US-Gesundheitsreform – Alles oder nichts
Die Kritik, die in den vergangenen Wochen wie ein Wolkenbruch auf Barack Obama niederprasselte, hat eines verdeckt: das außergewöhnliche Talent dieses Politikers, Menschen mit der Macht der Worte für sich zu gewinnen. ANZEIGE
Mit seiner kämpferischen Rede vor dem Kongress zur heftig umstrittenen Gesundheitsreform, der bisher wichtigsten innenpolitischen Rede seiner Amtszeit, hat der US-Präsident zumindest einen Teil der von ihm abgerückten Bevölkerung wieder von sich überzeugt und die Unterstützung der eigenen Partei zurückerobert.
Angesichts der wegweisenden Bedeutung dieses Projekts für Obama und seine weitere Präsidentschaft ist das bereits eine Menge. Auch in den eigenen Reihen war der Präsident zuletzt heftig unter Beschuss geraten, weil er – um einen Kompromiss mit den Republikanern zu ermöglichen – offen gelassen hatte, welche seiner Ziele bei der Reform nicht verhandelbar sind.
Umso wichtiger war Obamas unmissverständliche Botschaft an seine Unterstützer, dass er zu seinem Versprechen steht, den 47 Millionen nicht versicherten Amerikanern endlich einen Versicherungsschutz zu ermöglichen, und dass er die Gesundheitsreform durchboxen will. Ebenso klar war aber auch das Signal an seine Gegner, die seine Pläne als zu teuer und interventionistisch brandmarken: Der Präsident bietet jedem das Gespräch an, der ernsthaft über die Inhalte reden will. Das unterscheidet ihn von vielen Republikanern, die sich darauf beschränken, mit hanebüchenen Argumenten dumpfe Stimmungsmache gegen Obama zu betreiben.
Bei allen Bemühungen um einen Kompromiss muss der Präsident aber vom ursprünglichen Ziel abrücken, so viele Kritiker wie möglich mitzunehmen. Sein Versuch, den Bruch zwischen dem konservativen und dem liberalen Amerika zu überwinden, ist gescheitert. Kompromisse sind nur möglich, wenn die andere Seite überhaupt kompromissbereit ist. Und angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Kongress reicht es für den Präsidenten aus, sich die Unterstützung des eigenen Lagers zu sichern.
Durch seine demonstrative Entschlossenheit vor dem Kongress, die Gesundheitsreform durchzusetzen, hat Obama zugleich seinen persönlichen Einsatz deutlich erhöht. Der Präsident ist bereit, mehr politisches Kapital auf sein wichtigstes Reformprojekt zu setzen, ungeachtet der nach wie vor hohen Risiken, an seinen eigenen Ansprüchen zu scheitern. Obama wäre nicht der erste Mann im Weißen Haus, der sich beim Versuch, das lückenhafte und ineffiziente amerikanische Gesundheitssystem umzukrempeln, eine blutige Nase holt.
Der Erfolg oder Misserfolg der Gesundheitsreform wird darüber entscheiden, wie stark Obama bei anderen wichtigen Gesetzesprojekten ist und wie weit er seine politische Agenda durchsetzen kann. Sollte der Präsident gleich mit seinem ersten großen Vorhaben an den eigenen Zielen scheitern, werden die nächsten dreieinhalb Jahre sehr lang.
Aus der FTD vom 11.09.2009
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