How Europeans Disappoint Obama

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US-PRÄSIDENT AUF REISEN

Wie die Europäer Barack Obama enttäuschen

VON CLEMENS WERGIN5. Juni 2009, 06:42 Uhr

Barack Obama ist in Deutschland eingetroffen – vermutlich mit gemischten Gefühlen. Der US-Präsident hat Europa seit Monaten mit einer Charmeoffensive verwöhnt, von der Klimapolitik bis zur Diplomatie. Doch in die Gegenrichtung bewegt sich nichts. Europa riskiert, eine historische Chance zu verspielen.

Barack Obama auf Reisen, Tag 3: Im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald gedenkt der amerikanische Präsident Barack Obama der Opfer des Nationalsozialismus. Foto: AP

Was seine politischen Präferenzen anbelangt, so ist Barack Obama wahrscheinlich der „europäischste“ Präsident, den Amerika je hatte. Er will die USA nach dem Modell des europäischen Wohlfahrtstaates umbauen, nimmt die Klimaerwärmung so ernst wie die meisten Europäer und verordnet der Automobilindustrie eine Öko-Kur. Er setzt in der Außenpolitik auf jenen Multilateralismus, der in Europa längst zum Glaubensbekenntnis geworden ist; Obama will nun auch mit Schurkenstaaten verhandeln und glaubt, dass Amerika seine „soft power“ wieder aufrichten muss, um Partner mit Argumenten und gutem Vorbild und nicht durch Druck und Machtmittel zu überzeugen. Kein Wunder, dass er der Kandidat war, den eine Mehrheit der Europäer im Wahlkampf unterstützt hat. Gebracht hat ihm das bisher wenig.

Natürlich: Die neue Amtszeit begann mit einem transatlantischen Fest der Freundlichkeiten. Auf seiner ersten präsidialen Europareise in London, Straßburg/Kehl/Baden-Baden und Prag Anfang April entschuldigte sich Obama für die amerikanische Verantwortung etwa für den Ausbruch der Finanzkrise, gab sich demütig und bescheiden. So bescheiden, dass er zwar das eigene Truppenkontingent in Afghanistan erheblich aufstockte, aber die Partner in Europa nicht mit Forderungen inkommodieren wollte, ihrerseits ähnliche Anstrengungen zu unternehmen, um den Krieg am Hindukusch zu gewinnen.

Hört man sich aber dieser Tage in Washington um, dann merkt man: Es macht sich erste Ernüchterung breit. Die offizielle Version lautet: Die Obama-Regierung hatte gar nicht erwartet, dass die Charmeoffensive schnelle Ergebnisse zeitigen würde, man sieht das ganze als längeren Prozess und Investition in die Zukunft. Die inoffizielle Version ist pessimistischer. Es herrscht das Gefühl, die USA hätten außergewöhnliche Schritte unternommen, um Europa zu einem echten Partner beim managen von Weltproblemen zu machen – und Europa bleibt passiv.

Der Kontinent verspielt gerade eine historische Chance. Jahrelang haben nicht allein amerikanische Linke, sondern auch konservative Bush-Kritiker argumentiert, dass die alte Administration viel mehr Hilfe von Europa hätte bekommen können, wenn man partnerschaftlicher mit den atlantischen Verbündeten umgegangen wäre. Nun hat Europa seinen Wunschpräsidenten bekommen – und verhält sich weiter wie zuvor. Die Truppenaufstockungen in Afghanistan etwa, die Obama bei seiner Reise im April zugesagt wurden, sind größten Teils so dürftig, dass sie an einen Affront grenzen.

EINE STRATEGIE, DIE KEINE FRÜCHTE TRÄGT

Zwar hat man Verständnis dafür, dass sich etwa die deutsche Regierung vor den Wahlen nicht mehr bewegen wird. Aber die Skepsis gegenüber der Fähigkeit Europas, sich substanziell bei der Lösung von Weltproblemen einzubringen, wächst. Nicht mal den Balkan vor der eigenen Haustüre bekommt Europa geregelt, weshalb Obama gerade den Vizepräsidenten dorthin entsandt hat. Als ob es nicht genug andere Krisenorte auf der Welt gäbe, um die sich Joe Biden kümmern müsste, hört man hinter vorgehaltener Hand.

