The Mute Star: Hillary Clinton

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Sie sollte die starke Frau in Barack Obamas Kabinett werden, stattdessen erntet Hillary Clinton Spott als schwache Außenministerin. Mit einer Grundsatzrede versuchte sie einen Neuanfang – und wurde vom Weißen Haus eiskalt ausgekontert. Dabei fand sie gerade für die Europäer klare Worte.

Ihr Hosenanzug leuchtet in sattem Blau, das Podium steht im “Council on Foreign Relations”, einer der feinsten Adressen der US-Hauptstadt, die Sitzordnung ist präzise durchdacht wie bei einer Wahlkampfveranstaltung.

Akademiker warten im Publikum, Mediengrößen, globale Geschäftsleute, die außenpolitische Elite in Washington. Doch ganz vorne in Clintons Nähe müssen amtierende Top-Diplomaten und US-Sonderbeauftragte Platz nehmen, offiziell ihre Untergebenen. Aber sie haben der Außenministerin in den vergangenen Monaten oft die Schau gestohlen. Richard Holbrooke etwa, zuständig für Pakistan und Afghanistan, ein Hüne in Gestalt und Ego. Nun schaut er brav zu Clinton auf wie ein Schuljunge. Jemand will wissen, ob auch diese Mitarbeiter eine Frage stellen dürften, Clinton lacht spitz und sagt: “Das sollten sie besser nicht.”

Heute soll nur die “Madam Secretary” sprechen, eine Rede halten. Ach was, nicht einfach eine Rede. Die Rede. Sechs Monate ist Clinton im Amt, höchste Zeit für eine Grundsatzansprache. “Sie will ihre außenpolitische Vision darlegen”, verspricht ihre Sprecherin. Zu erwarten sei nichts Geringeres als eine Rahmenordnung für Obamas globalen Kurs.

Oder eher eine Rede, um ihren Kurswert in der Regierung zu erhöhen? Schon zeichnen die US-Medien sie als schwache Außenministerin. Sie rechnen vor, auf wie vielen wichtigen Auslandsreisen des Präsidenten Clinton zu Hause bleiben musste. Wie Botschafterposten von Europa bis Asien reihenweise an Obama-Großspender gingen statt an ihre Vertrauten. Wie Clinton erst wieder im Medien-Rampenlicht stand, als sie sich ihren Ellenbogen brach.

“Es wird Zeit, dass Clinton die Burka abnehmen darf”, höhnt Tina Brown, Starkolumnistin der Internetseite “The Daily Beast”. Die Ex-Rivalin werde vom Präsidenten ja wie eine saudische Ehefrau gehalten.

“Es ist ein bisschen wie mein Ellenbogen, es wird jeden Tag besser”, sagt Clinton nun vor dem “Council on Foreign Relations”. Sie meint die US-Außenpolitik, natürlich. Doch vielleicht soll das auch ihre Hoffnung auf eine bessere Rolle ausdrücken.

Sie bewirbt sich darum: Leichtfüßig schlägt Clinton 34 Minuten lang den ganz großen Bogen, von Iran, dem Kampf gegen Massenvernichtungswaffen, dem Dialog mit der arabischen Welt, mehr Entwicklungshilfe und “smart power” – Amerika soll seine Macht entschlossen einsetzen, doch auch vernünftig und gewinnend, im Konzert mit Partnern. “Wir brauchen ein neues Denken, wie die USA ihre Macht nutzen kann”, resümiert die Außenministerin.

Es ist ein regelrechtes außenpolitisches Manifest, perfekt vorgetragen. Wenn der Präsident vorne stünde, er könnte es nicht besser.

Es gibt nur einen Schönheitsfehler: Kaum jemand sieht und hört Clinton.

Wer sich in der Stunde ihrer Rede durch die US-Kabelkanäle klickt, sieht Live-Bilder von einer Pressekonferenz zum Mord an einem Ehepaar mit 17 Kindern. Von der designierten Obersten Richterin Sonia Sotomayor, die sich vor dem US-Senat erklären muss. Schlimmer noch: Von Präsident Obama, der fast zeitgleich mit Clinton vor die Kameras tritt. Er hat just in dem Moment festgestellt, dass ja seine Gesundheitsreform stockt, er spricht mit Krankenschwestern im Rücken im Rosengarten des Weißen Hauses.

Die TV-Sender übertragen ihn live: Obama statt Clinton. Ein paar Minuten lang ist es fast wieder wie im bitteren Vorwahlkampf, als die beiden Rivalen an Abstimmungsabenden um den ersten Fernsehauftritt wetteiferten.

