Obama’s Provocative Preacher

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Ein provokanter Prediger für Obama

Von Michaela Haas, Los Angeles | © ZEIT ONLINE 23.1.2009 – 19:08 Uhr

Der neue Präsident ließ bei seiner Vereidigung einen umstrittenen evangelikalen Pfarrer ein Gebet sprechen. Das sorgte für Protest unter seinen Anhängern

Dieses Bibelzitat war bei Obamas Amtseinführung nicht zu hören: Matthäeus 23, „Auf Moses Stuhl sitzen die Pharisäer“ steht auf dem Schild, das Shelley Kuchta Arm in Arm mit ihrer Freundin schwenkt, „Warren, du Heuchler“ auf einem anderen. 3000 Kilometer von Washington entfernt, vor den Glasportalen von Rick Warrens Saddleback- Kirche im kalifornischen Orange County, schwenken hundert Demonstranten Regenbogenflaggen und rosafarbene Protestplakate, während das Objekt ihrer Verachtung für kurze Zeit im Lichtkegel der Weltaufmerksamkeit stand.

Barack Obama hatte den prominenten Prediger Rick Warren gebeten, am vergangenen Dienstag das offizielle Gebet vor seiner Vereidigung zu sprechen. Normalerweise ziehen diese frommen Sätze nicht viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber diesmal war das anders.

Schon im Vorfeld provozierte die Einladung des evangelikalen Predigers heftige Proteste, insbesondere, weil Warren offen schwulenfeindlich ist. Obama-Anhänger reagierten empört, zumal in seinem Heimatstaat Kalifornien erst vor wenigen Monaten frisch getraute Homosexuelle per Gesetzesänderung gezwungen wurden, ihre Eheringe zurückzugeben.

Würde Warren die Aufmerksamkeit nutzen, um weiter zu polarisieren und zu spalten? Er wählte einen versöhnlichen Ton und bat Gott darum, dem neuen Präsidenten “Weisheit zu geben, uns mit Bescheidenheit zu führen, den Mut, uns mit Anstand zu führen, das Mitgefühl, uns mit Großzügigkeit zu führen”.

Dennoch, während Warren vor Millionen Fernsehzuschauern um „Freiheit und Gerechtigkeit für alle“ betete, fühlten sich nicht nur Antidiskriminierungsgruppen und einige Buhrufer vor dem Kapitol von diesem frommen Wunsch ausgeschlossen. „Obama hat unsere Stimmen gebraucht, aber sobald er gewählt ist, lässt er uns im Regen stehen,“ sagt die liberale Jenny Mirmak, die zusammen mit ihrem Ehemann und ihrer sieben Jahre alten Tochter in Saddleback demonstrierte.

Wer ist dieser Rick Warren, und warum ist Obama dieses Risiko eingegangen?

Beim Besuch in seiner Kirche in Orange County zeigt sich Warren auf den ersten Blick als willkommene Abwechslung zu Obamas früherem religiösen Mentor, dem Hassprediger Jeremiah Wright, oder den gestrengen Moralandachten des bisherigen nationalen Vorbeters Billy Graham.

Warren ist einer von den charmanteren, suprakonfessionellen Predigern, der Gott als guten Kumpel betrachtet. Kein abgehobener, distanzierter Kirchenmann, sondern ein hemdsärmeliger, jovialer Prediger, zu dem Gott angeblich höchstpersönlich Sätze sagt wie: „Hey, Rick, Du scherst dich einen Teufel um die Armen und die Kranken. Du musst dich ändern!“

Es war auch Gott, der dem Pastorensohn in vierter Generation 1980 angeblich die Eingebung schickte, aus dem Norden Kaliforniens in das rasch expandierende, gesichtslose Orange County zu fahren. Drei Monate zog der frischgebackene Seminarabsolvent mit seiner hochschwangeren Frau Kay von Haus zu Haus, um die Leute zu fragen, warum sie nicht in die Kirche gehen. Zu abgehoben, zu unfreundlich, zu geldgierig, sagten die Leute.

Wie ein Auftragsarchitekt fertigte Warren daraufhin kein karges Gotteshaus mit Holzbänken und Kreuzweg, sondern einen multimedialen religiösen Vergnügungspark auf 150 Hektar mit Trambahn, Fitnessstudio, Bar, Kinderparadies und mehreren Gottesdiensten gleichzeitig: Jederzeit haben die durchschnittlich 22.000 Wochenend-Besucher die Wahl, ob sie das Amen lieber zu den Hardrock-Gitarren im Zelt schmettern, beim coolen Disco-Gottesdienst für 20- bis 30Jährige abrocken oder den Pastor live in der schmucklos designten Megahalle bestaunen wollen.

Keine Beichtstühle, keine Christus-Szenen, stattdessen bequem gepolsterte Sitzreihen, drei Gitarren, sechs Background-Sänger, Saxophon, ein Schlagzeug, das auch den Kirchgänger in der letzten Reihe vom Sessel reisst. „Hoffnung im Herzen“, rockt die Gemeinde, als hätten sie Obamas Parolen vertont, und hinter der Kanzel Rick Warren mit Sechs-Tages-Kinnbart, Hawai-Hemd und ausgebeulten Jeans.

