Long Road to the Promised Land

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Der lange Weg ins gelobte Land

Von Christoph von Marschall

22.6.2009

Für Barack Obama ist die Lage schwierig: Wie kann er seine Solidarität mit der Protestbewegung im Iran ausdrücken, ohne die Tür zum Dialog mit den Mullahs zu verschließen?

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Es ist ein erhabener Moment, wenn Bürger gegen ihre Unterdrücker aufbegehren. Der friedliche Protest gegen Wahlfälschung im Iran schreit nach Mitgefühl und Bewunderung – erst recht in einem Jahr, in dem die Deutschen und ihre Nachbarn auf ihre eigenen gewaltfreien Revolutionen vor 20 Jahren zurückblicken. Wer möchte nicht auf ihrer Seite stehen? Sie demonstrieren ihre Würde und ihren Anspruch auf Selbstbestimmung gegen ein Regime, das nicht in die Zeit passt. Sie tun es nicht in blindem Zorn, sondern mit weiser Selbstbeschränkung in der Wahl der Mittel. Auch das verleiht dem Ringen um die Zukunft ihres Volkes moralische Größe.

Doch zugleich birgt die Konfrontation enorme Gefahren in sich. Die Mullah-Diktatur hat keine Bedenken, Blut zu vergießen. Sie zeigt eine ähnliche Selbstgerechtigkeit wie die kommunistischen Regime, die 1953 in Berlin, 1956 in Budapest, 1968 in Prag, 1970 in Danzig schießen ließen. Die iranischen Theokraten sind noch nicht bereit einzugestehen, dass ihre Heilsversprechen gescheitert sind, wie die Kommunisten 1989. Der Westen hat auch keine Gesprächskanäle, über die er auf das Regime einwirken kann, damit Prügeltrupps und Panzer in den Kasernen bleiben. Das muss jeder bedenken, der verlangt, der Westen solle die Protestierenden ermuntern. Wer falsche Hoffnungen weckt, macht sich mitschuldig an den Opfern, wenn die Bewegung blutig niedergeschlagen wird.

Schon die Europäer tun sich schwer, das richtige Maß zu finden. Angela Merkel klingt vielen zu vorsichtig – als fehle es ihr an Empathie. Gordon Browns Drohung mit Konsequenzen ist leere Rhetorik. Sie erfüllt das Bedürfnis nach klaren Ansagen, hilft der iranischen Opposition aber kein bisschen. Noch schwieriger ist die Lage für Barack Obama, in doppelter Hinsicht. Er hat eine neue, moralischere Politik versprochen, muss also seine Sympathien für die Forderung nach ehrlichen Wahlen bekunden. Wenn er sich aber zu offen auf die Seite der Demonstranten gegen die Mullahs stellt, wäre das wie eine tödliche Umarmung. Er würde ihnen das Etikett der Vaterlandsverräter aufkleben. Der oberste Führer, Ayatollah Chamenei, hat die Nation am Freitag erneut auf den Feind Amerika eingeschworen.

Obamas zweites Dilemma: Gemessen an seinen übergeordneten Zielen kommt das Aufbegehren zur Unzeit. Er hatte seinen Vorgänger Bush dafür kritisiert, dass der den Dialog mit dem Iran verweigerte, und direkte Gespräch über das Atomprogramm zugesagt. Wie kann er nun seine Solidarität mit der Protestbewegung ausdrücken, ohne die Tür zum Dialog mit den Mullahs zu verschließen? Die Republikaner wollen die Demonstration als Erfolg Bush’scher Härte ausrufen und fordern jetzt erst recht scharfe Sanktionen.

Tagelang hatte sich Obama Zeit gelassen mit einer umfassenden Reaktion. Die Erklärung vom Wochenende bietet die für ihn so typische Mischung aus historisch-moralischer Wucht und Zurückhaltung bei praktischen Ankündigungen. Vor Pathos hat er anders als Merkel keine Scheu. Zugleich hat er deshalb Browns Schärfe nicht nötig. Er beruft sich auf Martin Luther King und die schwarze Bürgerrechtsbewegung – das bietet den Mullahs keinen Vorwand zum Missbrauch gegen die Demokratiebewegung. „Der Bogen des moralischen Universums ist lang, neigt sich aber am Ende zur Gerechtigkeit.“ King sagte vor seinem Tod, er habe das gelobte Land gesehen. Erst seine Nachfolger erlebten Rassengleichheit. Gottes Mühlen mahlen langsam. Ihr Zeitmaß im Iran ist noch ungewiss.

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