Barack Obama Between Appearance and Reality

Edited by Alex Brewer

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In jener fernen Anfangszeit nach der Amtseinführung am 20. Januar wohnte dem Aufbruch noch ein Zauber inne. Auftreten und Reden genügten, um ihm Schlagzeilen zu verschaffen – fast durchweg positive. Der neue Präsident zielte darauf ab, sich unübersehbar von seinem Vorgänger George W. Bush abzusetzen und die versprochene Wende symbolisch zu konturieren: Guantánamo wird geschlossen, Folter verboten; die Wirtschaftskrise möchte er mit einem von der Größe präzedenzlosen Konjunkturpaket bekämpfen, aus Irak abziehen, im Nahen Osten dem Friedensprozess neues Leben einhauchen. Damals schienen seine Worte auszureichen, um Tätigkeit nachzuweisen.

Der Unterhaltungsaspekt kam dabei nicht zu kurz. Es begann mit den Inaugurationsbällen und der Deutung des Modestils der neuen First Lady. Wochenlang hielt die Suche nach dem richtigen Hund für das Weiße Haus die Nation in Atem. Es folgte die Anlage eines Gemüsegartens, in dem sich gleich mehrere Botschaften bündelten, von der konservativen Liebe zur Scholle über den Appell zu gesunder Ernährung bis zum modernen Ökotrend. Vier Auslandsreisen, die Rede an die muslimische Welt in Kairo und sein Appell zu atomarer Abrüstung beim Besuch in Moskau unterstrichen den globalen Führungsanspruch des Mannes.

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Dank seiner Reisen und Initiativen wird Obama in der Welt als Erneuerer wahrgenommen, und bessert sich Amerikas Image rund um die Erde. Doch von einer konsequenten Verfolgung seiner weltpolitischen Anliegen ist er weit entfernt. Ja, inzwischen ist unübersehbar: Dieser Präsident wird von der Innenpolitik fast völlig in Beschlag genommen. Für Außenpolitik bleibt wenig Zeit, sie erscheint mehr und mehr wie schmückendes Beiwerk.

In Amerika ist die Schonzeit vorbei. An der wohl bedachten Inszenierung und den rhetorisch ausgefeilten Reden, die Pathos mit Pragmatismus versöhnen, hat sich wenig geändert. Aber Bürde und Verantwortung sind ihm nun anzumerken. Formulierungen und Taten haben Folgen. Wenn er spricht, werden seine Bemerkungen auf einen versteckten Nebensinn hin untersucht. Lobbygruppen verteidigen ihre Interessen. Manchmal genügen Worte, um die Schlachtordnung bei der Mehrheitssuche im Kongress zu verändern, nicht immer zu Gunsten des Präsidenten.

Weit schlimmer ist es freilich, wenn die Wirkung ausbleibt. So ergeht es Obama bei seinem Schicksalsthema, dem Kampf gegen die Rezession. Der Ausgang wird mehr als alles andere über seine Wiederwahl 2012 entscheiden. Das ganze Gewicht seines – für amerikanische Verhältnisse überragenden – Wahlsiegs hatte er in die Waagschale geworfen (und seine Beziehungen zu Republikanern aus den vier Jahren als Senator spielen lassen), um eine breite Mehrheit für den so genannten “Stimulus” zu organisieren. Am Ende bekam er ein Konjunkturpaket, dessen Wert manche ehrfürchtig staunen und andere wegen des Schuldenberges erschauern lässt: 787 Milliarden Dollar fließen zusätzlich in die Infrastruktur, in Finanzhilfe für die Einzelstaaten, die unter wegbrechenden Steuereinnahmen leiden, in Bildung und eine Energiewende.

Doch die Stimmen dafür kamen fast ausschließlich von Demokraten. Die Republikaner opponierten am Ende, bis auf drei Abweichler im Senat. Sie möchten sich die Chance erhalten, das Paket zum Hauptkritikpunkt bei der Kongresswahl im November 2010 und der Präsidentschaftswahl 2012 zu machen, falls die Wirtschaft nicht so rasch wieder anspringt. Am “Stimulus” wollen sie durchbuchstabieren, dass Welten liegen zwischen “sozialistischen” Demokraten, die den Staat zum Hauptakteur der Wirtschaft machen und das Steuergeld verprassen, und sparsamen Republikanern, die auf die Marktkräfte setzen.

