Afghanistan Revised

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19.02.2009 10:48 Uhr Drucken | Versenden | Kontakt

Revision für Afghanistan

Die Nato rutscht immer tiefer in einen Krieg, den sie nicht gewinnen kann. Noch ist Afghanistan nicht das Vietnam der Nato – aber es wird Zeit, das Engagement grundlegend zu überdenken.

Ein Kommmentar von Martin Winter

Die Nato ist vor sechs Jahren als Helfer und Schützer nach Afghanistan gezogen. Doch nun rutscht sie immer tiefer in einen Krieg hinein, den sie nicht wollte und den sie militärisch nicht gewinnen kann. Aufständische, die im Schatten der Zivilbevölkerung kämpfen, Selbstmordanschläge begehen und gezielt Terror einsetzen, sind mit militärischen Mitteln nicht zu schlagen.

Vor zwei Jahren gab Bantz Craddock, der Oberbefehlshaber der Allianz, den Einsatzbefehl für eine “Frühjahrsoffensive” gegen die Taliban. Soviel Fehlkalkül war selten. Von Angriff spricht heute keiner mehr. Es sind im Gegenteil die Taliban, die der Nato zunehmend das Gesetz des Handelns diktieren.

Die Hektik, mit der nach immer mehr Truppen für den Einsatz gesucht wird, und die Art, wie die militärische Führung Jahr für Jahr ihre Anforderungen heraufschraubt, lassen nur einen Befund zu: Die Nato ist von mission creep befallen. Seit dem Vietnamkrieg ist dieser Effekt gefürchtet: Erst wird der Gegner und die Aufgabe unterschätzt, dann werden immer mehr Soldaten in den Krieg geschickt, weil der Politik der Mut fehlt, innezuhalten und ihre Entscheidungen radikal zu überprüfen.

Afghanistan ist noch nicht das Vietnam der Nato. Wenn es nicht so weit kommen soll, dann muss sich das Bündnis zu einer Generalinventur seines Engagements durchringen. Als Erstes ist dabei eine bündnisintern gerne gebrauchte Motivationsformel auszumustern: Am Hindukusch entscheidet sich auch das Schicksal der Nato. Dieser Satz ist Unfug.

Eine Niederlage oder auch nur ein Rückzug ohne wirklichen Erfolg würde die Allianz in schwere Turbulenzen stürzen. Eine Strategie ist es aber nicht, nur aus Furcht vor diesem Szenario stur zu bleiben und darauf zu hoffen, dass eines Tages die schiere Masse an Truppen und schwerer Waffen obsiegen wird. Diese Logik zeugt von gefährlicher Ratlosigkeit.

Die Nato muss also den Mut aufbringen, alles neu zu denken. Anstatt sich wie die Verteidigungsminister in diesen Tagen wieder einmal nur mit weiteren Truppenanforderungen der Generalität zu beschäftigen, sollten die Mitgliedsländer eine realistische Bestandsaufnahme vornehmen und von dort aus bestimmen, wozu sie in der Lage und vor allem wozu sie bereit sind.

Es ist an der Zeit, mit der vornehmlich in Deutschland verbreiteten Illusion aufzuräumen, dass es in Afghanistan nur darum gehe, den Aufbau zu schützen und der zarten Pflanze einer halbwegs freien Gesellschaft ein sicheres Plätzchen zum Wachsen zu geben.

Es ist richtig, dass langfristig allein der zivile Aufbau des Landes Stabilität bringt. Immerhin hat die Nato jetzt den Zusammenhang zwischen militärischer Sicherheit und zivilem Aufbau erkannt und verknüpft ihren Einsatz, wenn auch mangelhaft, mit der Arbeit der Hilfsprogramme.

Der Konflikt erfasst die Region

Aber die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich derart verschlechtert, dass ein Staatsaufbau, das nation building, durch militärisch-zivile Strategien allein nicht funktionieren wird. Die Nato muss sich vielmehr der Tatsache stellen, dass der Konflikt auf gefährliche Weise die gesamte Region erfasst und das Bündnis mit den USA an der Spitze in einen Krieg über die afghanische Grenze hinaus ziehen wird.

Die Angriffe auf Afghanistan werden vor allem aus Pakistan heraus gesteuert, weil Islamabad politisch und militärisch zu schwach ist, die Taliban aus seinen Grenzregionen zu vertreiben oder unter Kontrolle zu halten. Dass die pakistanische Regierung den Taliban jetzt sogar ein ganzes Tal überließ, muss die USA und die Nato alarmieren. Wer die Taliban so weit schwächen will, dass sie in Afghanistan kein Elend mehr anrichten können, wird sie irgendwann auch auf pakistanischem Boden bekämpfen müssen.

Der langsame Zerfall Pakistans stellt die Nato vor ein weiteres Problem: Ihre Nachschubwege laufen überwiegend durch Pakistan und sind deshalb in Gefahr. Es gibt Alternativen, von denen die beste und sicherste allerdings durch Iran führt. Dort aber verhindert der Streit um das Atomprogramm jede vernünftige Zusammenarbeit.

Primat der Politik

Der neue amerikanische Präsident lässt den Einsatz in Afghanistan gegenwärtig grundlegend überprüfen. Das ist vernünftig, wenn damit der Primat der Politik wieder hergestellt und der militärische Automatismus – immer mehr Soldaten – gestoppt wird. Die Europäer sollten aber die Revision der Afghanistan-Politik nicht allein Obama überlassen.

Europa muss seine eigenen Vorstellungen entwickeln. Denn es geht jetzt nicht darum, an den Stellschrauben einer vermeintlich richtigen Politik zu drehen. Vielmehr müssen sich die Europäer fragen, ob sie selbst den Ernst der Lage erfasst haben, und ob sie zu einer Generalrevision bereit sind, um militärisch wie politisch wieder Akteur und nicht Getriebener zu sein.

Dafür müssen sie eine militärische, offensive Strategie gegen die Taliban nicht nur auf dem Gebiet Afghanistans entwickeln. Zweitens müssen sie die Nachbarstaaten aktiv in politische Bündnisse einbeziehen, Partnerschaften schließen und dabei manch unangenehme Bedingung in Kauf nehmen. Nur so besteht die realistische Hoffnung, nicht noch tiefer in einen unkontrollierbaren Krieg zu geraten.

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