatz von Folter – rechtfertigen muss.

Obama repräsentiert ein Amerika, das sich zwar unverdrossen für das auserwählte Land hält, aber gleichzeitig die Grenzen seiner Vormachtstellung und vor allem seine Fehlbarkeit anerkennt, ohne darin ein Zeichen der Schwäche zu sehen.

Gerade weil ihm dies vorläufig zur Stärke gereicht, hat er die Chance, sich über die Konfliktlinien des “Krieges gegen den Terror” und dessen politische Fallen hinwegzusetzen und außenpolitisch ein paar große Würfe anzugehen. Er könnte mit souveräner Geste direkte Verhandlungen mit Iran anstreben. Er könnte, statt sich in Afghanistan nur auf den Krieg gegen die Taliban zu fixieren, endlich eine Regionalkonferenz einberufen unter Beteiligung Indiens, Pakistans und Irans. Er könnte tatsächlich das idiotische Projekt des Raketenschutzschilds in Osteuropa streichen, könnte ebenso idiotische Provokationen Moskaus einfach abperlen lassen mit dem Verweis darauf, dass die Welt derzeit wichtigere Probleme hat: nämlich die Finanz-und Wirtschaftskrise sowie den Klimawandel.

Könnte.

Ob er all das tun wird, hängt nicht nur vom politischen Willen ab, sondern auch von eben dieser Ausstrahlung einer zivilen Souveränität. Diese würde im Fall eines erneuten Terroranschlags sofort zur Angriffsfläche, wenn ein erheblicher Teil der amerikanischen Öffentlichkeit nach militärischer Vergeltung rufen wird. Diese würde auch schnell verblassen, wenn er sich in Afghanistan und in Pakistan auf eine militärische Eskalation einlässt – eine Sorge, die nicht unbegründet ist angesichts seiner Äußerungen im Wahlkampf und seiner Pläne, amerikanische Truppen dort massiv aufzustocken.

Am Ende sind das vielleicht die entscheidenden Faktoren von Obamas neuer Außenpolitik: die Haltbarkeit oder Vergänglichkeit seiner Aura. Und seine Fähigkeit oder Unfähigkeit, die Interessen einer schwächelnden und gedemütigten Supermacht mit dem in Einklang zu bringen, was er auf seinen Auslandsreisen immer als Vision entworfen hat: eine Politik eines globalen Gemeinwohls. Natürlich unter amerikanischer Führung.

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