So Long, Afghanistan Strategy

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Servus-Strategie für Afghanistan

von Joachim Zepelin

Der Westen gibt zu, dass er in Afghanistan ohne Hilfe der Taliban nicht weiterkommt. Damit wird das Publikum zu Hause auf den Rückzug aus dem rückständigen Land vorbereitet.

In der Afghanistan-Politik der westlichen Allianz steht ein Wandel bevor. Die Amerikaner wollen mit 17.000 zusätzlichen Soldaten ihre Präsenz noch einmal deutlich ausweiten. Andere Staaten, die wie Deutschland an der internationalen Schutztruppe Isaf beteiligt sind, legen ebenfalls nach.

Gleichzeitig soll auch die zivile Komponente des vernetzten Ansatzes aus entwicklungspolitischem Zuckerbrot für kooperationswillige Afghanen und militärischer Peitsche für gewaltbereite Extremisten gestärkt werden. Und schließlich hat nach US-Präsident Barack Obama nun auch die Bundesregierung angekündigt, man wolle mit friedliebenden Taliban sprechen, um mit ihrer Hilfe die Lage im Land zu beruhigen.

Doch was hier großspurig als Strategiewandel für Afghanistan angekündigt wird, dem auch noch eine erweiterte Fassung für die Nato folgen soll, dient in Wahrheit dazu, das Publikum zu Hause auf ein längst überfälliges Eingeständnis vorzubereiten: Afghanistan ist ein Land, das man am besten befriedet, indem man es verlässt.

Abkehr von ursprünglichen Kriegszielen

Erinnert man sich noch einmal an den Beginn der Afghanistan-Mission der USA, dann ging es um ein vergleichsweise klar definiertes Ziel: Die Taliban-Regierung, die dem Terrornetzwerk al-Kaida Asyl zur Vorbereitung der 9/11-Anschläge gewährte, wollte Osama Bin Laden und seine Komplizen nicht ausliefern. Also musste die radikalislamische Regierung beseitigt werden, die in Afghanistan versuchte, das politische und gesellschaftliche Mittelalter zu konservieren.

Darin herrschte Einigkeit unter den Nato-Staaten, die sich gegenseitig zur Solidarität mit dem verwundeten großen Bruder USA aufriefen. In den versprengten Truppen der Nordallianz fand man einen Verbündeten, allerdings weniger gegen die Al-Kaida-Terroristen, als gegen die regierenden Taliban. Eine politische Alternative für die Regierung in Kabul waren die Warlords auch nicht.

Das Kriegsziel, Osama Bin Laden zu fangen, ist trotz der amerikanischen Armada bis heute nicht erreicht. Doch mit der faktischen Machtübernahme des Westens in dem damals drittärmsten Land der Welt kam eine Dynamik in Gang, in der sich neue Kriegsziele wie von selbst ergaben: die Demokratisierung und der wirtschaftliche Aufbau nach westlichem Muster. Wonach sollen Nato-Soldaten, Politiker und Entwicklungshelfer auch streben, wenn sie erst einmal vor Ort sind und keine Regierung mehr vorfinden, weil sie die amtierende verjagt haben?

Widersprüchliche Wirklichkeit

Die Erwartungen an die Entwicklung in Afghanistan orientierten sich darum an westlichen Standards. Bei Demokratie, bei Menschenrechten oder beim Rechtsstaat lassen sich schließlich keine Abstriche machen. Der Westen konnte sich nicht damit abfinden, dass Angehörige eines Clans bei Wahlen so abzustimmen haben, wie der Chef es vorgibt. Er konnte nicht hinnehmen, dass der Schulbesuch von Mädchen nicht in allen Gemeinden erlaubt ist. Und Bestrafungen nach der islamischen Scharia waren inakzeptabel.

Das Afghanistan-Projekt des Westens geriet auf dramatische Weise in Widerspruch zur Realität im Lande: Mittelalter meets Postmoderne. Ein schlechteres Laboratorium für das Nation Building hätte man sich kaum aussuchen können. Dazu kam, dass gerade durch die Anwesenheit westlicher Truppen und Helfer der militärische Konflikt in weiten Teilen des Landes geschürt, die Korruption gefördert und eine eigenständige afghanische Entwicklung mindestens ebenso stimuliert wie behindert wurde.

Wenn Obama nun verkündet, er wolle mit gemäßigten Taliban verhandeln, dann klingt das zumindest wie ein erster Anflug von Realismus – nicht nur, weil die USA damit akzeptieren, dass die Vertreter eines radikalen Islam zu Afghanistan gehören wie die Eselskarren auf Holzrädern. Es trägt auch deshalb zur Klarheit bei, weil diese Gespräche längst im Geheimen stattfinden.

Nur haben westliche Politiker ein Problem damit, ihren Wählern zu erklären, warum man mit Extremisten kooperieren muss, wenn sich in Afghanistan etwas bewegen soll. Das provoziert nämlich Fragen, was man eigentlich in diesem Land will, in dem Korruption, Clanwesen, Regionalismus, Religion und Geschichte einer im Westen gewünschten Entwicklung im Wege stehen. Für wen oder was gibt der Westen dann Milliarden aus und opfert seine Soldaten? Für ein wenig mehr Menschenrechte, ein bisschen Demokratie?

Solche Überlegungen lassen sich zu Hause nur schwer vermitteln, auch wenn jeder westliche Soldat, Entwicklungshelfer oder Diplomat vor Ort jeden Tag genau vor der Entscheidung steht, wie viel Korruption er zulässt, wie sehr er mit undemokratischen Machthabern kooperiert und wie sehr man die Augen vor Rechtsbrüchen verschließt.

Die USA und Deutschland haben sich mit ihrer Zustimmung zu Gesprächen mit den Taliban einen kleinen Schritt weit auf den widersprüchlichen Boden der afghanischen Wirklichkeit gewagt. Jetzt wird eine neue Debatte folgen, was man in diesem Land erreichen will und zu welchem Preis. An deren Ende dürfte das ohnehin Selbstverständliche stehen: der Rückzug aus Afghanistan.

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