The Great Flu Scare

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Die große Grippehysterie

Von Bo Adam

06.05.2009

Kurzer Abriß einer Medienpandemie: Wie WHO, Journalisten, Politiker und wissenschaftliche »Experten« die öffentliche Meinung manipulieren

Die Attacke auf die Weltöffentlichkeit kam konzentriert, geballt und gezielt. Deutschland wurde am 24. April getroffen. In der Fassung der FAZ: »In Mexiko sind bereits bis zu 60 Personen an einer von Schweinen auf den Menschen übergesprungenen Grippeinfektion gestorben.« In den USA seien mindestens sieben Menschen erkrankt. »Wir sind sehr, sehr besorgt«, erklärte Thomas Abraham, ein Sprecher der WHO. Na dann, wenn die WHO – die WELTgesundheitsorganisation – sehr, sehr besorgt ist, dann wittern die Medien die ganz große Geschichte.

Die FAZ widmete sich daher allen bekannten Details: So zähle die WHO »mindestens 57 Grippe-Tote« in Mexiko, die mexikanische Regierung sogar 60, »die untersucht werden«. Und dann: Bislang seien 16 Tote als Opfer der neuen Grippe-Erreger bestätigt worden. Dies alles stimmte so nicht. Ein paar Tage später wird die WHO kleinlaut andere Zahlen herausgeben. Aber als Initialzündung für das, was als die »Mediengrippepandemie von 2009« in die Geschichte eingehen kann, war es gelungen.

In Mexiko selbst war an diesem Tag laut FAZ das verordnete Chaos ausgebrochen: Dringlichkeitssitzungen der Regierung, Warnungen an die Bevölkerung, sich von den Krankenhäusern fernzuhalten, Schulschließungen. Das Fernsehen brachte starke Bilder von in Panik geratenen Mexikanern mit Mundschutz. Was war da geschehen? Bis heute wissen wir es nicht genau. Selbst CNN gelang es nicht, bei den mexikanischen Behörden Informationen über die ersten Kranken zu erhalten, über ihren sozialen Status etwa. Oder über mögliche Konzentrationen der Kranken in bestimmten Vierteln oder in bestimmten Krankenhäusern. Mexiko-Stadt hat 20 Millionen Einwohner.

Das störte aber die Medien nicht. Nach dem ersten Schock wurden am nächsten Tag die ersten Details über das anscheinend so gefährliche Virus nachgereicht. Nicht aus Mexiko, sondern aus den USA. Das Center of Desease Control (CDC) in Atlanta habe das neue Virus entschlüsselt und festgestellt, es bestehe aus zwei Schweinegrippeviren (aus Amerika und aus Europa) mit einem Schuß Vogelgrippe und einem Hauch Menschengrippe. Es sei vom Typ H1N1 und ganz neuartig. Dieses Abrakadabra verstand natürlich niemand, es drängte nach Erklärung. Und die kam dann auch in den nächsten Tagen von diversen Experten. H1N1 – das war doch sowas wie die »Spanische Grippe«, die Grippe, nach der die WHO seit Jahren fast sehnsüchtig Ausschau hält, weshalb sie seit Jahren die Pandemie-Warnstufe 3 aufrechterhält. Nun war es nicht die erwartete Vogelgrippe, sondern eine Schweinegrippe. Aber die Pandemiegefahr sollte bleiben. Auf Teufel komm raus.

Während die Zahl der Toten durch das Virus laut FAZ inzwischen auf 103 stieg, fütterte irgend jemand (vermutlich die WHO) die Medien mit einer weiteren Gruselmeldung: Vor allem junge und gesunde Menschen wären von dem Virus befallen. Eine schlichte Falschmeldung. Zu der Zeit, als sie erschien, lag die Zahl der nachgewiesenen Schweinegrippentoten in Mexiko lag in Wirklichkeit lediglich sieben. Auf der Basis von sieben Todesfällen läßt sich absolut nichts aussagen über irgendwelche Opfertypen.

Aber die Meldung erfüllte ihren Zweck. Seit dem Medienhype über die Vogelgrippe und den so gut verkauften Stories über die Spanische Grippe, an der zwischen 1918 und 1920 weltweit Millionen Menschen starben, hat jeder Interessierte gelernt, daß diese vor allem junge und gesunde Menschen traf. Die Pandemie-Hysterie wuchs und wurde allerorten weiter angeheizt.

Gegenüber der FAZ orakelte zum Beispiel der Chef des Robert-Koch-Instituts Jörg Hacker: Das Virus verbreite sich »sehr schnell« und »scheint über alle Eigenschaften zu verfügen, um sich weltweit auszubreiten«. Falsch. Herr Hacker hätte sagen müssen: »Der Mensch verfügt über alle Möglichkeiten, das Virus auszubreiten.« So wie jede andere Urlaubsinfektion.

Einen Zahn schärfer wurde Mikrobiologe Alexander Kekulé, der dem Tagesspiegel erklärte: »Das neue Virus verursache besonders schwere Krankheitsverläufe und eine relativ hohe Zahl von Todesfällen.« Und die FAZ resümmierte: Die Parallelen zwischen der Spanischen Grippe und der derzeitigen »scheinen offenkundig«.