Wenn sich Europa in einem Jahr immer noch passiv zeigt, wird Obama wohl andere Prioritäten setzen müssen. Inzwischen scheint man in Washington jedenfalls resigniert zu haben, was den Bereich der „hard power“ anbelangt und stellt sich darauf ein, dass die Kampagne gegen den Taliban wohl in erster Linie Amerikas Krieg sein wird, weil die Kontingente der Verbündeten im Vergleich zu den dann aufgestockten Truppen der Amerikaner wenig bedeutend sein werden.Schon allein deshalb, weil er sich angreifbar macht, wenn seine Strategie der Aussöhnung und Annäherung so gar keine Früchte trägt. Inzwischen scheint man in Washington jedenfalls resigniert zu haben, was den Bereich der „hard power“ anbelangt und stellt sich darauf ein, dass die Kampagne gegen den Taliban wohl in erster Linie Amerikas Krieg sein wird, weil die Kontingente der Verbündeten im Vergleich zu den dann aufgestockten Truppen der Amerikaner wenig bedeutend sein werden.

Gänzlich niederschmetternd für die Obama-Leute ist aber, dass Europa auch in anderen Bereichen so gar keine frischen Ideen anzubieten hat. Das transatlantische brainstorming über Afghanistan und andere Weltprobleme ist weitgehend eine Einbahnstraße geblieben, die nach dem alten Muster verläuft: Amerika schlägt vor, und der Rest des Westens verhält sich dazu. Europa vergibt gerade eine Chance, in strategischen Fragen erwachsen zu werden.

EUROPA BETREIBT SELBSTBEWEIHRÄUCHERUNG

Gerade die deutsche Kanzlerin benutzt ja gerne das Wort vom „integrierten“ Ansatz für Afghanistan, was so viel heißt wie: Zunehmend allergisch reagiert man deshalb selbst im Obama-Lager inzwischen auf die selbstgerechten Ratschläge aus Europa. Wir sind fürs Bonbon-Verteilen zuständig und Amerikaner, Kanadier, Briten und Holländer fürs Bombenwerfen. Aber selbst beim zivilen Aufbau will man sich dort, wo er wirklich gebraucht wird – in den von Taliban befreiten und zu befreienden Gebieten – nicht stärker engagieren.

Dass man sich in Europa so viel auf die zivile Komponente zugute hält, ist vor allem Selbstbeweihräucherung. Schließlich ist es in den umkämpften Gebieten etwa im Süden gar nicht möglich, zivilen Aufbau ohne starke Sicherheitskomponente zu bewerkstelligen. Zudem haben die Europäer – und gerade die Deutschen – auch beim Aufbau ziviler Institutionen bisher keine sonderlich gute Figur abgegeben. Manchem stockte etwa der Atem, als Angela Merkel im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorschlug, man solle doch vielleicht mal die Afghanen fragen, was für eine Polizei sie eigentlich wollen. Dabei hatte Deutschland nach dem Petersberger Abkommen Ende 2001 die Rolle als „lead nation“ bei der Polizeiausbildung übernommen.

Jahre später fällt der Kanzlerin dann ein, man solle die Afghanen mal nach ihren Wünschen fragen – nachdem Deutschland die Polizeimission längst in den afghanischen Sand gesetzt hat, weil nie mehr als 40 Ausbilder in Kabul waren, man nicht in die Provinzen ging und das ganze dann lieber nach Europa abgeschoben hat, das auch nicht sonderlich effektiv agiert. Auch hier spielen die Amerikaner seit Jahren den Ausputzer und schultern einen großen Teil der Polizeiausbildung selbst. Das in Europa noch stets verbreitete Klischee von den Amerikanern, die lieber schießen als aufbauen, stimmt schon lange nicht mehr.