Der Ausgang dieser Wette ist offen. Fürs Erste punkten die Konservativen. Die Arbeitslosenrate ist im Juni auf 9,5 Prozent gestiegen – weit mehr als die acht Prozent, die zu Jahresbeginn für Mitte 2009 prognostiziert worden waren. Sie wird wohl noch über zehn Prozent wachsen. In besonders betroffenen Regionen wie Michigan, das zusätzlich unter dem Kollaps der Autobranche leidet, sind offiziell über 14 Prozent arbeitslos. Zählt man jene Bürger hinzu, die sich erst gar nicht als Jobsuchende melden oder die nur Teilzeit arbeiten, obwohl sie lieber eine volle Stelle hätten, liegt die Quote laut einer Studie des Arbeitsministeriums in mehreren Staaten deutlich über 20 Prozent. Immerhin haben GM und Chrysler ihre Insolvenzverfahren schneller als erwartet hinter sich gebracht. Ob sie dauerhaft gerettet sind, wird sich zeigen.

Regelmäßig reist Obama in solche Krisengebiete, um die Hoffnung wach zu halten. Am Dienstag sprach er in Warren, Michigan, die herrschende Stimmung offen an. Er hat die Rezession zwar nicht verursacht; sie ist ein Erbe der Bush- Jahre. Aber er wird daran gemessen, ob er sie überwinden kann. Insofern ist dies jetzt seine Wirtschaftskrise. “Das ist okay. Legt sie in meine Hände!”, rief er den Bürgern in Warren zu.

Gut möglich, dass er am Ende triumphiert. Der “Stimulus” braucht Zeit, um zu wirken. Kommt der Aufschwung, wird er am Arbeitsmarkt zuletzt spürbar. Bisher ist nur ein kleiner Bruchteil des Geldes überhaupt geflossen. Infrastrukturprojekte müssen geplant und genehmigt werden, ehe der erste Spatenstich erfolgen kann. Nur 25 Prozent dieser Investitionen sollen 2009 fließen, 50 Prozent im Jahr 2010 und die letzten 25 Prozent im ersten Halbjahr 2011. Das Paket soll kein kurzes Strohfeuer entfachen, sondern mittelfristig wirken – aber natürlich rechtzeitig, ehe Obama sich zur Wiederwahl stellt. Es macht seine Berater erkennbar nervös, wenn die Zustimmung zur Wirtschaftspolitik in einem Schlüsselstaat wie Ohio von 62 Prozent im Mai auf jetzt nur noch 49 Prozent abstürzt.

Mit seinen generellen Popularitätswerten darf Obama zufrieden sein. Um die 63 bis 67 Prozent, je nach Umfrage, verzeichnete er kurz nach Amtsantritt. Heute sind es im Schnitt 58 Prozent, ein guter Wert im Vergleich zu seinen Vorgängern – und erstaunlich positiv, wenn man berücksichtigt, dass Obama ihn inmitten einer tiefen Rezession erzielt. Zum Gesamtbild gehört freilich auch, dass die Zahl der Bürger, die ihn ablehnt, deutlich gestiegen ist, von 19 Prozent Ende Januar auf jetzt 36 Prozent.

Die anhaltende Wertschätzung ist auch das Produkt einer hoch professionellen und im Kern kaltschnäuzigen Medienarbeit. Obama hatte einen ehrlicheren Dialog mit den Bürgern über den wahren Kern der Probleme versprochen und eine größere Transparenz der Regierungsgeschäfte. Seine häufige Fernsehpräsenz und sein gewinnendes Auftreten sind dabei ein entscheidendes Kapital. Sein Team greift freilich auch zu waghalsigen Mitteln, um sein Bild zu polieren. Vor einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz zu Iran erhielten geneigte Journalisten Anregungen, welche Fragen willkommen wären.

Beim Blick hinter die Kulissen wirkt die Diskrepanz zwischen Schein und Sein manchmal fast größer als bei Vorgänger Bush. Das liegt freilich auch daran, dass der nie den Anspruch einer besonders transparenten Amtsführung erhoben hatte. Obama dagegen schon. Viele amerikanische Journalisten klagen, die Arbeitsbedingungen seien heute schwieriger als unter Bush. Pressesprecher Robert Gibbs versuche eher wortreich zu verschleiern als zu erklären, was gerade vorgehe, an welchen Initiativen der Präsident arbeite und mit wem er kommuniziere, um Unterstützung zu gewinnen. Ein kumpelhaftes Verhältnis hatte Obama nie mit Journalisten gepflegt. Im Wahlkampf war er offen und freundlich, doch das sollte, bitte, niemand mit persönlichem Interesse verwechseln. Als Präsident macht er erst recht deutlich, dass es ihm um einen professionellen Umgang, nicht um emotionale Nähe geht. Die schenkt er allein seiner Frau und seinen beiden Töchtern.

