Heikle Blutspur
23.04.2009, 9:33
von Christian Wernicke
Das verfluchte Erbe der Bush-Regierung darf nicht zu Amerikas Schande werden. Doch je weiter die Blutspur der Folterer in höhere Etagen führt, desto heikler wird sie für Obama.
Präsident Barack Obama hat – von Amts wegen und mit den Aktenbergen -die Schande seines Vorgängers Bush geerbt. (Foto: AFP)
Inzwischen hat Amerika einen Präsidenten, dem seine Nation und der Rest der Welt glauben, wenn er sagt: “Die Vereinigten Staaten billigen keine Folter.” Mit exakt demselben Satz hatte zwar stets auch Vorgänger George W. Bush die Unschuld seiner Regierung beteuert. Nur abgenommen hatte ihm das – nach Guantanamo, Abu Ghraib und den (längst nicht mehr) geheimen CIA-Lagern – niemand mehr.
Das Leugnen des 43. Präsidenten klang zuletzt so wie all die Schwüre eines Mannes, der neun Monate nach einer intimen Affäre jeden Verdacht auf Vaterschaft abstreitet, mit der einfältigen Begründung, er sei bei der Geburt des Kindes im Kreißsaal ja nicht dabei gewesen.
George W. Bush, Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Condoleezza Rice – sie alle haben gewusst, was sie da zeugten im Weißen Haus.
Damals, wenige Monate nach dem 11. September, verband sie die panische Sorge, schon morgen oder übermorgen könnten die Mörder der al-Qaida erneut zuschlagen.
Das trieb die erste Riege der Republikaner zum Bruch mit dem, was Amerika im Kern ausmacht: die demokratische Kontrolle aller Macht, die Ehrfurcht vor dem Recht, der Respekt für Würde und Menschenrechte. Also zeichneten sie ab, was ihnen die Haudegen aus CIA und Pentagon abverlangten: die “Lizenz zum Foltern” im Namen der nationalen Sicherheit.
Der Zweck heiligte die Mittel
Niemand stellte damals lange Fragen, der Zweck heiligte die Mittel und die sogenannten verbesserten Verhör-Techniken. Am Strategie-Pult in Bushs Anti-Terror-Krieg fiel nicht nur die Moral unter den Tisch.
Auch jeder Zweifel, ob in Todesangst versetzte Häftlinge tatsächlich wahrhafte Aussagen machen, wurde beiseitegeschoben. Dick Cheney, der Dickschädel dieser Denkschule, glaubt das alles bis heute.
Und er ist wenigstens ehrlich genug, es offen zu sagen: All die Staats-Quälerei habe funktioniert – und was gestern Recht war, könne heute doch kein Unrecht sein.
Tastend nach einem Mittelweg
Aus Sicht eines Cheney ist die Sache damit erledigt. Für Barack Obama jedoch fängt das Problem hier erst an. Er hat – von Amts wegen und mit den Aktenbergen – Bushs Schande geerbt. Und er muss – über die Aufarbeitung der Verantwortung, vielleicht gar durch die Aburteilung von Tätern – nun sicherstellen, dass aus alledem nicht neuer Schaden für Amerika erwächst.
Noch tastend sucht der Präsident nach einem Mittelweg. Auf der einen Seite steht sein Generalpardon für alle CIA-Agenten, die im Staub und Moder geheimer black sites die Dreckarbeit verrichteten.
Akt der Versöhnung oder Alibi fürs Vergessen?
Obama begreift diese Staatsdiener weniger als Folterer denn als Knechte, und er lässt sie laufen, weil ihnen die unsäglichen Memos des Justizministeriums den Segen für ihr diabolisches Werk geschenkt hatten.
Dennoch, der euphorische Ton, mit dem der neue Präsident diese Woche bereits wieder seine Männer fürs notfalls Grobe lobte (“Ihr seid die Spitze des Schwerts!”), der verwundert.
Heikler wird es für Obama, je weiter die Blutspur der Folterer in höhere Etagen führt. Den früheren Schreibtischtätern im Justizministerium zum Beispiel, die Misshandlungen im Dutzend guthießen, sollte die Regierung standesrechtlich das juristische Handwerk legen.
Noch schwieriger wird es bei der nächsten, noch höheren Ebene. Gerade erst hat der Senat einen Untersuchungsbericht veröffentlicht. Darin wird Ex-Minister Donald Rumsfeld mit einer sehr eindeutigen Indizienkette die Verantwortung für Schmach und Schande im Horror-Knast von Abu Ghraib zugesprochen.
Obama kann und darf das nicht ignorieren. Nur, als Präsident aller Amerikaner kann er es sich ebenso nicht erlauben, nun selbst das Urteil über Rumsfeld zu sprechen.
Deshalb prüft er nun die Idee, diese Arbeit einer überparteilichen Kommission anzudienen. Obama sieht dies als einen Akt der Versöhnung. Doch er muss aufpassen, dass daraus kein Alibi fürs Vergessen wird.
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