MIT DEM 11. SEPTEMBER KEHRT DIE WELTGESCHICHTE ZURÜCK

Afghanistan ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie Europa sich stets in seiner Rolle als Zivilmacht gefällt, aber selbst auf diesem Gebiet nicht gerade Beeindruckendes leistet. Auch in Obamas Washington verfestigt sich deshalb der Eindruck, die europäische Passivität der letzten Jahre habe vielleicht doch nicht nur an Bush gelegen. Der war möglicherweise nur ein Vorwand.

Die Wahrheit ist: Europa hat es sich im Lee der Weltgeschichte bequem eingerichtet. In den Zeiten des Kalten Krieges hatte man sich daran gewöhnt, dass die (west)-europäische Sicherheit weitgehend von den Amerikanern besorgt wurde. In den 90ern stutzte man dann vor allem die Verteidigungsetats zurück, um die Friedensdividende einzustreichen. Mit dem 11. September kehrte dann die Weltgeschichte zurück. Eine Kombination aus europäischer Trägheit und Bushs Arroganz hat aber lange Jahre hinweg verhindert, dass Europa auf die veränderte Weltlage angemessen reagierte.

In Washington, das gewohnt ist in globalen Dimensionen zu denken, ist man sich sehr bewusst, dass der Westen seine Kräfte besser bündeln muss, um angesichts der sich verändernden Machtbalance auf dem Globus und der vielen lokalen Krisen für Stabilität zu sorgen. Und nun hat Amerika auch einen Präsidenten, dem die Herzen in Europa zufliegen und der wie wenig dazu geeignet wäre, den Westen zu neuer Kompaktheit und Stärke zu führen.

“DAS PROBLEM WAR NICHT, DAS EUROPA NICHT SCHÖN WAR”

Doch im Moment scheint es so, als sei Europa nicht in der Lage, seinen Part dabei zu spielen. Aber auf dem alten Kontinent sollte man sich nicht täuschen: Die Zeit, in der Amerika eine große sentimentale Bindung zu Europa verspürte, geht langsam zu Ende. Gerade der Präsident, der Europa politisch am nächsten zu stehen scheint, symbolisiert diesen Wandel sowohl biografisch als auch soziologisch. Barack Obamas Blick auf die Welt ist nach Asien, nicht gen Europa gerichtet. Er wuchs in Hawaii auf, jener Insel im Pazifik, die in der Mitte liegt zwischen Amerika und Asien. Auslandserfahrung hat er in Indonesien gesammelt, wo er mehrere Jahre zur Schule ging.

Über die Familie seines Vaters ist er mit Afrika verbunden. Der jetzige Präsident war in seinen 20ern, als er das erste Mal seinen Fuß auf europäischen Boden setzte – als Zwischenstopp auf dem Weg nach Kenia. „Das Problem war nicht, das Europa nicht schön war“, schreibt Obama in seinen Memoiren über den ersten Besuch auf dem alten Kontinent. „Alles war so, wie es ich mir vorgestellt habe. Es war nur kein Teil von mir.“

Obama fehlt also die familiäre und kulturelle Bindung, die die traditionelle amerikanische Politikelite über Jahrhunderte auszeichnete. Und auch die, die Obama in die Schaltzentralen der Macht in Washington bringt, sind weit bunter und uneuropäischer von ihrer Herkunft als früher. Stück für Stück verändert sich so das Machtzentrum Amerikas und wird wie das ganze Land: Asiatischer, südamerikanischer und dunkler in der Hautfarbe.

Obama hat gezeigt, dass er politische Weggefährten ganz unsentimental fallen lässt, wenn sie ihm zur Last werden. Und Europa kann nicht einmal darauf setzen, dass Obama überhaupt sentimentale Gefühle für den alten Kontinent hegt. Wenn Europa also als Partner ernst genommen werden will, muss es mehr bieten als nur nette Worte.

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