Misplaced Romanticism

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Falsche Romantik

FRAUKE HASS

Wer sich so stark ein Kind wünscht, dass er nicht mehr klar denkt, muss vor sich selbst geschützt werden. In der Fortpflanzungsmedizin geht es immer auch um Leben und Tod.

Kann man Leben gegeneinander aufrechnen? Die Geburt von Achtlingen in den USA hat eine Debatte über ethische Fragen in der Fortpflanzungsmedizin angestoßen, denn diese ermöglicht nicht nur neues Leben, sondern sie muss auch immer wieder Entscheidungen treffen, die zum Tod von Embryonen führen können.

Was tun, wenn bei einer Zwillingsschwangerschaft zwölf Wochen vor dem Geburtstermin der eine Zwilling so krank ist, dass er dringend behandelt werden müsste, ein vorzeitiger Kaiserschnitt also nötig wäre? Wenn dem anderen Zwilling dadurch aber wertvolle Wochen Reifezeit im Mutterleib genommen werden? Mit der Folge einer womöglich lebenslangen Schädigung?

Was tun im Fall einer Frau, die sich seit vielen Jahren verzweifelt wünscht, schwanger zu werden? Die sich eierstockstimulierende Medikamente geben lässt. Und dann ist sie plötzlich schwanger. Vielleicht ist sie nicht zur Kontrolluntersuchung gegangen, bei der ihr Arzt rechtzeitig gesehen hätte, dass zu viele Eizellen sprungbereit sind, fünf, sechs oder gar acht. Er hätte ihr dringend nahegelegt, in diesem Zyklus auf Sex zu verzichten oder ein Kondom zu benutzen, oder er hätte ihr Gelbkörperhormone verabreicht, die eine Schwangerschaft verhindert hätten. Vielleicht hat sie sich auch einfach nicht an die Empfehlungen des Arztes gehalten. Oder ihr Mann verweigerte das Kondom.

Jedenfalls ist sie schwanger. Fünf oder sechs befruchtete Eizellen reifen da heran. Fünf oder sechs potenzielle Babys, über deren Leben schon jetzt ein dunkler Schatten schwebt. Kann sein, dass sie durch ihre Anwesenheit die Mutter töten, kann sein, dass zwei, drei, vier von ihnen schwerste Behinderungen haben werden, dass sie selbst die Zeit im Mutterleib nicht überstehen. Doch selbst wenn sie einigermaßen gesund auf die Welt kommen: Wie sieht ihr Leben danach aus, auch wenn sie sich gut entwickeln? Vielleicht haben die Eltern eine viel zu kleine Wohnung, vielleicht stammt das Familieneinkommen aus einem Beruf wie Erzieherin oder Krankenschwester. Das würde nicht einmal für ein Kind reichen, geschweige denn für sechs. Stillen? Gestrichen. Die Mutter käme aus dem Stillen nicht mehr heraus. Aber selbst, wenn sie Fläschchen gibt: Alleine kann sie das nicht schaffen. Depression, Nervenzusammenbruch, Scheidung sind häufige Folgen von Mehrlingsgeburten.

Das kann verhindert werden. Es hilft jedoch nur noch ein sogenannter Fetozid, die gezielte Tötung eines oder mehrerer Föten im Mutterleib per Herzspritze. Für diesen fürchterlichen Vorgang, der die Überlebenschancen der verbleibenden Kinder (und der Mutter) verbessern soll, soll sich eine Frau entscheiden, die sich nichts sehnlicher wünscht als ein Kind? Sie soll zustimmen, eines, zwei oder drei zu töten? Das geht eigentlich nicht. Und doch passiert es jedes Jahr hundertfach in Deutschland. Obwohl es keinen Arzt gibt, der diesen Eingriff gern vornimmt.

Jahrzehntelang diskutierte die deutsche Öffentlichkeit, vielfach mit geballter Faust in der Tasche, über den Paragrafen 218 a und die Frage, ob und wie Schwangerschaftsabbruch erlaubt werden darf. Doch wenn es darum geht, den Fetozid zu verhindern, versagt der Gesetzgeber. Bei künstlichen Befruchtungen erzeugt das Gesetz gar erst die widersinnige Situation, die oft zum Fetozid führt.

Die Fortschritte der Medizin haben es möglich gemacht, dass der Mensch neuem Leben auf die Sprünge helfen kann. Die Risiken dabei können manche der behandelten Frauen gar nicht alleine abwägen.

Jede Frau, die eine Abtreibung anstrebt, muss sich beraten lassen. Eine Frau, die sich einer Hormonbehandlung unterzieht, bleibt mit der Entscheidung, ob sie eine Mehrlingsschwangerschaft riskiert, allein. Auch gegenüber diesen ungeborenen Mehrlingen, deren mögliche schwere Behinderung manche Frau womöglich fahrlässig in Kauf nimmt, trägt die Gesellschaft eine Verantwortung. Sicher nehmen die Fortpflanzungsmediziner die Beratung sehr ernst. Ein Pflichtbesuch bei einem Kinderarzt, der der Frau die möglichen Auswirkungen einer Mehrlingsschwangerschaft rechtzeitig vor Augen führt, wäre aber sinnvoll.

Der Gesetzgeber steht in der Pflicht, einige der vom Kinderwunsch Vernebelten vor sich selbst zu schützen. Vor einer Entscheidung nämlich, die ausschließlich von Romantik getragen ist statt von Argumenten. Und Romantik allein ist bei der Wahl “Kind – ja oder nein?” der falsche Ratgeber

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