Wenn man Gail Halvorsen, dem berühmtesten aller Rosinenbomber-Piloten, eine E-mail schreiben will, muss man „wigglywings“ in den Computer eingeben, das ist Teil der Adresse. Die „wackelnden Flügel“ wurden zu seinem Markenzeichen während der Luftbrücke. Damit gab der heute 88-jährige den ausgehungerten Kindern, die damals im zertrümmerten Berlin sehnsüchtig warteten, Hoffnung: auf ein Stück Schokolade, auf ein Kaugummi – und den Trost, dass man auch in den schwärzesten Stunden noch etwas Lustiges machen kann.
Gail Halverson war damals 28 Jahre alt und verliebt. Im April 1949 heiratete er Alta Jolley und blieb 50 Jahre mit ihr zusammen, bis sie 1999 starb. Fünf Kinder haben die beiden bekommen, daraus gingen 24 Enkel und 21 Urenkel hervor.
Es war damals alles andere als selbstverständlich, dass der junge Pilot aus Utah die Hershey-Schokoladentafeln, die ihm amerikanische Freunde nach Frankfurt geschickt hatten, über Berlin abwarf. Die Erinnerung an Hitler und seinen Zerstörungskrieg war noch frisch, so erinnert er sich. Das alles hatte sein Leben komplett durcheinander gebracht. Mit 27 wäre er lieber in seinem ersten Chevy über Amerikas Highways gerollt. Stattdessen flog er für die Luftbrücke, Tag und Nacht, bei Nebel, Sturm und Eisesglätte. Er fragte damals einen befreundeten Piloten, der während des Krieges über Berlin geflogen war, wie es sich anfühle, für den früheren Feind, der alles dran gesetzt hatte, ihn zu töten, im Einsatz zu sein. Es fühle sich sehr viel besser an, Menschen zu ernähren, als sie zu töten, antwortete dieser ihm. Viele Piloten, die damals die Luftbrücke geflogen sind, haben ihr Herz an Berlin verloren.
Jack O. Bennett, der beim allerersten Luftbrückenflug im Cockpit saß, anfangs strikt dagegen war, Kohlen nach Berlin zu fliegen und den Einsatz von Panzern gegen die Russen befürwortete, blieb für den Rest seines Lebens in Berlin. Edwin Gere, der ein Buch über das Schicksal der Piloten geschrieben hat, gehört wie der Texaner Dr. Earl Moore, der Brite Larry Lamb und der Australier David Evans einer Clique von ehemaligen Piloten an, die immer wieder auf eigene Kosten zurückkommen nach Berlin, um Gedenktage miteinander zu verbringen. Die erste Ladung, die Halvorsen nach Berlin brachte, bestand aus 20 000 Pfund Mehl. „Die Deutschen schauten uns an, als wären wir Engel vom Himmel.“ Für Gail Halverson, aktives Mitglied der Mormonen-Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, ist Dankbarkeit die Kraft, die aus Feinden Freunde macht und das scheinbar Unmögliche möglich werden lässt. Seine erste Begegnung mit Berliner Kindern fand am Stacheldrahtzaun statt, der den Flughafen Tempelhof umgab. „Die Freiheit war ihnen wichtiger als alles andere”, erinnert er sich. „Geben Sie uns bitte nicht auf“, baten sie. Keines der Kinder bettelte um Schokolade, auch das hat damals großen Eindruck auf den jungen Piloten gemacht.
Es war eine bitterernste Zeit, West-Berlin war eingekesselt von den Kommunisten, abgeschnitten von allen Versorgungswegen über Land. Es gab Wichtigeres, als Späße mit Kindern zu machen. Solcher Luxus hätte ihn damals vors Kriegsgericht bringen können. Als General Tunner, der Luftbrückenkommandant, die Aktion schließlich mitbekam, fand er die Idee gut: „Machen Sie weiter so.“ Er sorgte für ausreichenden Nachschub mit Süßigkeiten.
Die wackelnden Flügel, die „wiggly wings“, zeigten den Kindern schon von weitem, dass Süßigkeiten im Anflug waren. Halvorsen bekam hunderte von Briefen. Einmal brachte ihm ein kleines Mädchen einen abgeherzten Teddy vorbei: „Er hat mich während der Bombenangriffe beschützt. Ich möchte, dass Sie ihn haben, damit Sie sicher fliegen.“ Ein siebenjähriges Mädchen namens Mercedes schrieb ihm, dass er beim Landeanflug ihre Hühner erschrecke, aber dass es in Ordnung sei, wenn er ein paar Süßigkeiten dort abwerfen könne. Aus dem Cockpit konnte er die Hühner freilich nicht erkennen, also schickte er diesem Mädchen Schokolade und Kaugummi mit der Post: „Liebe Mercedes, ich kann deine Hühner nicht finden. Ich hoffe, das ist okay. Dein Schokoladenonkel“, schrieb er dazu. Als Gail Halvorsen 1970 Flughafenkommandant in Tempelhof wurde, bekam er eine Einladung zum Essen. Zwei Jahre später nahm er sie an. „Ich bin Mercedes“, sagte die Hausfrau. „Kommen Sie nur herein, ich zeige Ihnen, wo die Hühner waren.“ Aus dieser Begegnung wurde eine enge Freundschaft.
Wenn man Gail Halvorsen eine E-mail schreibt, kommt die Antwort unerwartet rasch. „Ein bewegliches Ziel ist nicht so leicht zu treffen”, erklärt er seine vielen Aktivitäten. Er sei gesegnet mit guter Gesundheit, fliege immer noch eine Berlin Airlift C-54 „The Spirit of Freedom“. Zuletzt hat er im April über Atlanta 500 Fallschirme mit Süßigkeiten abgeworfen.
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