Der Kampf um das höchste Richteramt
Von Martin Klingst, Washington D.C. | © ZEIT ONLINE 28.5.2009 – 11:01 Uhr
In den USA ist ein erbitterter Streit um die Nominierung einer liberalen Richterin für das Oberste Gericht ausgebrochen. Die amerikanischen Rechten wollen sie verhindern
Als Barack Obama am Dienstag die New Yorker Richterin Sonia Sotomayor – energisch, liberal und lateinamerikanischer Herkunft – zu seiner Kandidatin für den Supreme Court ausrief, wusste er, dass ab sofort die politische Schlacht losgehen würde. Denn nichts erhitzt Amerikas Parteien mehr als die Nachfolgeregelung für das Oberste Gericht. Kaum fiel der Name Sotomayor, klatschten die Linken euphorisch und mobilisierten die Rechten nach einer Schrecksekunde sogleich ihre Kampftruppen.
Wer immer im Weißen Haus regiert, versucht den Supreme Court in seinem Sinne umzuformen. Denn hier werden am Ende viele große politische Streitfragen entschieden: Etwa das Schicksal der Guantánamo-Gefangenen oder das Recht auf Abtreibung, das Recht auf Ehe für Schwule und Lesben oder die Frage, ob Regierung und Kongress in Washington den 50 Bundesstaaten Grenzwerte für Emissionen vorschreiben dürfen.
Höchstens 150 Fälle nimmt das Gericht pro Jahr zur Entscheidung an. Die meisten davon sind sterbenslangweilig. Aber bei vier bis fünf geht es um den Kern der Verfassung und um Amerikas Selbstverständnis. Derzeit stehen im Supreme Court vier rechte Richter vier linken gegenüber. Der neunte im Bunde, der gemäßigt konservative Richter Kennedy, spielt immer wieder das Zünglein an der Waage. Weil Sonia Sotomayor einen linken Richter ersetzt, würde ihre Wahl diese Gewichtung nicht durcheinander wirbeln.
Warum also der Streit? Weil die Richter grundsätzlich auf Lebenszeit ernannt werden – und deshalb für sehr lange Zeit die Weichen stellen können, weit über die Amtszeit des sie berufenden Präsidenten hinaus. Die 54jährige Sonia Sotomayor könnte, wenn sie gesund bleibt und nicht irgendwann in den Ruhestand will, nahezu ewig amtieren. Der älteste Richter am Supreme Court ist derzeit 89.
George W. Bush hatte die Chance, mehrere Richter nominieren zu können und wählte relativ junge und äußerst konservative. Sie werden lange Einfluss ausüben. Jetzt ist Obama an der Reihe und wird wahrscheinlich nach und nach die vier Linken ersetzen können, die zum Teil alt und krank sind. Sonia Sotomayor soll im Rahmen dieser Verjüngungskur den Anfang machen.
Deshalb kramen die Republikaner und ihnen nahe stehende Gruppen seit diesem Dienstag jedes Urteil, jeden Artikel und jede Rede hervor, auf der Suche nach irgendeiner Äußerung, aus der sich ein Strick drehen ließe. Denn manchmal wird tatsächlich ein Strick daraus.
Es herrscht wieder erbitterter Wahlkampf in Amerika. Demokraten wie Republikaner sammeln Millionen von Dollar, schalten Anzeigen und Fernsehspots. Sie richten Stäbe ein, sammeln Material über die Kandidatin und üben für die große Schlacht im Senat, denn der muss am Ende “Ja” zum Vorschlag des Präsidenten sagen.
Die Fronten sind klar: Für die Rechten ist Sotomayor eine linke Aktivistin, die auf dem Richterstuhl Politik machen will. Für die Obama-Leute hingegen ist sie eine empathische, gleichwohl umsichtige Juristin, die sich strikt an den Wortlaut des Gesetzes hält und keine Umsturzphantasien hegt.
Der Präsident selber sagt, ihn überzeugten vor allem zwei Eigenschaften: Ihre Professionalität – und ihre Biographie. Seit 17 Jahren ist sie Richterin und hat damit weit mehr Erfahrung als alle anderen Bewerber der vergangenen 100 Jahre. Sonia Sotomayor, Tochter puertoricanischer Einwanderer, wuchs in ärmlichen Verhältnissen in New York auf. Der Vater starb früh, die Mutter arbeitete sich mit zwei Jobs für ihre Kinder krumm. Die dankten es ihr und machten Karriere.
Sotomayor schaffte es an die Eliteuniversitäten Princeton und Yale und verkörpert wie die beiden Obamas den amerikanischen Traum. Wer so geprägt und groß geworden ist, denkt und spricht tatsächlich ein wenig anders über das Leben und sein Land als die verhätschelten Kids aus den weißen Vorstädten. Aber manchmal schießt er oder sie dabei auch übers Ziel hinaus und wählt falsche und verfängliche Worte.
Die Republikaner stürzen sich deshalb auf zwei Reden von Obamas Kandidatin: In der einen sagte sie, dass ihr bisheriges Gericht in der Tat Politik mitgestaltet habe. „Seht her,“ rufen die Rechten, „sie will Amerika von der Richterbank aus umkrempeln!“ In der anderen Rede provozierte sie: „Ich würde hoffen, dass eine hispanische Frau, weise und reich an Erfahrung, eher öfter als selten eine bessere Entscheidung trifft als ein weißer Mann, der dieses Leben nicht gelebt hat.“ – „Rassistin“, beschimpft sie der rechte Talkshowmaster Limbaugh.
Besonders geschickt war Sonia Sotomayors Bemerkung nicht. Ebenso ungeschickt wie Obamas Wahlkampfausrutscher über die kleinen weißen Leute, die sich in ihrem Elend an Religion und Gewehre klammern würden. Gleichwohl: im Kern hat Sotomayor Recht. Selbstverständlich prägt die eigene Biographie die Sichtweise des Richters. Wer selber Not erlebte, zeigt meist größeres Verständnis für die Not anderer und überlegt sich genauer, was sein Urteil anrichten könnte.
Eine Garantie für bessere Entscheidungen ist dieses andere Leben dennoch nicht. Im Supreme Court sitzt dafür sogar ein Beispiel: Thomas Clarence, der einzige schwarze Richter. Trotzdem gilt in diesem Fall: Richterinnen vom Schlage der Sonia Sotomayor würden Amerikas Oberstem Gericht gut tun. Und nicht nur dem Supreme Court, sondern allen Gerichten der Welt.
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