Die Rede des Präsidenten ist kurzfristig anberaumt worden. So was müsse doch abgesprochen werden, mäkelt ein Washington-Insider. Vielleicht war es aber auch volle Absicht. “Obama gewinnt den TV-Krieg mit Clinton”, schreiben die “New York Daily News”.

Soll Clinton zu einer Art Regierungs-Maskottchen degradiert werden?

Das muss Clinton schmerzen. Und wie. Sechs Wochen soll sie an ihrer Grundsatzrede gearbeitet haben, ihre Helfer begleiteten sie mit einer PR-Offensive. Sie haben Sprecher anderer Ministerien Clintons Loyalität und ihren Einfluss in der Regierung preisen lassen. Sie haben daran erinnert, wie beliebt die Außenministerin in der Bevölkerung sei, mehr noch als der Präsident. Wie logisch ihre Zurückhaltung am Anfang der Amtszeit sei: Noch überstrahle der Präsident halt alles, und auch als frisch gekürte US-Senatorin habe sich Clinton einst erst unauffällig eingelernt.

Nur: Es gibt 100 US-Senatoren, doch nur eine Außenministerin – und nur eine Hillary Clinton. Soll sie nun zu einer Art weltweit bekanntes Regierungs-Maskottchen degradiert werden, zuständig für Haiti und Welternährung? Das waren die Bereiche, die Clinton auf Nachfrage im Interview mit dem TV-Sender ABC zu ihrer Rolle gerade einfielen.

Die Rede im “Council on Foreign Relations” zeigt, wie schade das wäre. Denn Clintons Ansatz enthält alles, was gebraucht wird in der US-Außenpolitik. Prinzipien, ja, aber keine Ideologie. “Smart power” eben, mit einem klugen Blick auf eine veränderte Welt.

Gerade die Europäer sollten den genau nachlesen. Viele Diplomaten dort glauben, dass Clinton Europa näher steht als Obama, weil sie den Kontinent besser kennt aus ihren Jahren im Weißen Haus – und weil der Oberbefehlshaber als erster Globalisierungs-Präsident für die altmodischen Rituale der transatlantischen Partnerschaft wenig Geduld aufbringt.

Clinton ist geduldiger mit Europa. Doch nun sagt auch sie: “Wir sind sowohl eine transatlantische als auch eine transpazifische Nation”. Sie empfiehlt: “Unser außenpolitischer Ansatz muss die Welt reflektieren, wie sie ist, nicht wie sie früher war. Das Machtkonzert aus dem 19. Jahrhundert oder die Machtbalance aus dem 20. Jahrhundert machen keinen Sinn.”

Das klingt nach einem sehr kühlen neuen Blick auf die Weltkarte. Wer kann Amerika bei den gegenwärtigen globalen Herausforderungen am meisten helfen? Wo lauern die größten Gefahren? Auch in Clintons Außenministerium, daran erinnert ihre Grundsatzrede, bleibt der Blick bei Antworten auf solche Fragen immer seltener auf Europa hängen. Anne-Marie Slaughter, Clintons Planungschefin, hat an der Rede mitgeschrieben. Früher war die Akademikerin Slaughter vor allem Europaexpertin, dann verbrachte sie aber ein Jahr in China. Das schien karrierefördernd.

Am Freitag dieser Woche reist auch Clinton nach Indien, bald nach Pakistan. Ende Juli halten sie und Finanzminister Timothy Geithner einen zweitägigen Gipfel mit Top-Regierungsvertretern aus China ab. Die Agenda hört sich an, als werde zwischen Peking und Washington die Zukunft der Welt verhandelt.

G-20 und G-2 also statt G-8 und der EU. Die globale Gewichtsverschiebung, die Clinton andeutet, ist eigentlich viel spannender als die Frage, ob Clinton oder Obama häufiger im Fernsehen sind.

Doch natürlich ist auch die Außenpolitikerin Clinton immer noch eine Politikerin. Sie erwähnt in ihrer Rede Obama zwar achtmal, sie nennt ihn den “richtigen Präsidenten”. Aber sie wird das PR-Desaster um ihre Rede kühl analysieren und um ihren Einfluss kämpfen. Gerade hat sie einen neuen Berater angeheuert, Sidney Blumenthal. Der arbeitete im Weißen Haus ihres Mannes und in ihrem Wahlkampf.

Blumenthal war zuständig für die Abteilung Attacke – zuletzt gegen Barack Obama.

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