Die Vielzweck-Kandidatin
Sonia Sotomayor27.05.2009, 22:23
Ein Kommentar von Hubert Wetzel
Obamas Wunsch-Richterin für den Supreme Court sagt viel aus über die Ideologie des Präsidenten – und zeigt sein taktisches Geschick.
Es gibt für einen amerikanischen Präsidenten kaum eine Entscheidung, die so wichtig ist wie die Besetzung eines Postens am Obersten Gericht. Der Supreme Court ist im politischen Betrieb der USA ein entscheidender Mitspieler, die neun Richter deuten in ihren Urteilen nicht nur spitzfindig die Verfassung – sie machen Politik, und zwar mit erheblichen Folgen. Dass zum Beispiel Schulen in Amerika die Rassentrennung beenden mussten, ist ebenso Ergebnis einer Entscheidung des Obersten Gerichts wie der Sieg von George W. Bush bei der Präsidentschaftswahl im Jahre 2000.
Für den Präsidenten birgt die Nominierung eines neuen Supreme-Court-Richters daher Chancen wie Risiken. Die Chance: Er kann über die Zusammensetzung und damit die politische Ausrichtung eines der mächtigsten Gremien Washingtons mitbestimmen. Und das auf Jahrzehnte hinaus, denn die Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Das Risiko: Eben weil das Gericht so einflussreich ist, kämpfen Konservative und Liberale, Republikaner und Demokraten erbittert um die Besetzung. So viel Politik steckt selten in einer einzigen Personalie.
Sotomayor hat sich Barack Obama nun in dieses ideologische Minenfeld gewagt. Die Auswahl der Kandidatin sagt viel aus, über das strategische und taktische Gespür des Präsidenten. Strategisch zielt Obama mit Sotomayor auf die politische Mitte.
Die 54-Jährige gilt als moderat-liberale Juristin, einigen demokratischen Aktivistengruppen dürfte sie nicht links genug sein. Ihre Karriere als Bundesrichterin begann 1992 mit einer Beförderung durch den republikanischen Präsidenten George H. W. Bush, die politischen Machtverhältnisse im Supreme Court wird Sotomayor also nicht grundlegend ändern. Dafür werden gemäßigte Republikaner im Senat ihrer Ernennung zustimmen können.
Dieser Pragmatismus ist eines der auffälligsten Merkmale von Obamas bisherigem Regierungsstil. Wie in seiner Anti-Terror-Politik ist der Präsident bereit, die Ideologiewächter in der eigenen Partei zu ignorieren, wenn er seinen Kurs für vernünftig hält und zum Ausgleich ein paar republikanische Verbündete findet. In Zeiten, da immer mehr Wähler sich als “Unabhängige” bezeichnen, ist das eine kluge Strategie. Ihnen bedeutet die reine Parteilehre nichts.
Zugleich zeigt Obama taktisches Geschick. Der Präsident hat eine Kandidatin lateinamerikanischer Abstammung ausgewählt. Amerikas Latinos sind die am schnellsten wachsende Wählergruppe, in einigen wichtigen Bundesstaaten geben ihre Stimmen den Ausschlag bei der Präsidentschaftswahl, Obama selbst verdankt ihnen seinen Sieg in beträchtlichem Maße. George W. Bush hatte versucht, die Gruppe durch eine Lockerung der Einwanderungspolitik für die Republikaner zu gewinnen. Der Plan scheiterte an den Hardlinern in der eigenen Partei. Jetzt nutzt Obama zum gleichen Zweck das Oberste Gericht.
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