The Conservatives’ Favorite Bogeyman

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Konservative beharren auf Feindbild Ahmadineschad

Von Michael Thumann | © ZEIT ONLINE 6.3.2009 – 10:06 Uhr

Die Verteuflung Irans ist vorbei, Barack Obama teilt die Welt nicht in Gut und Böse ein. Die Falken in Israel und den USA wettern gegen den Kurs des US-Präsidenten.

Israels wahrscheinlicher neuer Premierminister Benjamin Netanjahu hat noch keine Mehrheit im Parlament, aber schon eine Botschaft. “Iran entwickelt Nuklearwaffen und stellt die größte Bedrohung für unsere Existenz seit dem Unabhängigkeitskrieg dar.” Mit diesem Satz umreißt der konservative Likud-Führer voraussichtlich die außenpolitische Priorität seiner Amtszeit. Zeitgleich warnen neokonservative Thinktanks in Washington in hohem Ton vor Iran. Konservative Zeitungen wie die Jerusalem Post und die New York Post watschen Journalisten und Politiker ab, die ihrer Meinung nach vor den Mullahs einknicken.

Reiben wir uns kurz die Augen und fragen, was denn so neu und bedrohlich ist. Der letzte Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde sagt, Iran habe knapp 4000 Zentrifugen im Betrieb, um angereichertes Uran zu erzeugen. Bisher sei der Stoff nicht geeignet, um Nuklearwaffen zu produzieren. Auch fehlten weiter geeignete Trägerraketen, um eine Waffe daraus zu machen. Aber Irans Versteckspiel um sein Atomprogramm erwecke starken Verdacht. So bekannt, so beunruhigend.

Gleichwohl, was ist wirklich neu? Die neue Gefahr aus Sicht der Konservativen kommt aus dem Weißen Haus. Der neue US-Präsident hat Iran offene, direkte Gespräche angeboten, wenn das Land “seine Faust öffne”. Iran hat darauf mit ersten positiven Signalen reagiert. Schon jetzt schickt Barack Obama zwei hochrangige Diplomaten nach Syrien, um mit dem Verbündeten Irans über eine Öffnung nach Westen zu sprechen. Der Präsident bricht mit der unseligen Tradition seines Vorgängers, die Welt in Gut und Böse einzuteilen und nur mit denen zu reden, die ihm genehm sind. Die Bösen, vor allem Iran, erhielten aus dem Washington des George Bush vor allem Drohungen und Sanktionen. Und genau das empfehlen uns nun auch wieder Netanjahu und die konservativen Vordenker aus der Bush-Zeit.

Erinnern wir uns kurz, was sie der Welt nach dem 11. September empfohlen haben. Damals behaupteten sie, Saddam Hussein im Irak sei der Hauptsponsor des Terrorismus, ein Sammler von Massenvernichtungswaffen und überhaupt der Mastermind des Bösen in der Welt. Bush räumte ihn weg, mit dem Resultat, dass Iran seinen Todfeind verlor. Die Balance im Mittleren Osten geriet aus den Fugen. Dann boykottierte die US-Regierung auf Empfehlung Israels und neokonservativer Nahostexperten islamistische Parteien.

Iran sprang daraufhin elastisch in die Beschützerrolle dieser radikal-sunnitischen Bewegungen. Iran als Vormacht am Golf, als Herausforderer Israels und des Westens, als Schutzmacht von Hamas und Versteher der arabischen Straße – das ist das Werk eben jener konservativen Ideologen, die uns heute erzählen wollen, das Regime in Teheran sei eine tödliche Bedrohung für die zivilisierte Menschheit.

Barack Obamas neuer Kurs überzeugt, weil er die Regierung und das theokratische System Irans nicht dämonisiert. Er macht den Test auf Teherans Vernunft und versucht nicht wie einst Bush, Präsident Ahmadineschad an politischer Radikalität zu übertreffen. Hinter Obamas Kurs steht ein nüchterner Blick auf das Land und seine Dimensionen.

Iran hat nicht mehr Einwohner als die Türkei oder Ägypten. Seine Wirtschaft indes verhält sich zu jener der Türkei etwa wie ein Plattenbau zu einem Wolkenkratzer. Die sozialen Probleme Irans wachsen mit jedem Tag. Sein Trumpf, die Öl- und Gasindustrie, sticht nicht in Zeiten von 35 Dollar pro Ölfass. Seine Devisenreserven für das Sponsoring von Hamas & Co. schmelzen dahin. Irans Atomprogramm wird von der ganzen Welt beargwöhnt, derweil Israel im Stillen zügig Fortschritte macht. Iran würde niemals mit Israel an nuklearer Abschreckungskraft gleichziehen. Und: Falls Iran je Nuklearwaffen haben sollte, heißt dies noch lange nicht, dass sie diese einsetzen würden.

Der ehemalige Direktor der SWP und ZEIT-Journalist Christoph Bertram beschreibt in seinem Buch Partner, nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik sehr überzeugend die Mechanismen der Abschreckung im Kalten Krieg. Diese gelten auch heute. Das Argument, das Mullah-Regime sei radikalreligiös und sähe Armageddon mit verklärtem Blick entgegen, entbehrt jedes Beweises. Blaupausen vom Weltuntergang zeichneten auch die ideologisch verblendeten Sowjetführungen und ihre Knappen in Ostberlin. Der Einsatz der Waffe aber “bedroht die Existenz des Besitzers, nicht nur des Gegners”, schreibt Bertram. Diese Gewissheit gilt auch für Iraner.

Es ist deshalb entscheidend, dass sich der Westen nicht der neokonservativen Verteufelung Irans anschließt. Auch die deutsche Regierung ist darin schon viel zu weit gegangen. Im Gegenteil sollte Berlin die USA und Israel ermuntern, Irans reale Sicherheitsbedürfnisse und Einkreisungsängste ernst zu nehmen. Lange Listen von Vorbedingungen müssen einer neuen Offenheit weichen. Umfassende Gespräche der Amerikaner mit Teheran sollten Irans Rolle in Afghanistan und am Golf ebenso betreffen wie Bilaterales und das Palästina-Problem. Und natürlich das iranische Atomprogramm in Abstimmung mit den UN.

Iran muss den Eindruck gewinnen, ernst genommen zu werden und nicht verdammt. In diesen Gesprächen wird man dann schnell feststellen, woraus Teheran in den letzten Jahren seine größte Kraft zog: aus der Konfrontation.

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