A Short, Intensive Stopover Visit

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Kurze, aber intensive Stippvisite

Von Deike Diening | © ZEIT ONLINE 5.6.2009 – 19:49 Uhr

Grünes Gewölbe, Frauenkirche, KZ-Besuch: Der US-Präsident trifft bei jedem Anlass den richtigen Ton. Nicht alle Dresdner aber freut der staatlich verordnete USA-Kult.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines amerikanischen Touristen in Sachsen beträgt 2,3 Tage. Doch längst ist bekannt, dass für Barack Obama der Durchschnitt kein Maßstab ist. Hat man sich da also lautstark wundern müssen, dass der amerikanische Präsident über Dresden hereinbrach wie ein Wetterwechsel, die gesamte Altstadt zu seiner Sicherheit paralysiert, wieder abgehoben nach nicht einmal 24 Stunden? Ist es ein Wunder, dass er es an einem einzigen Tag fertig brachte, mit Angela Merkel ein umfangreiches Gespräch zu führen, eine konzentrierte Pressekonferenz zu geben, in der Frauenkirche andächtig den Kopf in den Nacken zu legen, der Einladung des Bischofs Jochen Bohl zu einem Friedensgebet für die Verständigung zwischen Israel und Palästina zu folgen und am Nachmittag noch das Konzentrationslager Buchenwald zu besuchen?

Der Sondereinsatz der sächsischen Polizei namens “Canaletto 2009“ hat für zwei Tage Dresden in eine noch nie dagewesene, in drei Stufen abebbende Sicherheitszone verwandelt. Im Kern das Taschenbergpalais, wo Obama sich nach seiner Rede in Kairo einige Stunden vom Geschichteschreiben ausruhte – in derselben Suite, in der Wladimir Putin im Januar übernachtet hatte – und von wo aus er an diesem Freitagmorgen in eine scheinbar völlig menschenleere, geisterhafte Dresdner Altstadt aufbricht. Schafskälte im Land. Nur Angela Merkel wartet schon.

Und dann haben die beiden nur eine knappe Stunde, um in sagenhaftem Tempo im historischen Grünen Gewölbe folgende Themen zu besprechen: Nahost, Afghanistan, Pakistan, Iran und Nordkorea. Weiterhin die Beziehungen zu Russland und die Wirtschafts- und Finanzkrise. Außerdem die Klimapolitik. Alle Normalsterblichen, die heute für eine Besichtigung im Grünen Gewölbe Karten erworben hatten, sind nun ersatzweise berechtigt für den Besuch der Sonderausstellung “Verwandelte Götter”.

In der Stadt geht am frühen Morgen das hektische Gerücht um, Obama habe den Wunsch geäußert, jetzt doch zu “baden”, in der Menge nämlich. Einen kurzen Moment sieht es so aus, als öffneten sich jetzt doch die Sicherheitsschleusen für die Dresdner zur abgeriegelten Dresdner Altstadt, um später einen Blick zu erhaschen. Aber wo soll so schnell eine ungefährliche Menge herkommen? Zuvor hatte man ja tagelang dafür gesorgt, dass die Bewohner der Altstadt ihre Blumentöpfe von den Balkonen nehmen, dass sie nur mit Personalausweis und einem gelben Plastikbändchen am Arm nach Hause kommen, dass sie sich weder mit Fernrohren noch Blitzlichtern oder Fotoapparaten, also allem, was den Anschein einer Waffe erwecken könnte, hinter den eigenen Fenstern aufhalten.

Am Ende sehen ihn einzig die Teilnehmer einer Pressekonferenz im Schlosshof aus der Nähe, vorbei an Metallgittern, Bauzäunen und strengen Männern mit Knopf im Ohr. Unter drei Sandsteinbögen hervor, vor neun Flaggen tritt Barack Obama neben eine limettengrün leuchtende Angela Merkel, als hätte das Grüne Gewölbe abgefärbt. Sie stehen am Pult mit so vielen Themen, als wäre die deutsche Station seiner Reise zwischen Kairo und der Normandie nicht etwa als “Privatbesuch” deklariert.

Die Diskussion mit Merkel? Sehr produktiv. Die Freundschaft zu Deutschland? Beständig. Die Mienen sind ernst. Was also hat es auf sich mit den angeblichen Verstimmungen zwischen Berlin und Washington? Er schätze, sagt Obama, die politischen Analysen der Kanzlerin und ihre direkte Art zu reden. Die Gerüchte? Wild! “Also hört auf damit! Alle!”, ruft Barack Obama und streckt den Finger ins Publikum wie Uncle Sam. In das Lächeln der Kanzlerin mischt sich Triumph.

Obama wird am Pult im Schlosshof zunehmend elastisch.

Nahost: “Der Moment zu handeln ist jetzt!“ Auch die Palästinenser müssten sich anstrengen. “Gestern war nur eine Rede. Die ersetzt nicht die harte Arbeit danach.“

Guantánamo: Sind Sie über die Unterstützung der Bundesregierung bei der Auflösung des Gefangenenlagers enttäuscht? “Wir haben sie nicht nach festen Zusagen gefragt und auch keine bekommen.“

Warum später noch Buchenwald? “Die brennenden Erinnerungen des Bruders meiner Großmutter“ seien ein ganz persönlicher Grund. Charles Payne nämlich hatte zu der ersten Einheit gehört, die ein Außenlager des KZ befreit haben. Später hatte er große Probleme, sich mit diesen Bildern im Kopf wieder einem zivilen Leben anzupassen.

