Bagram ist ein Skandal
VON DIETMAR OSTERMANN
24. Februar 2009
Irgendwann mussten sie kommen, die ersten doppeldeutigen Signale, die ersten Irritationen auch aus dem neuen Washington. Nun also hat Hillary Clinton auf ihrer ersten Auslandsreise als Außenministerin manchen enttäuscht, der in Peking auf klare Wort zu Tibet und Menschenrechten hoffte. Kaum eine Woche vergeht zudem, in der die Regierung von Barack Obama die klare Ansage “Kein Guantánamo, keine Folter” nicht relativiert. Zuletzt ließ Washington der Ankündigung, Guantánamo Bay auf Kuba bis Anfang 2010 dichtzumachen, das Eingeständnis folgen, am Internierungslager auf dem US-Stützpunkt im afghanischen Bagram festhalten zu wollen. Zugleich bügelt ein Pentagon-Bericht Kritik an den aktuellen Zuständen in Guantánamo ab.
Muss man also einen Rückfall in alte Bush-Gewohnheiten fürchten? Diese Annahme wäre genauso falsch wie manch turmhohe Hoffnung einer allzu naiven “Obamania”. Die neue US-Regierung hat sich außenpolitisch einem Kurs verschrieben, der in vielem einen klaren Bruch mit dem der Vorgängerregierung darstellt. Gerade Clintons China-Besuch steht exemplarisch für den neuen Ansatz. Wo Bush Peking als “strategischen Konkurrenten” auf Armlänge hielt, will das neue Team in Washington das aufstrebende Reich der Mitte in die internationale Verantwortung einbinden. Partnerschaft statt Eindämmung lautet die neue Marschroute. Damit bringen die USA ihre China-Politik in Einklang mit geopolitischen wie ökonomischen Realitäten. Im Geflecht gegenseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeiten sitzt ja längst nicht mehr Amerika am längeren Hebel. Schon Bush hatte seine Kriege mit geborgtem Geld aus China geführt. Jetzt muss Obama dem Großinvestor Peking US-Staatsanleihen verkaufen, um sein Konjunkturprogramm zu finanzieren.
Wenn Clinton in Peking keine Standpauke in Sachen Menschenrechte hielt, kann man das auch als ein Stück neuer Ehrlichkeit deuten. Noch jede westliche Regierung der vergangenen Jahre hat im Umgang mit China humanitäre Bedenken wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. George W. Bush schließlich hat die Kluft zwischen moralischem Anspruch und Machtprojektion der USA in der Welt mit seiner zur “Freiheitsagenda” überhöhten Kriegspolitik auf die Spitze getrieben. Nie hatten es Amerikas Gegner so leicht, Sprunghaftigkeit und Heuchelei Washingtons aufzuzeigen. Dass Clinton in Peking auf Belehrung verzichtet hat, mag auch der Erkenntnis geschuldet sein, dass Washington erst moralische Glaubwürdigkeit zurückgewinnen muss, bevor es wieder den Zeigefinger heben kann.
Gerade deshalb freilich sind widersprüchliche Signale in Sachen Terrorbekämpfung problematisch. Das US-Gefangenenlager Bagram ist ein Skandal. Hier haben Gefangene schlechtere Haftbedingungen und weniger Rechte als in Guantánamo. Nur das eine Lager zu schließen ist da zu wenig. Mindestens müssen auch für Amerikas Gefangene am Hindukusch internationale Rechtsnormen gelten. Das Gleiche gilt für die von Obama nicht unterbundenen “Renditions”, weltweite Gefangenentransporte unter Umgehung des Rechtswegs. Und wenn der neue CIA-Chef Leon Panetta ein Hintertürchen für härtere Verhörmethoden aufstößt, sollte Sympathie für einen vielversprechenden Präsidenten im Weißen Haus klaren Worten nicht im Wege stehen.
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