America Bares Its Foreign Policy Soul

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Amerikas außenpolitische Seelenschau

Von Matthias Rüb, Washington

18. Juni 2009

Mit dem Argument, Barack Obama wäre angesichts mangelnder Erfahrung nicht in der Lage, eine aktuelle außen- und sicherheitspolitische Krise zu meistern, hatte die jetzige Außenministerin Hillary Clinton im Wahlkampf ihren damaligen innerparteilichen Konkurrenten kritisiert. Jetzt sitzen Obama und Clinton gewissermaßen nebeneinander am Telefon, und es sind Kritiker der neuen Regierung, die beiden vorwerfen, die Krise nach den Präsidentenwahlen in Iran nicht meistern zu können.

Der Vorwurf, der Glaube Obamas an die Symbolik der ausgestreckten Hand und sein Vertrauen in die Wirkkraft der Bereitschaft zum Dialog ohne Vorbedingungen seien Ausdruck der weltpolitischen Naivität und Unerfahrenheit, ist die eine Facette der gegenwärtigen Iran-Debatte in den Vereinigten Staaten. Die andere, vielleicht wichtigere Facette des Streits um den richtigen Umgang mit dem Mullahregime und mit dem in Teheran aufbegehrenden Volk, der derzeit alle anderen außen- und sicherheitspolitischen Themen überstrahlt, ist eine Art außenpolitische Seelenschau Amerikas in der Post-Irakkrieg-Debatte.

Unterschied nicht so groß, wie man glaubt

Die dabei ausgetauschten Argumente variieren bekannte Motive des alten Ringens zwischen Real- und Idealpolitik. Obama hielt auch am Mittwoch an seiner realpolitischen Position fest, dass es beim Angebot an Teheran bleibe, Gespräche ohne Vorbedingungen zu führen, um womöglich zu einem „Grand Bargain“ und mithin zur Überwindung der seit der Islamischen Revolution von 1979 anhaltenden diplomatischen Eiszeit zu kommen. Im Übrigen, so ließ Obama in einem Interview mit dem Fernsehsender CNBC wissen, sei „der Unterschied in den grundsätzlichen politischen Fragen zwischen Herrn Ahmadineschad und Herrn Mussawi vielleicht nicht so groß, wie man glaubt“.

So oder so „werden wir es in Iran mit einem den Vereinigten Staaten feindlich gesinnten Regime zu tun haben“, sagte Obama und bekräftigte zugleich seine „tiefe Sorge“ über das Blutvergießen in Teheran und die Repressalien des Regimes. Angesichts der unseligen Geschichte der amerikanisch-iranischen Beziehungen sei es nicht angezeigt, wenn sich Washington jetzt „in Iran einmische“. Damit spielte Obama abermals auf den vom amerikanischen Geheimdienst CIA unterstützten Militärputsch gegen Ministerpräsident Mossadegh vom August 1953 an.

Thema Nummer Eins

Kritiker wie der republikanische Senator und ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain entgegnen Obama, es sei keine Einmischung in die Angelegenheiten eines Landes, wenn Washington das Recht auf freie Wahlen, freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit überall einklage. „Denn dabei handelt es sich um universale Werte“, sagte McCain und forderte Obama auf, „sich laut und deutlich gegen diesen Wahlbetrug“ in Iran auszusprechen.

Grundsätzlich sei nichts gegen diplomatische Offerten einzuwenden, doch „Thema Nummer Eins muss sein, dem iranischen Volk freie und faire Wahlen zu gewähren“. Der stellvertretende Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus Eric Cantor hob die „moralische Verantwortung“ Amerikas hervor, „den weltweiten Protest gegen die brutale Unterdrückung demokratischer Rechte“ anzuführen statt in der Frage etwa dem französischen Präsidenten Sarkozy hinterherzuhinken.

Globale Schutzmacht der Freiheit

Der konservative Kommentator Robert Kagan schrieb am Mittwoch in der „Washington Post“, mit der Abkehr vom Ziel des Regimewechsels in Iran und dem Angebot eines Dialogs ohne Vorbedingungen habe Washington dem Regime in Teheran Legitimität verliehen. Die weithin beklatschte „realpolitische“ Wende Obamas sei faktisch eine Parteinahme für Ahmadineschad und eine Missachtung jener Millionen Iraner, die seit Tagen gegen die mutmaßliche Wahlfälschung des Regimes und für den Oppositionskandidaten Mussawi demonstrieren, schreibt Kagan.

Während die Parteigänger Obamas und auch einige Republikaner die Politik der leisen Worte und des Abwartens gegenüber Teheran als realpolitisch angezeigt und prinzipiell richtig begrüßen, schwillt auf der anderen Seite des politischen Spektrums der Chor jener Stimmen an, wonach die Proteste in Teheran vom Juni 2009 die gleiche uneingeschränkte und lautstarke Unterstützung des amerikanischen Volkes und seiner Regierung verdienten wie die Aufstände in Ungarn vom Oktober 1956, in Prag vom Frühling 1968, auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens vom Juni 1989 sowie in Rangun vom August 2007.

Hinter dieser Position steht die Überzeugung, dass sich die Vereinigten Staaten als globale Schutzmacht der Freiheit für nichts Wesentliches in ihrer Vergangenheit zu entschuldigen hätten. Auch nicht für Geheimoperationen der CIA zu hohen Zeit des Kalten Krieges in Teheran noch auch für die jüngsten Kriege in Irans Nachbarstaaten Irak und Afghanistan.

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