Und da glauben auch die letzten, dass dieser Besuch in Dresden nicht mit einer Berlin-Verstimmung in der Gegenwart zu tun hat, sondern ganz auf die Symbolkraft der Vergangenheit setzt. Da ist schon einmal gemeistert worden, was jetzt an anderer Stelle erst bevorsteht. Obama, dieser gefuchste Taktiker, spannt die Vergangenheit für seine Ziele in Nahost ein.

Die Dresdner Vergangenheit sitzt, verkörpert von dem 84-jährigen Rudolf Eichner, im achten Stock einer modernisierten Platte, ein Leben lang in Dresden, ein Zeitzeuge der Bombardierung, tags die Amerikaner und die Engländer nachts. Eichner hat dafür gesorgt, dass am Altmarkt ein Gedenkstein eingelassen wurde, an dem Ort, wo nach den Bombardierungen 6865 Leichen verbrannt wurden. Er hat bei Obamas Besuch nirgendwo ein Fähnchen geschwungen, wo hätte er auch hingehen sollen, der Präsident war ja nicht zu sehen in der Stadt. Aber als Obama gewählt wurde, hat auch er hoffend vor dem Fernseher gesessen. Er hält ihn für einen gut informierten Mann, dem es um Versöhnung geht. Wie es ihm selbst ein Anliegen war, 1995 einem englischen Bomber-Piloten die Hand zu schütteln. “Besuche sind gut, sie führen zu Gesprächen. Und Gespräche führen zu Verständnis.“

Eichner guckt aus wasserblauen Augen seine Frau Ruth an. Die Auseinandersetzung mit dem Islamismus sei die wichtigste Wunde unserer Zeit, Obamas Rede in Kairo deshalb ein Meilenstein. Ein Gesprächsangebot. Dresdner, die sich mit der Frauenkirche so für Versöhnung engagiert haben, verstehen diesen Mann. Und Obama versteht die Dresdner. Als er und Merkel am Frauenkirchen-Altar beten, dann dem Kirchenchor zuhören, haben einige Dresdner draußen auf dem Altmarkt – einige hundert Meter von Frauenkirche und Schloss entfernt – Tränen in den Augen. Sie schauen auf eine eigens aufgestellte Großbildleinwand, verfolgen auf ihr den Besuch des Amerikaners.

Ach, aber Putins Besuch im Januar, sagt Eichners Frau, sei doch ein ganz anderer gewesen. Der habe sich nämlich in Dresden schon ganz früh morgens losgeeist von seinen Bewachern, man sah ihn vor einer Buchhandlung stehen, so um sechs, noch bevor die Touristen da waren, er hat an der Frauenkirche gefragt, ob er mal rein könne, und dann hat er sich in einer Bäckerei ein Stück Kuchen gekauft. Das haben die Dresdner gemocht. Aber, gibt sie jetzt zu, auch als Fidel Castro zu Besuch kam, waren Läden geschlossen, nicht etwa wegen einer Sicherheitszone, sondern damit die Leute am Straßenrand jubelten und nicht auf die Idee kämen, mal zu gucken, ob es etwas im Angebot gab, 1972 in der DDR.

Zuletzt waren viele Dresdner gar nicht so glücklich mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten. Armer, eingesperrter Präsident, sagen sie. So ganz ohne Jubel des Volkes. Und am extra eingerichteten Bürgertelefon sprach man hauptsächlich über die Verkehrseinschränkungen. Dresdner sind da empfindlich. Sie setzen für fließenden Verkehr gerade ihr Unesco-Weltkulturerbe aufs Spiel. Und in den letzten Tagen hatte man den Eindruck gewinnen können, die Dresdner sorgten sich hauptsächlich um die gesperrte Innenstadt und vereitelte Geschäfte. Ganze Tageseinnahmen, hieß es, seien jetzt als höhere Gewalt abzuschreiben. Würde sich unter diesen Bedingungen je ein Tag im Leben der Dresdner mit einem Tag im Leben Barack Obamas verschränken?

Und so standen sie noch am Donnerstagabend, als Barack Obama einflog, zu einer großen “Welcome-Party“ auf ihrem Altmarkt vor einer großen Bühne, der Wind zerrte an den blau-weiß-roten Luftballons, die Hubschrauber knatterten über der Stadt. Und es schien ihnen, dass nichts mehr im Verhältnis stand: der Aufwand, die ganze Altstadt in einen Hochsicherheitstrakt zu verwandeln, gegenüber der Tatsache, dass kaum jemand Obama sehen würde. Diese immensen Vorbereitungen, während derer der Besuch immer kürzer wurde: Ab dem 19. Mai richtete das Rathaus eine Sonder-Website mit Countdown ein, inklusive einer Bastelanleitung für amerikanische Fähnchen in A4 und A5, als PDF zum Ausdrucken. Der ganze “Kult“, schrieb prompt jemand im Online-Forum, erinnere ihn empfindlich an die DDR. “Damals bastelten nur die Kinder, jetzt sogar Erwachsene.“

Und jetzt? Obama hält historische Reden, findet für jeden Anlass die richtige Ernsthaftigkeit, verursacht bei den Dresdnern wieder Anlass zu noch mehr Bewunderung, die sie nirgendwo loswerden können. Stattdessen stehen sie auf dem Altmarkt und halten sich wacker auf einem zuckenden, rotäugigen Maschinen-Bullen, der auf und ab tanzt. Das macht man gerne in Amerika, hieß es im Programm, sich an die Bullen klammern. Auf der Bühne sollen Musiker laut Moderation das Publikum “bemucken“. Man nimmt, was kommt, weshalb sich die längste Schlange vor einer Obama-Pappfigur bildet, mit der man sich fotografieren lassen kann. Hot-Dogs gehen besser als Fischbrötchen. Früher oder später wirft der wilde Bulle jeden ab.

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