Real Sorrow and Fake Friends

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Echtes Leid und falsche Freunde

Es war das größte TV-Trauer-Event seit dem Unfall von Lady Di: Fast alle großen Sender ließen zum Tod Michael Jacksons ihre Reporter ausschwärmen. Die brachten nicht nur Bilder von weinenden Menschenmassen in die Wohnzimmer – sondern auch Unsinnsanalysen angeblicher Intimkenner.

Man kannte Torhüter Oliver Kahn nicht unbedingt als einen Menschen, der sich zartfühlend ins Innenleben anderer Menschen hineinarbeitet – bis zum Freitagabend: Bei einer Sondersendung des Boulevardmagazins “Exclusiv” zum Tode Michael Jacksons dichtete der Fußballer gerührt ins RTL-Mikro: “Soviel Glanz nach außen, so viel Traurigkeit nach innen.” Kahn gab damit im gewissen Sinne die Generallinie des deutschen Jackson-Fernsehabends vor: Eine ganze TV-Nation stieg da in die echten oder imaginierten seelischen Abgründe von Michael Jackson hinab – Deutschland auf der Couch.

Und weil in der grandiosen Oberflächenkunst des King of Pop das Äußere und das Innere identisch zu sein scheint, fiel es eben nicht besonders schwer, all den Ruhm und all das Leid des Künstlers im Stile von Kahns Dialektik in zwei Halbsätzen formulieren zu können.

Der Freitag wurde also zu einem Fernsehabend der beseelten Halbsätze – und des ebenso beseelten Herumstehens: Jeder Sender, der noch über ein halbwegs intaktes Korrespondentennetz verfügt, sandte seine Reporter aus, um an einschlägigen Orten die spärlichen Informationen zum Tode des Stars einzusammeln oder die Trauer der Fans einzufangen.

Private und Öffentlich-Rechtliche unterschieden sich kaum

Ob RTL, ARD oder ZDF – sie alle schickten ihre Abgesandten zum Geburtsort Michael Jacksons, zu seinem Stern auf dem Walk Of Fame in seiner letzten Heimatstadt Los Angeles oder vor das dortige gerichtsmedizinische Institut, wo man auf einer stetig nach hinten verschobenen Pressekonferenz erste Details über den Tod bekanntzugeben versprach.

Dabei unterschied sich die Berichterstattung der Privaten und der Öffentlich-Rechtlichen kaum: Sämtliche Sender versuchten eine Art übergreifende Erzählung zum Todesfall zu entwickeln, bei der sich Trauer- und Aufklärungsarbeit die Waage halten sollten.

Dabei hatten allerdings ARD und ZDF ein Problem damit, das Informationsgebot auf adäquate Weise mit der melodramatischen Präsentationsform abzustimmen. Und nicht alle spontanen Reporter-Requiems waren so souverän wie das von Klaus-Peter Siegloch, der für ein ZDF-Special am frühen Abend vor dem Apollo-Theater in New York stand, um von dort aus über die trauernden Fans zu berichten. Weinende Menschen sah man allerdings kaum, stattdessen schrien dem Journalisten Passanten Unflätiges über die Schulter, was der alte Hase geistesgegenwärtig als die Kompensationsleistung von Verzweifelten kommentierte: Man versuche im ausgelassenen Feiern eben den Schmerz zu verarbeiten.

Peinlich indes geriet das Ende der ARD-Sondersendung um 21.45 Uhr. Dort leitete man ausgerechnet die hektische Hubschrauberüberführung der Leiche Jacksons zum kalifornischen Gerichtsmediziner mit den sakralen Worten ein, hier trete der Star seine letzte Reise an. Dann wurde zu diesen endlos ausgewalzten “Reise-Impressionen” Jackos Balladenkracher “You’re Not Alone” runtergedudelt: Emotionalisierungsterror pur.

Die Brachialität, mit der die Todesmeldung im deutschen Fernsehen einschlug, musste selbst Medienprofis erstaunen. Der kollektive Erregungszustand erinnerte allerdings weniger an den Tod Elvis Presleys 1977, auf den schon wegen der “King”-Parallelen immer wieder verwiesen wurde, als an den von Lady Di 1997. Wie bei ihrem Ableben stellten die Fernsehverantwortlichen auch beim König des Pop in einem atemberaubenden Parallelverfahren Popgebet und Psychoanalyse nebeneinander.

Und hiesige Berühmtheiten sollten das dazu notwendige Psychofutter erbringen. Noch beim angeblichen Trauern reflektierte man deshalb im Interview-Quickie die tragischen Verstrickungen, die zum Ableben des geliebten Stars geführt hatten. Wirklich fast jeder deutsche Prominente, dem am Freitag eine Kamera vor die Nase gehalten wurde, legte sich als Kenner und Anhänger des Verstorbenen in Pose. Bei soviel eitel ausgestellter Expertise war man beinahe dankbar, zu später Stunde in der live gesendeten NDR-Talkshow Helge Schneider zum Thema des Tages sprechen zu hören: Michael Jackson? Habe der nicht “My Girl Lollipop” gesungen? Wer will, kann das zynisch nennen – gegen den Zynismus der meisten Fernsehmacher wirkten Schneiders Ausführungen allerdings geradezu pietätvoll. Schließlich ließ er dem berühmten Kollegen durch seine echte oder gespielte Ignoranz Raum, würdig abtreten zu können.

Denn ganz ehrlich: Möchte man, dass Veronica Ferres einen nach dem eigenen Tod als “Genie” und “ewiges Kind” feiert? Möchte man, dass einen der Castingshow-Brutalo Detlev D. Soost als eine Art “Familienmitglied” beweint? Und möchte man gar vom ewigen Après-Ski-Einheizer DJ Ötzi (“Jeder hat ihn gerichtet, niemand war dabei”) moralischen Beistand nachgeworfen bekommen? Dies alles aber geschah in der von Frauke Ludowig moderierten “Exclusiv”-Spezialausgabe zur Primetime auf RTL.

Größte Trauershow seit Lady Di

Ganz nebenbei wurde da auch ein wichtiger Aspekt bei dem tragischen Abstieg Michael Jacksons deutlich: Wer solche Freunde hat, braucht natürlich keine Feinde mehr. Der Mann lag noch nicht auf dem Obduktionstisch des Gerichtsmediziners, da weideten ihn angeblich ganz nahestehende Personen psychoanalytisch vor den RTL-Kameras aus.

Ganz besonders hervor tat sich dabei Uri Geller, der die ödipalen Leiden seines Wahlverwandten ausplauderte. Weshalb der sich an die 50 Mal operieren ließ? Der Löffelbieger und Grob-Esoteriker wiederholte für RTL weihevoll, was ihm der andere einst im intimen Gespräch gesteckt haben sollt: Er wolle seinem Vater nicht ähnlich sehen. “Uri Geller!”, so habe der Musikerfreund irgendwann gebarmt, “ich bin ein sehr einsamer Mensch.” Bei den ARD-Tagesthemen legte der zurzeit schwer angeschlagene Zauberer dann noch mal publicityträchtig nach und bot weitere Infos aus Jacksons Innenleben feil.

Auch dieser wenig geschönte Kampf in der Aufmerksamkeitsökonomie erinnert fatal ans Sterben von Lady Di, an deren Titel “Prinzessin der Herzen” mediale Devotionalienhändler inzwischen Millionen verdient haben. Man muss Michael Jackson nicht geliebt haben, um nach so einem Fernsehabend traurig ins Bett zu gehen: Der König ist tot, die Hofschranzen verticken ihr Wissen.

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