Groß ist auch die Frustration unter ausländischen Korrespondenten. Sie hatten auf einen besseren Zugang gehofft wegen Obamas Versprechen, er wolle Dialog und Kooperation mit Amerikas Partnern verstärken. Nur wenige erhalten erleichterten Zugang zum Weißen Haus. Die täglichen Pressebriefings sind aufschlussreich für die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Obamas Apparat und seinen professionellen Chronisten. Noch ist die Atmosphäre insgesamt freundlich – abgesehen von den Medien, die den Republikanern nahestehen. Aber auch bei den Fragen der Obama-geneigten Journalisten ist der Ton kritischer geworden. Viele ärgern sich, dass Gibbs die knappe Zeit ganz überwiegend den Korrespondenten der größten Fernsehsender und der Nachrichtenagentur AP widmet, die in den ersten beiden Reihen des Pressraums ihre Sitze haben.

Wenn Obama ausländische Gäste empfängt oder ins Ausland reist, wird unterschwellig deutlich: Seine internationalen Aktivitäten sind eine hübsche Zier, Priorität hat jedoch die Innenpolitik. Er ist gewiss kein Isolationist, aber die Nachrangigkeit der Außenkontakte teilt sich durch vielerlei Signale mit. Er hält nicht viel von protokollarischen Äußerlichkeiten, aus denen Medien gerne die Wertschätzung eines Gastes ableiten: ob, zum Beispiel, die Begegnung mit der Presse im Oval Office oder im Rosengarten anberaumt oder gar zur offiziellen Pressekonferenz (wie im Fall der Kanzlerin) befördert wird. Er verwendet auch nicht viele Gedanken auf die Geschenke, die bei solchen Gelegenheiten ausgetauscht werden. Der britische Premier Gordon Brown brachte ihm ein Schreibtischutensil aus dem Eichenholz des Schiffes “Gannet” mit, das einst Sklavenhändler jagte. Aus dem Holz des Schwesterschiffs “Resolute” war der Schreibtisch des Präsidenten im Oval Office gefertigt worden. Obama beschenkte Brown im Gegenzug mit einer Plastikbox mit Videofilmen.

Beim Besuch in Frankreich Anfang Juni schlug er ein offizielles Dinner mit Präsident Sarkozy aus und speiste lieber privat mit Frau und Töchtern in einem Pariser Spitzenrestaurant. Im Juli in Moskau war ihm “family time” am Abend des zweiten Besuchstags ebenfalls wichtiger als ein weiteres Bankett mit russischen Würdenträgern. In beiden Fällen reagierten die Gastgeber verschnupft. Obama brach auch mit der Tradition, dass ein Präsident vor einer Reise wenigsten ein Interview für ein Medium des Gastlandes gibt. Nur bei jenen Initiativen, auf die er sein Image gründet, nimmt er sich dafür Zeit: in Ägypten sprach er mit arabischen Medien zur Unterstützung seiner Rede an die Muslime; und mit der russischen Itar-Tass, ehe er in Moskau seinen Abrüstungsvorschlag unterbreitete.

Es scheint, als sei Außenpolitik für Obama keine Herzenssache, sondern bestenfalls Kür, nach der innenpolitischen Pflicht. Er hat viele Steine ins Wasser geworfen und manche überraschend klare Forderung gestellt. Aber was zählt am Ende? Wird er Israel wirklich unter Druck setzen, wenn der Siedlungsbau nicht stoppt? Nimmt er die Verstimmung der Mitteleuropäer, voran der Polen, wegen seines Werbens um Russland wahr – und kümmert es ihn?

Was er sich weltpolitisch vorgenommen hat, muss sich dem Primat der Innenpolitik unterordnen. Der Plan, Guantánamo zu schließen, stößt auf Widerstand im Kongress. Kein US-Politiker will entlassene Gefangene, die nicht in ihr Land zurück können, in den USA aufnehmen. Das Ausland soll das Problem für Amerika lösen. In solchen Fällen kämpft Obama nicht für seine ursprünglichen Ziele. Er fügt sich. Sein Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgase wird sich nicht danach bemessen, was Klimaforscher für erforderlich halten oder was er im Wahlkampf in Aussicht gestellt hat, sondern danach, was Abgeordnetenhaus und Senat dem Land und seiner Wirtschaft zumuten wollen. Das dürfte enttäuschend ausfallen, aber Obama wird sich da nicht verkämpfen.

Vorrang hat die innenpolitische Agenda. Auf der steht die Krankenversicherungsreform jetzt ganz oben, gleich hinter der Ankurbelung der Wirtschaft. Formal hat er eine klare Mehrheit im Kongress. In der Praxis ist darauf kein Verlass. Er muss sie bei jedem Anliegen neu organisieren. Wenn er diese Reform durch den Kongress bringt, wachsen ihm Flügel. Innenpolitischer Erfolg würde ihm auch außenpolitisch mehr Spielraum verschaffen. Ein Scheitern könnte ihn lähmen. Auch das erklärt seine Vorsicht. Er ist schließlich erst ein halbes Jahr im Amt.

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