Obama’s Misplaced Concern

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Obamas falsche Rücksicht

Von Martin Klingst, Washington | © ZEIT ONLINE 8.2.2009 – 09:35 Uhr

Der demokratische Präsident wird Opfer seines Bemühens, die Republikaner beim Konjunkturpaket einzubinden. Sie schneiden Kernstücke heraus, die in die Zukunft weisen.

Was ist der Preis für Überparteilichkeit? Wie lange ist es sinnvoll, sich um sie zu bemühen? Und wann ist der Punkt gekommen, an dem sich Barack Obama ernsthaft fragen muss, ob ihm seine Liebe zum breiten Kompromiss nicht zu große Opfer verlangt, zu viele Abstriche an dem von ihm für notwendig erachteten Rettungs- und Erneuerungsprogramm für Amerika?

Am Freitagabend war es in Washington endlich so weit: Nach einem tagelangen Verhandlungsmarathon schienen zwei, vielleicht sogar drei republikanische Senatoren willens, dem Konjunkturprogramm des neuen Präsidenten zuzustimmen – zwei oder drei von über 40 Konservativen!

Sie sagten aber erst „Ja“, nachdem sie einen Sieg reklamieren konnten. Nachdem es ihnen gelungen war, aus dem fast eine Billion Dollar teuren Paket rund hundert Milliarden heraus zu operieren. Sie behaupten, sie hätten damit der Verschwendungssucht der Demokraten Einhalt geboten und nur dort eingespart, wo der staatliche Geldregen nicht sofort zu neuen Arbeitsplätzen geführt hätte.

Das ist eine sehr kurze Sicht der Dinge. Denn bei Lichte betrachtet, fielen dem Rotstift nicht irgendwelche nutzlosen Lieblingsprojekte wie die berühmten Brücken nach Nirgendwo zum Opfer, sondern Kernstücke des Obamaschen Reformprogramms. Sprich: 40 Milliarden für die Not leidenden Bundesstaaten, 20 Milliarden für neue Schulen und die Renovierung maroder Lehrstätten, acht Milliarden für die Instandsetzung öffentlicher Gebäude nach modernen Energiereinsparungsstandards, eine Milliarde für die kindliche Früherziehung, zwei Milliarden für die Versorgung ländlicher Gebiete mit schnellem Internetzugang. Und so weiter.

Der Charme von Obamas Konjunkturprogramm lag ursprünglich darin, schnell neue Jobs zu schaffen und zugleich Arbeit in der Zukunft zu sichern, indem es entscheidende ökonomische Weichen für das 21. Jahrhundert stellt: für eine bessere Infrastruktur, für eine grüne Erneuerung, für ein zukunftsfähigeres Schulwesen und einen Internetzugang für alle.

Doch Obamas Wunsch, die Sanierung des Landes auf eine parteiübergreifende Basis zu stellen, droht die wirkliche Revolution Amerikas zu verhindern. Denn für ihr „Ja“ fordern die paar Republikaner gerade dort Einsparungen und Zurückhaltung, wo der Staat um der Zukunft Willen gerade jetzt vorpreschen und in Vorleistung treten müsste: im Bildungswesen, in der Ökologie, in Hilfestellungen für die siechen Bundesstaaten.

Zwischen Atlantik und Pazifik wissen die Gouverneure nicht, wie sie ihre Rechnungen bezahlen und gleichzeitig einen ausgeglichenen Haushalt anstreben sollen. Wie immer sparen sie dort, wo es der Zukunft am meisten schadet: bei den Schulen und Universitäten, bei der Gesundheitsversorgung und den staatlichen Dienstleistungen. Am Freitag schickte Kalifornien 200.000 Staatsbedienstete in den unbezahlten Urlaub. Sie sollen künftig jeden ersten und dritten Freitag im Monat nicht mehr arbeiten und eine neunprozentige Gehaltskürzung hinnehmen.

Barack Obama ist mit dem guten Willen ausgezogen, die alten ideologischen Gegensätze zwischen Republikanern und Demokraten zu überbrücken. Nicht mehr oder weniger Staat sei die entscheidende Frage, sagte er in seiner Vereidigungsrede, sondern, ob der Staat effektiv handele und die Probleme des Landes in den Griff bekomme.

Doch wie man dieser Tage sieht, bricht der alte Streit wieder auf. Er wird sich fortsetzen und heftiger werden, denn in ihrer großen Mehrheit halten die Republikaner an ihrer Überzeugung fest: Staat und Regierung sollen sich aus der Wirtschaft, der Bildung und der Zukunftsplanung so weit wie möglich heraushalten und sie den Bürgern und dem freien Spiel des Marktes überlassen.

Natürlich muss ein Präsident wie Obama, der das ein wenig anders sieht, für seine Pläne Mehrheiten gewinnen – nicht nur im Volk, sondern gerade auch im Parlament. Amerika ist eine Verhandlungsdemokratie. In der kommenden Woche geht es in die nächste Runde, dann müssen Senat und Abgeordnetenhaus um einen gemeinsamen Kompromiss für das Konjunkturprogramm ringen, damit Obama am Ende unterzeichnen kann. Im ersten Anlauf hatten alle republikanischen Abgeordneten bereits mit „Nein“ votiert.

Die entscheidende Frage am Ende aber ist, ob Barack Obama und die Demokraten sich vom Gegner aus ihrem Konzept gerade jene Herzstücke herausschneiden lassen, die über die schnelle Hilfe hinaus in die Zukunft weisen.

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