Decisions on the Coast Will Decide GM's Fate

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Entscheidung an der Küste

von Matthias Ruch

Aus der FTD vom 20.06.2009

Die Zukunft von General Motors hängt an Kalifornien, New York und Florida. Auf diesen Märkten werden Trends gesetzt. Doch gerade hier dominieren Asiaten und Deutsche.

Tiefschwarzer Rauch quillt aus den verchromten Auspuffrohren, der Motor dröhnt, die riesigen Reifen fressen sich in den Beton. Ein Zittern geht durch die gesamte Karosse, ein letztes Aufbäumen – dann ist der Kampf gewonnen. Das Monster setzt sich in Bewegung, das Publikum jubelt.

Im kleinen Städtchen Earlville, irgendwo in Iowa, werden Autos wie der Chevrolet Silverado, der Dodge Ram und der GMC Sierra noch gebührend gefeiert. Beim traditionellen Truck-Pull können die stolzen Besitzer einmal im Jahr beweisen, was ihre Automonster unter der Haube haben. Die Regeln sind einfach: Wer die schwersten Lasten ziehen kann, gewinnt. Und unter zehn Tonnen fangen die Jungs hier gar nicht erst an.

Hier, im Herzen Amerikas, ist die Autowelt noch in Ordnung. Autos sind gut, wenn sie groß und stark sind. Und natürlich “made in America”. Die Marktanteile der drei großen Autobauer aus Detroit liegen hier deutlich über 60 Prozent. Würde die Zukunft von General Motors hier entschieden, gäbe es kaum Anlass zur Sorge. Die Realität aber sieht anders aus: Ob GM überleben wird, entscheidet sich ausgerechnet an den Küsten. In Kalifornien, New York und Florida.

Wenn sich General Motors nach dem Abschluss der Insolvenz in einigen Wochen oder Monaten zurückmeldet, wird der Kampf ums Überleben erst richtig anfangen: Dann muss sich das Unternehmen am Markt beweisen. Was helfen all die Milliarden aus Washington, wenn der Steuerzahler beim Autokauf seinem eigenen Staatsunternehmen nicht mehr traut? Wenn er lieber einen Toyota, Honda oder Mercedes kauft?

Sicher, auch in China und Indien kann GM künftig Autos verkaufen. Mit etwas Glück lässt sich damit sogar Geld verdienen. Aber der wichtigste Automarkt der Welt bleibt Nordamerika. Wenn GM den Kampf um den Heimatmarkt verliert, gibt es auch in Übersee nichts mehr zu gewinnen.

Entschieden wird das Ringen um den Heimatmarkt ausgerechnet dort, wo die Ausländer besonders gut im Geschäft sind. An den Küsten haben Asiaten und Deutsche gemeinsam rund 70 Prozent des Marktes erobert. Und die Insolvenz von GM und Chrysler wird diesen Trend in den kommenden Monaten noch verstärken.

Die überragende Bedeutung der Metropolregionen an Ost- und Westküste ergibt sich zum einen aus ihrer wirtschaftlichen Stärke. Je mehr die Menschen verdienen, desto mehr können sie für ihre Autos ausgeben. Kein Zufall, dass die Hersteller teurer Fahrzeuge ihr Händlernetz fast ausschließlich entlang den Küsten spannen.

Hinzu kommt, dass von dort in aller Regel die marktentscheidenden Entwicklungen in Amerika ausgehen. Früher oder später erreichen diese Trends dann den Rest des Landes. Technische Entwicklungen kommen vor allem aus dem Westen, gesellschaftspolitische Entwicklungen aus dem Osten. Da die Automobilindustrie sowohl technisch als auch politisch vor großen Umbrüchen steht, droht das alte Autoherz im Mittleren Westen von zwei Seiten zerdrückt zu werden.

Dass viele Menschen in den Küstenmetropolen weniger traditionell denken und tendenziell stärker aus Europa beeinflusst werden, macht die Sache für General Motors dort nicht gerade einfacher. Bei der Entwicklung moderner, sparsamer Fahrzeuge hinken die Amerikaner hinterher. Die Konzepte ihrer europäischen Töchter einfach zu kopieren wird aber weder für GM noch für Ford genügen. Die beiden großen US-Konzerne müssten ihren Rückstand jetzt möglichst schnell aufholen und dann mit eigenen Entwicklungen vorangehen. Erste Fortschritte auf diesem Weg haben GM und Ford bereits vorzuweisen. Aber um wirklich voranzukommen, brauchen sie mehr Zeit und mehr Geld. Beide Ressourcen sind knapp.

Ohne neues Image hat GM keine Chance

Als Beweis des technischen Fortschritts präsentiert GM nun stolz den Chevy Volt. Schon Ende 2010 soll das Elektroauto auf den Markt kommen. Ob sich dieses Datum halten lässt, darf bezweifelt werden. Doch selbst wenn der Volt schon morgen in den Handel käme, wäre damit noch nicht viel gewonnen. Denn er zeigt eklatante Schwächen, wenn es um die beiden wichtigsten Faktoren beim Autokauf geht: Preis und Image.

Ohne erhebliche Zuschüsse vom Staat wird der Volt im Vergleich zu Benzinern schlicht zu teuer sein. Um ihn trotzdem zu verkaufen, muss GM den Wagen entweder besonders schön, besonders sportlich oder besonders trendy machen. Doch die Entwickler haben weder auf Schönheit noch auf Sportlichkeit besonderen Wert gelegt.

Nun wird der Erfolg des Hoffnungsträgers maßgeblich davon abhängen, welches Markenimage die Amerikaner ihrem Staatskonzern künftig verpassen. Dass es grundsätzlich gelingen kann, eine angestaubte Automarke neu zu definieren und damit selbst den stärksten Rivalen Kunden abzuringen, hat der deutsche Autobauer Audi bewiesen. Das Unternehmen hat in den 80er-Jahren die Trends der Zukunft erkannt und die gesamte Modellpalette konsequent danach ausgerichtet. Der Erfolg gab ihm recht – allerdings erst zehn Jahre später.

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