Thumbscrews for Netanyahu

<--

Kommentar: Daumenschrauben für Israels Regierungschef

Obama will Netanjahu auf Linie bringen

Von James Kling

Das wurde aber auch höchste Zeit. US-Präsident Barack Obama ist der erste Präsident der Vereinigten Staaten seit langem, der erkannt hat, daß die Interessen der USA und Israels nicht nur nicht parallel liegen, sondern die sektiererische Hardliner-Politik der israelischen Regierungen den Interessen der USA im Nahen Osten geradezu zuwiderlaufen. Das bekam jetzt der seit sechs Wochen im Amt befindliche Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei seinem Antrittsbesuch in Washington zu spüren.

Ironie der Geschichte: gerade dieser Netanjahu versammelt so ziemlich die aggressivste und unbelehrbarste Regierung hinter sich, die Israel seit den Zeiten Begins und Scharons hatte.

Dabei bemühten sich beide, Contenance zu wahren. Sie sind ja auch aufeinander angewiesen. Israel wäre ohne die Hilfe der USA praktisch isoliert. Die USA sind der wichtigste, eigentlich der einzige ins Gewicht fallende Verbündete Israels. Die EU-Staaten zählen so gut wie nicht (das ist auch gut so). Und die USA können Israel, das ihnen seine Existenz verdankt, nicht gut fallen lassen. Sollte dies ein US-Präsident ernsthaft in Erwägung ziehen, wäre er bald politisch ein toter Mann. Die pro-israelische Lobby, namentlich die Organisation AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), die sich auch ganz offen als eine solche Lobby bezeichnet, hat enormen Einfluß, wichtiger ist aber noch, daß in diesem Fall Obama seiner Demokratischen Partei nicht sicher sein könnte, denn viele Senatoren und Abgeordneten – des Repräsentantenhauses liefen Gefahr nicht wieder gewählt zu werden.

Doch langsam kippt die Stimmung. In der US-Regierung hat man erkannt, daß es die Rücksichtnahme auf Israel ist, die ein Agreement mit den Arabern unmöglich macht. Auch in den USA selbst ist einiges im Fluß: glaubt man jüngsten Meinungsumfragen, so sehen die meisten US-Bürger mittlerweile die Interessen der beiden Länder nicht mehr als deckungsgleich an, sie sind für eine Zwei-Staaten-Lösung, für das Rückkehrrecht der Palästinenser (oder zumindest für eine Entschädigung) und für die Einbeziehung der Hamas in die Friedensgespräche.

Kurios: Die Umfragen in Israel sind genauso – dennoch konnte Netanjahu und sein halbfaschistischer Koalitionspartner Avigdor Lieberman die letzte Wahl gewinnen. Vor allem, weil sich alle anderen weitgehend diskreditiert hatten. Nur vor diesem Hintergrund kann Obama, der selbst enge Freunde Israels wie Außenministerin Hillary Clinton in dieser Frage hinter sich weiß, es wagen, Klartext mit der zionistischen Führung zu reden. Netanjahu macht das, was er machen kann: ein freundliches Gesicht zu einer Lage, die ihm nicht gefallen kann und ansonsten spielt er auf Zeit, weicht aus, bringt andere Themen ins Gespräch, macht verbale Zugeständnisse, die er gleich wieder zurück nimmt, kurz: er laviert, was das Zeug hält und sucht Obamas Elan auszusitzen.

Umso wichtiger ist, daß Obama nicht nachläßt und den Druck erhöht. Einige Dinge machen den harten Kern der Differenzen aus: die Frage nach einer Zwei-Staaten-Lösung, die Beziehungen zum Iran, die Siedlungspolitik, die Lage in Gaza und der Zeitplan des Vorgehens. Obama und alle wichtigen Offiziellen seiner Regierung haben sich klar für eine Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen, die den Palästinensern einen souveränen Staat in den Grenzen der Gebiete, die Israel 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg annektiert hat, zugesteht. Dagegen wehrt sich Netanjahu mit aller Gewalt. Dies gefährde die israelischen Sicherheitsinteressen.