„Was heilt Amerika?“ heißt das Thema bei Warrens letzter Sonntagspredigt vor der Inauguration. Beide Hände in den Hosentaschen, pilgert er unruhig vor seinen Schäfchen auf und ab und buchstabiert die Antwort zum Mitschreiben: „beichten, bereuen, beten.“

Erst auf den zweiten Blick entlarvt sich der so harmlos wirkende, 54 Jahre alte Warren als kühl kalkulierender Chef einer evangelikalen Megakirche, als dreister Vermarkter Gottes, der die Prinzipien rasanter Geschäfts-Expansion auf den Glauben anwendet: Von null auf 40 Millionen Fans in 28 Jahren. Time nennt Warren den „zweifellos einflussreichsten Kirchenmann Amerikas“, aber dass er so weit gekommen ist, liegt weniger an seinen durchschnittlich interessanten Standardpredigten, sondern seinem professionellen Gespür für religiöse Marktlücken.

Warrens 40-Tage-Programm „Kirche mit Vision“ funktioniert nach dem Franchise-Prinzip. Wäre Saddleback eine Firma, stünde sie in einer Reihe mit Starbucks und Microsoft. Sein spiritueller Weltseller „Leben mit Vision“ machte ihn mit 40 Millionen verkauften Exemplaren zum Multimillionär und einem der weltweit erfolgreichsten Sachbuchautoren.

Allein der Aufstieg zum nationalen Prediger reicht Warren aber nicht aus. Seine Vision ist die Ausbreitung seiner Mission auf den ganzen Globus, sein sogenannter PEACE-Plan, jedes einzelne Land und jede Kirche auf dem Planeten für seine Vision von weltweiter sozialer Gerechtigkeit einzuspannen.

Noch im vergangenen Jahr hat Warren seine Anhänger aufgerufen, sich ein Beispiel an der Hingabe der Hitlerjünger zu nehmen. „’Hitler, wir gehören dir’ schrieben die Hitlerjünger mit ihren Körpern in das Münchner Stadion,“ predigte er, „bevor sie fast die Welt eroberten.“

Seit Warren erkannt hat, dass die Republikaner an den Schaltstellen Washingtons zu einer ausgezählten Spezies gehören, positioniert er sich als Pastor der Harmonie. Den Absatz auf seiner Website, in dem er Schwule (und unehelich zusammen lebende heterosexuelle Paare) von der Mitgliedschaft in seiner Kriche ausschloss, hat er gelöscht. Daran, dass er Schwulsein noch vor einem Jahr in einem Atemzug mit Pädophilie, Polygamie und Inzest genannt hat, will er heute nicht mehr so gern erinnert werden. Auch nicht daran, dass er noch vor vier Jahren seinen Anhängern nahegelegt hat, George W. Bush wiederzuwählen. Warren braucht Obama, weil er für seine weltumspannenden Visionen die Unterstützung beider Parteien benötigt.

Und Obama braucht Prediger wie Warren, denn er öffnete ihm die Tür zu den konservativen, weißen Kirchgängern, ohne deren Stimmen er nicht gewählt worden wäre. Schon 2006 hat Warren Obama nach Saddleback eingeladen, um den aufstrebenden Senator trotz der Differenzen in Sachen Abtreibung, Stammzellenforschung und Schwulenehe über Strategien gegen HIV reden zu lassen – für einen evangelikalen Prediger ein geradezu blasphemischer Akt, für den er in den eigenen Reihen scharf attackiert wurde.

Im August 2008 gaben ihm sowohl John McCain als auch Obama die Ehre, sich von ihm in Saddleback zwei Stunden lang auf ihre Bibelfestigkeit testen zu lassen – eine Aufwertung, die sie keinem anderen Pfarrer erwiesen. „Dieser Dialog“, sagt Obama zu den Kritikern von Warrens Einladung als Inaugurationspfarrer, „ist Teil meiner Kampagne: Wir sind uns nicht in allen Sachen einig, aber wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in dem wir uns widersprechen können, ohne uns widerwärtig zu sein, um uns dann auf die Dinge zu konzentrieren, die wir als Amerikaner gemein haben.“

Um den aufgebrachte liberale Flügel zu beruhigen, hat Obama Bischoff Gene Robinson gebeten, zwei Tage vor seinem Amtsantritt am Lincoln-Denkmal das Großkonzern mit Bruce Springsteen, Stevie Wonder und Beyonce, einzubeten. Robinson ist ein ganz anderes Kaliber: der erste und einzige offen schwule Bischof der protestantischen anglikanischen Kirche, ein sanft lächelnder, enorm populärer 61 Jahre alter Kirchenvater, der im letzten Jahr seinen langjährigen Partner offiziell geheiratet hat – wegen der vielen Drohungen beide mit schußsicheren Westen unter dem Hochzeitsgewand.

Bei seiner Rede am Lincoln Denkmal beschwor Robinson die Rechte von Schwulen und Lesben, aber kurz zuvor hatte Obamas Team offenbar der Mut verlassen: Der Bischof musste fünf Minuten vor Beginn des offiziellen Programms sprechen. Die Lautsprecher waren noch nicht eingeschaltet, die Fernsehkameras übertrugen noch nicht, nur wer in Hörweite war, verstand, worum Robinson Gott anflehte: „Segne uns mit Freiheit von bloßer Toleranz – ersetze es mit echtem Respekt und einer herzlichen Umarmung unserer Unterschiede.“

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