Tamiflu soll’s richten

Aber es gab ja Rettung: Tamiflu. Es findet sich in diesen Tagen kaum ein Text, kaum eine Fernsehesendung, in denen nicht das Hohelied auf das Grippemittel gesungen wurde. Niemand überprüfte, ob dies auch stimmte. Aber der Schein legte es nahe: Denn jetzt kamen die ersten Bilder von ehemals Kranken. Sie waren wohlauf. Angesichts der Kekuleschen »schweren Verläufe« mußte ein Wunder geschehen sein: Tamiflu. All die Fälle, in denen jemand krank war, aber von allein wieder gesundete – vermutlich die meisten – wurden medial aussortiert. Tamiflu durfte nicht in Frage gestellt werden. Die Firmen Roche und Glaxo konnten sich die Hände reiben. Die Politik »zeigte sich entschlossen« und versprach den Pharmariesen neue Verträge.

Am 28. April meldete Reuters-TV nun sogar 149 Todesopfer aus Mexiko. Einen Tag später heißt es dann, ebenfalls bei Reuters: »Zahl der Toten steigt in Mexiko laut Regierung«. Unter dieser Überschrift wird der mexikanische Gesundheitsminister mit den Worten zitiert »bis zu 149«. Mit »absoluter Sicherheit« gebe es aber 26 Tote. 26? – »steigende Zahlen«?

Aber auch die 26 erwies sich als Schwindel. Denn am Abend des 28. April veranstaltete die WHO-Chefetage eine Pressekonferenz. Die Pandemie-Warnstufe 4 wurde ausgerufen. Auf die harmlose Frage nach den laufenden Opferzahlen senkte der stellvertretende Generalsekretär Keiji Fukuda dann plötzlich die Stimme. Es gebe in Mexiko sieben bestätigte Todesfälle, nicht mehr, bestätigte er kleinlaut.

Die sensationelle Nachricht war der FAZ am nächsten Tag keine Schlagzeile wert. Mitten in einem langen Text unter der Überschrift »Virus ist immer ein gefährliches Virus« ist die Nachricht versteckt: »starben an der Schweinegrippe bereits sieben Menschen« – wobei das Wort »bereits« wirklich eine journalistische Köstlichkeit darstellt.

Am selben Tag warnte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor Reisen nach Mexiko und versprach der deutschen Bevölkerung, im Falle einer Pandemie werde diese zweimal geimpft. Mit welchem Impfstoff bitte? Die WHO rechnet mit einem halben Jahr, bis ein wirksames Mittel gegen die neue Grippe produktionsreif ist. Danach muß die Vakzine erst hergestellt werden. Was kümmerte es Frau Schmidt. Und damit der deutsche Normalbürger weiter gut schlafen kann, traten wieder die Experten auf und beteuerten, in Deutschland würde man nur ein paar Monate benötigen. Ein kleines Detail wurde dabei übersehen: Zwar erhöhte die WHO die Alarmstufe. Aber sie lehnte es ab, die derzeitige Produktion von Impfstoff gegen die normale Grippe zu stoppen und durch die Produktion der Mittel gegen das neue Virus zu ersetzen. Offenkundig war der WHO, jenseits der öffentlichen Hysterie, die ganz normale Wintergrippe gefährlicher.

Die Medienpandemie begann an Fahrt zu verlieren. Erste Sender und Zeitungen grübelten, ob alles so schlimm sei, wie sie alle Tags zuvor berichtet hatten. Bei Spiegel online verschwand das Thema einen ganzen Tag lang. Doch auf die WHO war Verlaß: Am 30. April wurde die Warnstufe noch einmal erhöht, auf die vorletzte Stufe vor der weltweit befürchteten Pandemie. Daß diese Erhöhung eine rein bürokratische Antwort auf die Tatsache war, daß die ersten harmlosen Erkrankungsfälle in verschiedenen Ländern auftauchten, machte nichts. Die WHO trompetete: »Die weltweite Ausbreitung steht bevor.« Das gab Stoff für neue Mutmaßungen und Hilferufe nach Tamiflu. Die EU-Seuchenzentrale in Stockholm schaute in ihre Kristallkugel und war sich gewiß: 25 bis 35 Prozent der Bevölkerung könnten erkranken. Aber sie konnte auch Tröstliches verkünden: Von den Erkrankten würde »ein Drittel« gänzlich ohne Symptome bleiben.

Ein Drittel ohne Symptome

So gefährlich war also die Nachfolgerin der Spanischen Grippe? Ein Drittel völlig ohne Symptome? Die Wirklichkeit dürfte noch harmloser sein. Aus den USA kamen die ersten öffentlichen Äußerungen, wonach die Schweinegrippe nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Wintergrippe sei, vermutlich erheblich weniger gefährlich. Sofort ruderten die Kekulés und Hackers und wie sie alle heißen wieder zurück. Und am 2. Mai mußte auch die FAZ feststellen, daß der Ausbruch »nicht dramatisch« ist und daß alle europäischen Fälle milde verlaufen würden. Immerhin, weltweit gebe es über 500 bestätigte Erkrankungen. Diese Zahl ist der letzte Strohhalm der Betreiber der Medienpandemie. Sie wächst. Täglich. Am Dienstag waren es laut WHO 1125 Fälle in 21 Ländern. Wieder so ein Taschenspielertrick. Denn niemand listet auf, wie viele von diesen 1125 gemeldeten Erkrankten wieder putzmunter sind.

Ach ne, es gibt noch einen Strohhalm für die Pandemiker: Denn das Virus müsse nur noch mutieren, dann werden wir im Herbst alle sterben. So war es ja auch bei der Vogelgrippe.

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