Aus Islamisten Salonlöwen machen
Von Michael Thumann | © ZEIT ONLINE 23.1.2009 – 18:47 Uhr
Wie kann Obama die Radikalisierung in Nahost stoppen? Indem er auf allen Ebenen Gespräche beginnt
Trauer und Triumph, Zerstörung und Neuanfang, Desillusionierung und Zuversicht – das alles liegt dicht beieinander in der abgelaufenen Woche. Im Nahen Osten wich der Krieg zwischen Israel und Hamas in Gaza nach drei Wochen endlich einem Waffenstillstand. In Washington übernahm Barack Obama in einer historischen, bewegenden Feier das Oval Office im Weißen Haus.
Der neue US-Präsident erwähnte bei seiner Antrittsrede in der Mall von Washington den Krieg bemerkenswerterweise nicht. Dafür rief er am Tag danach als einen der ersten ausländischen Führer Machmud Abbas an, den noch amtierenden palästinensischen Präsidenten. Barack Obama scheint – ganz anders als sein Vorgänger – den palästinensisch-israelischen Konflikt als gefährliche Konfrontation und vordringliche Aufgabe zu begreifen. Das ist gut, aber wird es reichen, um den Konflikt zu entschärfen?
Kaum. Barack Obama wird im Mittleren Osten nur dann Erfolg haben, wenn er die monumentalen Fehler seines Vorgängers erkennt und durchgreifend korrigiert. Er muss vorerst mit den von George Bush geschaffenen neuen Kräfteverhältnissen leben: Die Fanatiker und Verstockten sind obenauf. Wie kann Obama die weitere Radikalisierung der Region stoppen?
Drei Kriege haben die USA und Israel in der arabischen Welt geführt. Der erste, im Irak 2003, hat die irakische Republik als gewichtigen Spieler auf dem Mächteschachbrett eliminiert und so Iran den Aufstieg zur regionalen Vormacht ermöglicht. Der zweite Krieg, im Libanon 2006, hat den Hisbollahführer Hassan Nasrallah zum gefeierten Helden des “Widerstands” gegen Israel gemacht. Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte des Mittleren Ostens ist ein radikaler schiitischer Führer zum leuchtenden Idol der sunnitisch-arabischen Welt geworden.
Der dritte Krieg, im Gaza-Streifen 2009, hat wahrscheinlich die islamisch-nationalistische Hamas zur mächtigsten Partei der Palästinenser gemacht. Machmud Abbas, dessen Amtszeit bereit abgelaufen ist, steht da als diskreditierter Verbündeter Israels, der während der Bomben auf Gaza seinen politischen Vorteil suchte. Die Hamas-Führer aber hatten Gelegenheit, mit dem wilden Raketenbeschuss israelischer Städte bei den Arabern für sich zu werben.
Hamas’ schwindende Popularität, ihre blinde Brutalität, ihre Verfolgung Andersdenkender, ihre Unfähigkeit zu regieren – vor dem Krieg große Themen, die viele Palästinenser nun vergessen haben. Das bloße Durchhalten gegen Israel verleiht Hamas in der ganzen Region den Heldenstatus. Wieder haben die Gegner Israels und Amerikas nicht den militärischen, aber den politischen Sieg davongetragen. Auf die nächste palästinensische Wahl darf sich Hamas jetzt schon freuen.
Was ist daraus zu lernen? Die erste Einsicht: Krieg ist, frei nach Clausewitz, die Fortsetzung der politischen Ratlosigkeit mit militärischen Mitteln. Die westlichen Demokratien haben die militärische Option seit 2001 in Afghanistan und im Irak, Israel seit 2006 im Libanon und in Gaza ausgeschöpft. Die Gegner des Westens sind moralisch aufgerüstet, die Waffe aber ist stumpf geworden. Auch als Drohung.
Die zweite Einsicht: Die Aufsteiger der Region, die Mullahs in Teheran, Hisbollah in Südbeirut, Hamas in Gaza und Damaskus verschwinden nicht, wenn Amerika und Israel das Gespräch mit ihnen verweigern. Leider hat sich die EU dieser selbst verordneten Sprachlosigkeit angeschlossen. Es ist zu hoffen, dass der begnadete Kommunikator Obama dem Westen und Israel die Zunge löst. Mit allen wichtigen Spielern im Nahen Osten zu reden, ist keine Belohnung für Wohlverhalten, sondern eine politische Notwendigkeit.
Dazu gehört eine dritte Einsicht: Die intellektuell verbohrte und politisch törichte Gleichsetzung von terroristischen Dschihadisten der al-Qaida und regional verwurzelten Islamisten wie Hisbollah und Hamas sollte der unseligen Bush-Vergangenheit angehören. Anders als al-Qaida setzen Hisbollah und Hamas nämlich den alten arabischen Nationalismus fort – nur eben mit religiöser Grundierung. Hisbollah ist dabei im Libanon ein von allen Parteien akzeptierter politischer Mitspieler geworden, der durchaus fassbare Interessen verfolgt und auch Kompromisse macht. Dort wäre die chaotisch-militante, aber leider populäre Hamas irgendwann einmal hinzubringen.
Die vierte Einsicht: Es war falsch, allein auf die autoritären arabischen Regime im Mittleren Osten zu setzen. Die Kriege haben neue starke Spieler in der Region nach oben gebracht, die nicht mit Iran, Hamas und Hisbollah verbündet sind, aber laufend mit ihnen sprechen. Die Rede ist von der Gas-Großmacht Qatar und der aufsteigenden Türkei. Weitgehend unbemerkt vom Westen ist der gläubige, pragmatische türkische Premier Erdogan zur gefeierten Figur auf der arabischen Straße geworden. Dazu hat seine sehr emotionale Kritik an Israel im Gaza-Krieg beigetragen. Wenn der Westen jedoch Erdogan ganz unemotional betrachtet, kann der Mann mit seinen Drähten Richtung Washington und Teheran, zu Hamas und zu Israel ziemlich hilfreich sein.
Der Wechsel von Bush zu Obama ist die Chance, im Mittleren Osten das Gespräch auf 1001 Ebenen zu beginnen. Demokratische Thinktanks in Washington und in dieser Woche die Bertelsmannstiftung haben dazu viele Vorschläge gemacht. Keiner darf dabei sofort “Lösungen” erwarten. Das große lange Palaver aber wird – das lehrt schon der Kalte Krieg – aus vielen Radikalen Salonlöwen machen.
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