Disillusionment

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Ernüchterung

Von Klaus-Dieter Frankenberger

05. September 2009

Weitsichtige Leute hatten schon unmittelbar nach der Wahl Barack Obamas gewarnt, von dem neuen Mann im Weißen Haus keine Wunderdinge zu erwarten. Die Mahnung, trotz der Aufbruchstimmung den Sinn für das Machbare nicht zu verlieren, verhallte aber ungehört – im Inland wie im Ausland, bei Meinungsbildnern und bei vielen Wählern. Jetzt ist Obama gut sieben Monate im Amt, und tatsächlich regt sich die Zwillingsschwester großer Erwartungen: die Enttäuschung.

So beginnt die Linke in der Demokratischen Partei darüber zu maulen, dass der Präsident angeblich nicht konsequent genug die Erneuerung Amerikas in ihrem Sinne betreibe; dass er sich in der Außenpolitik nicht entschieden genug von der Politik seines Vorgängers absetze. Solche Reaktionen, ob sie berechtigt sein mögen oder nicht – unabhängige Wähler gehen wiederum auf Distanz zum Präsidenten, weil sie seine Verschuldungspolitik ablehnen -, sind zu erwarten und eigentlich nicht zu vermeiden gewesen. Denn Regieren heißt ja nicht, Wahlkampf-Blaupausen eins zu eins zu übertragen. Nur wenige Präsidenten konnten im ersten Amtsjahr, gestützt auf ein Wählermandat und starke Verbündete im Kongress, ihre Politik durchsetzen; eigentlich gelang das nur Reagan. Regieren erschöpft sich übrigens auch nicht im Halten geschliffener Reden.

Selbst gemachter „Enttäuschungsschock“

Bei Obama kommt als die Enttäuschung treibender Umstand hinzu, dass ihm eine geradezu messianische Kraft zugeschrieben worden ist, nicht zuletzt von jenen, die sich nun über das Ausbleiben der Heilwirkung mokieren. An diesem „Enttäuschungsschock“ ist Obama nicht ganz schuldlos, denn „Wandel“ war die zentrale Botschaft seines Wahlkampfes. Es war ihm durchaus recht, dass sich so große Hoffnungen an seine Wahl knüpften. Doch im politischen Alltag schmilzt die Magie dahin.

Das gilt nicht zuletzt für die Außenpolitik. Die Zahl der Kriege oder Konflikte und reparaturbedürftigen Beziehungen, die Obama von seinem Vorgänger übernommen hat, war von vornherein einschüchternd groß. Auf einigen Feldern hat es Fortschritte gegeben; aber mit Ausnahme des amerikanischen Irak-Engagements liegen die weitgehend im Atmosphärischen. Auf anderen Feldern, etwa beim Konflikt um das iranische Atomprogramm, tritt man auf der Stelle.

Misstrauen in Israel

Interessant ist die Stimmung bei einigen Verbündeten und Freunden Amerikas. In Israel wird Obama misstrauisch bis offen ablehnend betrachtet – was nicht überrascht angesichts der freundlichen Anfangsmelodie, die er für die muslimische Welt angestimmt hat, und angesichts seiner relativ eindeutigen Haltung zur israelischen Siedlungspolitik. In Polen ist mit „enttäuscht“ die Gemütslage noch untertrieben beschrieben: Man fühlt sich nicht ernst genommen, wähnt die eigenen Belange nicht berücksichtigt – das hat weniger mit der Politik Washingtons gegenüber Russland zu tun, als behauptet wird -, und das Kaliber der amerikanischen Gäste bei der Feier zur Erinnerung an den Beginn des Krieges ist als Geringschätzung empfunden worden.

Das ist, neben der generellen Frage nach der Substanz der Europa-Politik Obamas, insofern von Belang, als das, was für Bush galt, auch für seinen Nachfolger gilt: Amerika darf seine Partner nicht für selbstverständlich nehmen. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass sie brav der Führungsmacht folgen, ob Washington die symbolischen oder materiellen Interessen der Partner nun ernst nimmt oder nicht. Über eines dürfen die europäischen Verbündeten allerdings nicht jammern: dass sie für die amerikanische Außenpolitik nicht mehr im Zentrum stehen. Denn die Musik spielt woanders, im Nahen und Mittleren Osten, in Süd- und in Ostasien. Es wäre merkwürdig, würde Obama nicht dorthin den Fokus seiner Politik richten.

Priorität Afghanistan

Dabei hat er Afghanistan zur Priorität erklärt und einen partiellen Strategiewechsel eingeleitet – mit unbefriedigendem Zwischenergebnis: Die Lage dort ist alles andere als rosig, die kommandierenden Militärs äußern unumwunden Zweifel an Strategie und Zielen, die Verluste werden immer höher, mehr und mehr Amerikaner glauben nicht, dass die „Kosten“ den Einsatz rechtfertigten. Schon wird von „Obamas Krieg“ gesprochen, so wie früher von „Bushs Krieg“ im Irak gesprochen wurde. Irritierend oft ist von einer möglichen Niederlage die Rede, selten von Sieg. Mit anderen Worten: Den Staaten, die militärisch am Hindukusch engagiert sind, und damit insbesondere den Vereinigten Staaten, stehen entscheidende Monate bevor. Es sind Monate unangenehmer Entscheidungen.

Denn ein anderes Vorgehen und die Vorgabe realistischer Ziele können eines nicht ersetzen: ausreichende militärische, zivile und finanzielle Mittel. Obama hat die amerikanische Truppenstärke schon deutlich erhöht; trotz der Skepsis im Kongress und in der Öffentlichkeit wird er noch mehr Kampftruppen nach Afghanistan schicken. Er wird das tun müssen, weil sonst die Taliban die Oberhand behalten, weil es dann weder Sicherheit noch Entwicklung gibt. Die Verbündeten sollten Amerika dabei nicht alleinlassen. Denn dies ist nicht Obamas Krieg; das Etikett haftet ihm zu Unrecht an. Es ist auch unser „Krieg“ — und es wäre auch unsere Niederlage.

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