Was er geben könne, sei eine bessere Selbstverwaltung der Palästinenser, eine Verbesserung ihrer Lebenssituation und wirtschaftlicher Aufschwung. Doch auch für einen selbstverwalteten Palästinenser-Staat müßten immer drei Entscheidungen bleiben: die Durchsetzung des Palästinensergebietes mit israelischen Siedlungen, die Kontrolle der Außengrenzen durch die israelische Armee und die Sicherheitsherrschaft Israels auch auf dem palästinensischen Gebiet. Letztlich eine Art Homeland-Politik gegenüber den Eingeborenen, die eigentlich gar kein Recht haben, dort – wo ihre Heimat ist – zu leben.

Desweiteren geht es um die Beziehungen zum Iran. Israel hat deutlich gemacht, daß es einen nuklear ausgerüsteten Iran, egal ob nuklear bewaffnet oder nicht, niemals akzeptieren würde. Dabei hat Israel sich selbst – was alle Welt weiß – illegal zur Atommacht entwickelt. Das wird auch das eine Änderung der US-Politik – mittlerweile nicht mehr totgeschwiegen, sondern auch offiziell erwähnt.

Netanjahu wäre es am liebsten, den Iran vollständig zu isolieren, mit Sanktionen, notfalls auch mit Hilfe der „militärischen Option“. Selbst nach wohl verstandenem israelischen Interesse müßte man zu dem Ergebnis kommen, daß das eine Kamikaze-Politik wäre, aber rationales Denken gehörte seit David Ben Gurions Zeiten nie zu den Stärken israelischer Politik. Es geht aber nicht nur die nukleare Option: Israel ist grundsätzlich nicht bereit, dem Iran seine „geopolitischen Ambitionen“ als regionale Vormacht, die dieser nun Mal ist, zuzugestehen. Immerhin deckt sich hier Israels Ansicht mit der der meisten arabischen Staaten in der Region, die sich ebenfalls durch den Iran in ihrer Stabilität bedroht sehen.

Zum dritten geht es um die Siedlungen. Netanjahu läßt unverdrossen weiter bauen. Insbesondere Jerusalem soll Zug um Zug entarabisiert werden. Da weicht er keinen Deut ab von der Linie aller seiner Vorgänger. Im Übrigen behält sich Israel alle, auch militärischen Optionen entsprechend der eigenen subjektiven Lageeinschätzung vor. Zuletzt zu beobachten in den Fällen Gaza und Libanon. Das Ziel, darin unterscheidet sich Netanjahu aber nicht von seinen israelischen Rivalen, auch nicht von Zipi Livni, geht es immer noch um ein einziges Israel vom Mittelmeer bis zum Jordan mit einer dauerhaft gesicherten militärischen und ökonomischen Überlegenheit gegenüber den arabischen Nachbarn. Unterhalb dieser Ebene ist dann das eine oder andere möglich.

Das wird auf Dauer zu wenig sein. Alle Faktoren, nicht zuletzt die demografische Entwicklung arbeiten gegen die zionistische Ideologie bzw. die israelische „Realpolitik“. Man weiß das in Jerusalem und Tel Aviv durchaus, nicht zuletzt deshalb wird die Mauer (man könnte auch sagen: Schutzwall) errichtet. Präsident Obama, der wahrlich genug Probleme aller Art hat, wird hier die wohl schwierigste Aufgabe seiner ersten Amtszeit haben. Er muß Israel auf geolpolitische Realpolitik einschwören. Das wäre nicht oder weniger als die Aufgabe der israelischen Staatsideologie. Man kann sich vorstellen, wie kompliziert das noch wird.

Veröffentlicht: 19. Mai 2009

About this publication